Wissenswert: Hintergrundinformation zur Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm
Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm in der Berufungsinstanz: Unternehmen haften grundsätzlich nach deutschem Recht für Klimaschäden, wenn im Einzelfall eine Verantwortung nachgewiesen wird.
Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat am 13. November 2017 eine mündliche Anhörung über die Berufung des Peruanischen Hauseigentümers Saúl Luciano Lluiya in der Klage gegen die RWE AG durchgeführt. Die dort geäußerte Rechtsauffassung wurde mit Hinweis- und Beweisbeschluss vom 30.11.2017 bestätigt. RWE ist der größte CO2 Emittent Europas und nach dem sogenannten Carbon Major´s Report für 0,47 % der globalen CO2 Emissionen verantwortlich.
Im Jahr 2014 bat Saúl Luciano Lliuya RWE zur Übernahme von anteiligen Kosten für Maßnahmen zum Schutz seines in der Peruanischen Bergregion Cordillera Blanca gelegenen Hauses. Das Haus liegt unterhalb des Palcacocha Gletschersees und wird durch eine mögliche Gletscherflut (Glacial Outburst Flood/GLOF) bedroht. Im Jahre 2015 erhob der Kläger Klage. Das Gericht der ersten Instanz, das Landgericht Essen, war der Auffassung, dass das Haus des Klägers mit aller Wahrscheinlichkeit bei einer Gletscherflut überflutet würde und dass wissenschaftlich der Klimawandel dafür verantwortlich sein könnte. Aber aus Rechtsgründen verneinte das Gericht einen Schutzanspruch in seiner Entscheidung vom Dezember 2016. Den Wortlaut der Entscheidung finden Sie hier .
Saúl Luciano Lliuya legte Berufung ein. Das Berufungsgericht Hamm hat nunmehr im Wesentlichen das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Essen verworfen und ist der rechtlichen Argumentation des Klägers in allen Punkten gefolgt. Das Gericht widersprach der Rechtsauffassung von RWE, dass das geltende Recht den Klimawandel nicht erfasse, da dieser zu „komplex“ sei und alle Menschen Treibhausgase emittieren.
Der Fall geht nunmehr in die in die formelle Beweiserhebung.
Dies bedeutet, dass grundsätzlich eine Haftung großer Emittenten für Schäden oder Risiken in anderen Ländern besteht, falls die Wissenschaft die Mitursächlichkeit beweisen kann. Dies muss nun für die konkrete Region durch Wissenschaftler zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden. Das Gericht akzeptierte auch grundsätzlich Klimamodelle als Mittel zur Beweisführung.
Auf welche Rechtsgrundlage stützt sich der Anspruch?
Anspruchsgrundlage ist § 1004 BGB, die allgemeine Vorschrift des deutschen Zivilrechts zum Schutz gegen Eigentumsstörungen. Dort heißt es in
Abs. 1: Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.
Abs. 2: Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.
Vergleichbare Vorschriften und Regeln gibt es in vielen Ländern der Welt.
Was genau begehrt Saúl Luciano Lliuya durch ein Gerichtsurteil?
Der Antrag lautet wie folgt:
Festzustellen, dass die Beklagte verantwortlich ist, entsprechend ihres verhältnismäßigen Anteils an der Beeinträchtigung in Höhe von 0,47 % Kosten für geeignete Schutzmaßnahmen zu übernehmen, soweit diese durch den Kläger oder Dritte Personen durchgeführte werden, um das Eigentum des Klägers vor einer Gletscherflut aus dem Palcacocha See zu schützen, insoweit wie der Kläger durch diese Kosten belastet wird.
Im Ergebnis erhält Saúl Luciano Lliuya weder Geld noch eine Entschädigung sondern allein die Zusicherung, dass RWE einen Teil der Kosten für Schutzmaßnahmen trägt, wenn diese ausgeführt werden.
Wie begründete das Gericht erster Instanz seine Entscheidung?
Das Landgericht Essen war der Auffassung, dass es unmöglich sei, CO2-Emittenten mit bestimmten Auswirkungen des Klimawandels entsprechend den rechtlichen Anforderungen an die Kausalität in Verbindung zu bringen. Juristen in aller Welt bestimmen die Kausalität nach der „conditio sine qua non“ Formel. Danach gilt grundsätzlich: Kausalität besteht nur dann, wenn die betreffende Rechtsbeeinträchtigung (hier: das Überflutungsrisiko) entfallen würde, falls das betreffende Verhalten (die historischen und gegenwärtigen Emissionen von RWE) nicht stattgefunden hätte. Das Essener Gericht verneinte dies, da das Flutrisiko auch ohne den Anteil von 0,47 % zu den globalen CO2-Emissionen von RWE auf der Basis der Carbon Majors Studie (oder Heede Studie) zuzurechnen sind, bestehen würde. Dieses Ergebnis entspreche auch (nach Meinung des Essener Gerichts) einem 1987 vom Bundesgerichtshof entschiedenen Präzedenzfall im Zusammenhang mit durch Sauren Regen verursachten Schäden. Das Gericht befand darüber hinaus, dass der Anteil von RWE bezogen auf die globalen Emissionen unbedeutend sei.
Was geschah am 13. November 2017 beim OLG Hamm?
Das Gericht eröffnete die mündliche Anhörung und durchmaß die ganze Breite der einschlägigen Rechtsfragen durch Verlesen der Zusammenfassung eines 60-seitigen „Votums“ als Basis seiner Meinungsbildung. Es legte in seiner sehr in die Tiefe gehenden Argumentation dar, warum es Saúl Luciano Lliuyas Anspruch für berechtigt hält und verwarf jedes einzelne Gegenargument der Beklagten. In weiten Teilen übernahm es das Vorbringen der Anwältin Saúl Luciano Lliuyas. Das anwesende Publikum jubelte zeitweilen.
