ProgRess II – mit Sicherheit über die planetarischen Grenzen hinaus
Das Bundeskabinett hat am 2. März eine Fortschreibung des Ressourceneffizienzprogramms beschlossen. Die Leitidee von ProgRess II ist es kurz gesagt, Innovationen und Chancen zu nutzen, um ökologische Grenzen beim weltweiten Wirtschaften einzuhalten. Dabei soll der Fokus auf Lebensqualität und nicht auf Wachstum des Bruttoinlandsprodukts gelegt werden. An und für sich ist dies ein sehr zu begrüßendes Ziel im Sinne der starken Nachhaltigkeit. ProgRess II trägt jedoch nur bruchstückhaft dazu bei. Es bleibt häufig unkonkret und lässt Lücken offen, die politisch hätten mit Leben gefüllt werden können. Insbesondere bei Menschenrechtsfragen ist gegenüber vorherigen Entwürfen Substanz verloren gegangen. Robuste, brauchbare Maßnahmen sind nach der Abstimmung zwischen den Ministerien in vielen Bereichen nur noch Lippenbekenntnisse. So fehlen auch in der zweiten Auflage von ProgRess klare Aussagen darüber, ob die Bundesregierung eine absolute Rohstoffverbrauchssenkung anstrebt. Noch nicht einmal der diskutierte und zur Messung dessen notwendige Konsumindikator (Rohstoffverbrauch pro Kopf) hat es ins Programm geschafft. Trotz vieler einzelner guter Maßnahmen wird Deutschland es nicht schaffen, mit ProgRess die Menschenrechte ausreichend zu schützen und den Rohstoffhunger von Wirtschaft und Gesellschaft auf ein verträgliches Maß zu reduzieren.
Menschenrechtsschutz im Rohstoffsektor
Der Rohstoffsektor verursacht immer wieder besonders umfangreiche Menschenrechtsverletzungen wie Zwangsumsiedlungen, gewaltsame Repressionen oder auch Arbeitsrechtsverletzungen bis hin zum Unfalltod. So betrafen nach einer Studie im Auftrag des früheren UN-Sonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte, John Ruggie, mit 28 Prozent die meisten wirtschaftsbezogenen Menschenrechtsvorwürfe den Abbau von Rohstoffen. Auch wenn das Ressourceneffizienzprogramm sich gegenüber seinem Vorgänger in diesem Bereich verbessert hat, kann es dieser Realität kaum etwas entgegen setzten.
Was im Septemberentwurf noch vielversprechen war, ist nun weichgewaschen. Im September-Entwurf hatte es noch geheißen: “Bei allen Förderinstrumenten der Rohstoffstrategie wird die staatliche Förderung an die verbindliche Einhaltung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte […] gekoppelt. Jetzt heißt es nur noch, dass die Förderwürdigkeit hinsichtlich Menschenrechten “geprüft” wird. Des Weiteren verweist das Ressourceneffizienzprogramm lediglich auf den parallel laufenden Prozess zur Erarbeitung eines “Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte”, der im Mai ins Bundeskabinett gebracht werden soll und bei ambitionierter Umsetzung ein essentieller Baustein für Menschenrechtsschutzbedeuteten würde.
Zu begrüßen ist dagegen, dass sich die Bundesregierung klar zu einer anspruchsvollen Umsetzung der EU-Verordnung zu Konfliktmineralienbekennt. Dementsprechend muss die Bundesregierung sich auf EU-Ebene dafür einsetzten, dass in den kommenden Wochen einepassende Grundlage geschaffen wird, um es Unternehmen nicht selber zu überlassen, ob sie mit ihrem Rohstoffhandel in den Abbauregionen blutige Konflikte finanzieren oder nicht. Seit Anfang Februar verhandeln die EU-Kommission, das EU-Parlament und die EU-Staaten über eine Verordnung zu Konfliktmineralien.