Das Gericht entschied noch nicht über die Beweisfrage, sondern nur über die generelle Möglichkeit der weiteren Prozessführung mit der Aussicht, einer Entscheidung zu Gunsten des Klägers, wenn der Beweis zur Überzeugung des Gerichts erbracht wird.
Der Charakter der Anhörung am 13. November war ungewöhnlich und eine Überraschung für alle Anwesenden. Das Gericht begründete seine Rechtsauffassung mit großer Mühe und rechtlich erheblicher Begründungstiefe.
Ist das Votum des Gerichts zugänglich?
Nein. Leider ist das Votum ein internes Dokument, auf das das Gericht aber in seinem Hinweis- und Beweisbeschluss vom 30. November 2017 Bezug nimmt.
Was sagte das OLG Hamm?
Das Gericht stellte fest:
- Das Gericht bejaht seine internationale Zuständigkeit und die Anwendbarkeit deutschen Rechts.
- Der Klimawandel und die Prozesse, die zu lokalen Einwirkungen führen, ebenso wenig wie die große Entfernung zwischen Emissionen und Auswirkungen, zu einer rechtlichen Hürde im Hinblick auf die Anwendung allgemeinen Delikts- und Störungsrechts.
- Das Waldschadensurteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1987 ist kein Präzedenzfall für die Klimahaftung.
- Wenn auch die RWE-Emissionen nicht für das gesamte Flutrisiko auf Grund der Gletscherschmelze verantwortlich sind, so reicht es doch aus, dass sie teilweise für das aktuelle und gegebene Flutrisiko verantwortlich sind. Der Anteil der Emissionen von RWE ist nicht als solcher unbedeutend für eine Verantwortung gemäß § 1004 BGB.
- Es gibt keine formalen oder andere Hindernisse für einen Fortgang des Verfahrens.
- Es besteht die Notwendigkeit der formalen Beweiserhebung.
Das Gericht befragte RWE, ob die Beklagte auf dieser Basis zu einer Beendigung des Rechtsstreites im Wege des Vergleichs bereit sei. Saúl Luciano Lliuya bot im Interesse einer Beschleunigung des Verfahrens an, über einen Vergleich zu verhandeln. – er will das Problem der Palcacocha Lagune lösen, anstatt über Experten und wissenschaftliche Details zu verhandeln. RWE lehnte Vergleichsverhandlungen ab.
Was passierte am 30. November 2017?
Das Gericht hat seine Entscheidung am 30. November 2017 verkündet. Wie erwartet kam es zu einem Hinweis- und Beweisbeschluss gemäß der mündlichen Ausführungen am 13.11.17. Die Parteien werden aufgefordert, sich innerhalb eines Monats auf Namen von Experten zu einigen, die zu den konkreten Beweisfragen Stellung nehmen können, diese finden Sie hier.
Welche Rolle spielen Klimamodelle und die Wissenschaft?
Im Rahmen des schriftlichen Verfahrens hat RWE der Nutzbarkeit von Klimamodellen für den Kausalitätsnachweis in Gerichtsverfahren widersprochen. Saúl Luciano Lliuya hat argumentiert, dass Modelle im Wesentlichen technisch unterstütze Statements von Experten sind. Modelle enthalten Fakten und wissenschaftliche Annahmen. Saúl Luciano Lliuya verwies auch darauf, dass für den Nachweis von Kausalität in seinem Fall kein besonderes Zurechnungsmodell erforderlich ist angesichts der klaren Aussagen des Fünften Assessment Reports des IPCC bezüglich der Klima – Auswirkungen auf die Cordillera Blanca:
- Für den nördlichen und mittleren Teil der Peruanischen Anden wurde über die Periode von 1961 – 2009 ein Temperaturanstieg zwischen 0,2 und 0,45 % je Dekade beobachtet.
- Der Rückzug der tropischen Gletscher hat sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschleunigt (Gebietsverlust zwischen 20 und 50 %), besonders seit den späten 70er Jahren verbunden mit steigenden Temperaturen in derselben Periode.
- Ein schneller Rückzug und Abbau der tropischen Andengletscher in Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Peru und Bolivien wird im Übrigen berichtet gemäß dem IPCC AR4 auf der Grundlage verschiedener Techniken (hohe Zuverlässigkeit aufgrund hoher Übereinstimmung und robuster Beweise).
- “Der Rückgang der tropischen Gletscher und Eisfelder in den außertropischen und tropischen Anden während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts .. können dem Anstieg der Temperatur zugeschrieben werden (...)“
- Insgesamt gibt es ein „sehr hohes Maß der Überzeugung (confidence)“ hinsichtlich des Zusammenhangs des Rückzugs der Gletscher in den Anden in Südamerika mit dem Klimawandel.
Diese Aussagen sind ein Ergebnis der Beobachtungen, z. B. von Gletschermaßen und deren Ausdehnung und auch modell-basierter Studien zu den Ursachen dieser Beobachtungen, sowie deren Bewertung. Saúl Luciano Lliuya hat Beweis durch IPCC Autoren vorgelegt (Dr. Christian Huggel, Prof. Mojib Latif), die bestätigen, dass die IPCC Erklärungen auf den Fall anwendbar sind.
Das Gericht hat bestätigt, dass es davon ausgeht, dass Klimamodelle geeignet sein können, rechtlich relevanten Beweis zu begründen entsprechend den Umständen , und dass es nicht zwingend ist, ein Attribution Modell zu entwickeln (RWE hatte behauptet, , dass kein geeigneten Beweismittel angeboten worden seien).