Auch wenn der Entwurf im September noch weitaus mutiger war, so ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung sich dafür einsetzten will, dass die Vertragspartner (leider ist Deutschland selber kein Vertragspartner ) die „in der UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker (UNDRIP)dargelegten Rechte anerkennen und umsetzten und dass diese sich zur Einhaltung des Übereinkommens über „eingeborene und in Stämmen lebenden Völker in unabhängigen Ländern“ (C169) der International Arbeiterorganisation (ILO) verpflichten.“
Interessant und begrüßenswert ist zudem der Ansatz der Bundesregierung, Natur-, Umwelt – und Sozialaspekte bei der Bewertung von Kritikalität von Rohstoffen auf nationaler und europäischer Ebene stärker zu berücksichtigt. Wir fordern die Bundesregierung aufdie Ergebnisse ihrer Forschung nicht nur zur Verfügung zu stellen, sondern sich auch dafür einzusetzen, dass diese auf Europäischer Ebene berücksichtigt werden.
Mit Sicherheit über die planetarischen Grenzen hinaus
Wundern muss man sich erneut, dass die Bundesregierung die Augen vor ihren finanzpolitischen Steuerungsmöglichkeiten in der Marktwirtschaft verschließt. Fördergelder für effizient produzierende Betriebe werden ausgeschüttet, aber öffentliche Vergabegelder nicht nach Kriterien der Ressourcenschonung ausgegeben. Der aufkommensneutrale Umbau des Steuersystems hin zur Besteuerung von Rohstoffverbrauch ist noch nicht einmal in Forschungsvorhaben vorgesehen. Ein gesunder Mix von ressourcenpolitischen Instrumenten sieht anders aus.
Einen kompletten Bruch mit der Systematik des Programms vollzieht das Kabinett, indem es Ressourceneffizienz im Baubereich gänzlich uminterpretieren lässt. Dort sollen zukünftig simple betriebswirtschaftliche Produktivitätssteigerungen die Ressourceneffizienz auf dem Papier steigen lassen können, selbst wenn kein Gramm Rohstoff eingespart wird.
Des Weiteren werden Unternehmen nach wie vor nicht verpflichtet, über ihre Ressourcenschonungsperformance in den Geschäftsberichten zu informieren, um Anleger/innen eine Investition in nachhaltige Unternehmen zu ermöglichen. Genauso wenig wurden Bonuszahlungen in Abhängigkeit der Ressourcenschonung aufgenommen.
Anzumerken ist zudem, dass die wenigen Indikatoren, die zur Überprüfung des Programms beschlossen wurden, weder um Ziele über das Jahr 2020, z.T. auch 2030, ergänzt, noch Zwischenziele ausgegeben wurden. Leider gelingt es der Bundesregierung einmal mehr nicht, mit ProgRess, andere Politikstrategien und Programme auf Ressourcenschonung auszurichten. Eine entsprechende Prüfung der High-Tech Strategie, der Rohstoffstrategie, des Programms für nachhaltigen Konsum sowie des Abfallvermeidungsprogramms hätte als leichte Maßnahme bereits innerhalb von zwei Jahren umgesetzt werden können.
Auch bei den Maßnahmen zur Förderung von längerer Nutzung von Produkten hat die Bundesregierung vielversprechende Ansätze wie die Schaffung der EU-rechtlichen Voraussetzung für eine Mehrwertsteuervergünstigung zugunsten ressourcenschonender Güter und Dienstleistungen (z.B. Reparaturen) wieder aus ihrem Plan genommen. Mindest- und Informationsanforderungen an Produzenten waren in den Entwurfsversionen zu ProgRess II vorgesehen und im Einklang mit aktuellen Verbesserungsanstrengungen bei der Fortentwicklung der EU-Ökodesignrichtlinie. Dazu zählen Vorgaben zur Erhöhung der Materialeffizienz, Lebensdauer, Recyclingfähigkeit. Nun sollen sie nur noch geprüft werden, was eigentlich schon längst auf EU-Ebene abgeschlossen ist.
Somit steuern wir auch mit diesem Programm weiterhin sicher über die Planetarischen Grenzen hinaus.
- Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen auf www.klima-der-gerechtigkeit.de -
Autor:innenJohanna Sydow (Germanwatch) und Benjamin Bongardt (Nabu) |