Blogpost | 14.08.2015

Griechenland mit Wind erneuern

Blog-Beitrag von Klaus Milke, August 2015
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Natürlich braucht es auch in Griechenland selbst umfassender und tiefgreifender Reformen. Was die deutsche Regierung tut, hilft mehr den Banken als den Menschen vor Ort. Stattdessen sollte Deutschland an einer Strategie mitwirken, dass Griechenland durch ausreichende Wirtschaftsleistung die angehäuften Schulden bedienen kann. Investitionen in Erneuerbare und Effizienz könnten Griechenland neue Wirtschaftsimpulse geben, Handelsdefizite verringern und Arbeitsplätze schaffen.

Mir ist unbegreiflich, wie die Regierung Deutschlands gegenüber Südeuropa und insbesondere Griechenland agiert. Deutschland, das seit dem Zweiten Weltkrieg mehr als jedes andere Land Europas durch den europäischen Einigungsprozess und multilaterale Institutionen profitiert hat – friedenspolitisch, wirtschaftlich, kulturell –, spielt nun eine aktive Rolle dabei, diesen Gemeinschaftsgeist Europas auszutreiben, der noch 2012 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.

Die Bundesregierung treibt Lösungen voran, die nicht die Perspektiven für die Menschen in Griechenland und den Krisenregionen der EU ins Zentrum stellen, sondern die Banken. Germanwatch als eine Organisation mit dem Mandat, auf eine entwicklungs- und umweltpolitisch konstruktive Rolle Deutschlands hinzuwirken, kann das nicht einfach hinnehmen. Ich sage der deutschen Regierung klar: Meine Interessen vertretet ihr auf diese Weise nicht.

Der groteske Schlagabtausch der letzten Wochen zwischen der neuen Regierung Griechenlands und der EU, allen voran einem schulmeisterlich auftretenden deutschen Finanzminister, ließ mich zunächst vor Verwunderung die Augen reiben und trieb mir dann die Zornesröte ins Gesicht. Jürgen Habermas schrieb dazu am 22. Juni in der Süddeutschen Zeitung: "Beide Seiten pochten papageienhaft darauf, vom jeweilig eigenen 'Volk‛ autorisiert worden zu sein. Die ungewollte Komik ihres einträchtig nationalstaatlichen Denkens führte der europäischen Öffentlichkeit unübertrefflich vor Augen, was wirklich fehlt – ein Fokus für eine gemeinsame politische Willensbildung der Bürger über folgenreiche politische Weichenstellungen in Kerneuropa."

Wer eine gemeinsame Währung schafft, muss auch wirksame europäische Institutionen und deren demokratische Kontrolle auf den Weg bringen. Wer mit seinen Partnern im gemeinsamen Zuhause Europa eine Zukunft aufbauen will, muss diesen eine Perspektive geben.

Germanwatch hat die wechselhafte Geschichte des Umgangs mit überschuldeten Staaten in Entwicklungsländern seit vielen Jahren beobachtet, kommentiert und im Rahmen der Kampagne "Erlassjahr 2000" ein internationales Insolvenzrecht gefordert. "Von Abs lernen" hieß eine Kampagne kurz nach unserer Gründung in den frühen 1990er Jahren, mit der wir auf intelligente Lösungen der Schuldenkrisen in Entwicklungsländern drängten. Der Slogan zielte auf den deutschen Bankier Josef Abs ab, der 1953 als Verhandlungsführer ein vorwärtsweisendes und an der Leistungsfähigkeit orientiertes Schuldenabkommen für eine nach dem Zweiten Weltkrieg überschuldete Bundesrepublik aushandelte. Sich als Siegermächte darauf einzulassen war eine Reaktion mit Weitblick.

Klar, ohne schmerzhafte Strukturreformen lief es auch hier nicht ab. Auch in Griechenland bedarf es harter Reformen – etwa gegen die Kleptokratie und Korruption, die das Land jahrzehntelang ausplünderten. Niemand kann von Geldgebern erwarten, in ein schwarzes Loch zu investieren. Aber damals wurde den Menschen in Westdeutschland einerseits durch die Investitionsimpulse des Marshallplans und andererseits durch das Londoner Schuldenabkommen 1953 eine Perspektive nach vorne aufgezeigt.

"Gläubiger sind manchmal weise, manchmal unglaublich dumm", fasst es prägnant Jeffrey Sachs zusammen, der seit 30 Jahren Länder in Finanzkrisen berät und sich von einem Vertreter harter Strukturreformen zu einem umsichtigen Berater entwickelt hat. "Die USA, Großbritannien und Frankreich waren unglaublich dumm, als sie Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg exzessive Reparationen aufbürdeten. In den 1940er- und 1950er-Jahren waren die USA dagegen sehr weise, sie haben Deutschland mit dem Marshall-Plan geholfen und 1953 die Schulden teilweise erlassen."

Sachs hat die negativen Konsequenzen gesehen, als die USA in den 1980er Jahren von Lateinamerika und Afrika exzessive Schuldenzahlungen verlangten. Und die positiven, als Polen 1989 ein kluger Schuldenerlass gewährt wurde – an dem sich widerwillig auch Deutschland beteiligte. Er kritisiert hart, dass die USA 1992 von Russland verlangten, Schulden aus der Sowjet-Ära strikt zu bedienen, was die Saat gesetzt habe für die schwierige Beziehung mit Russland heute. Er drängt Deutschland:

"Dies ist die Zeit, weise zu sein – und nicht hart. Deutschland sollte sich fragen, wie es Griechenland helfen kann, wieder zu hoffen. Weise zu sein, bedeutet nicht, weich zu sein. Weise und großzügig zu sein, würde Deutschlands Möglichkeiten vergrößern, Frieden und Wohlstand in Europa zu bewahren. Dies ist Deutschlands Verantwortung. Und dies liegt in seinem vitalen nationalen Interesse."

Schulden können nur zurückgezahlt werden, wenn Staaten dazu in der Lage sind. Deshalb gilt es, zu vereinbaren, dass Schulden nur bei ausreichender Wirtschaftsleistung zurückzuzahlen sind. Dann ist es in beiderseitigem Interesse, mit den betroffenen Staaten – in diesem Fall Griechenland – eine Strategie zu entwickeln, die sie dazu in die Lage versetzt, das Geld zurückzuzahlen. Es gilt, den Aufbau eines Mittelstandes zu unterstützen und Steuereinnahmen zu schaffen, schuldentreibende Importe von Rohstoffen möglichst einzuschränken durch intelligente Lösungen im Land und neue Hoffnung im Land wachsen zu lassen.

Wir brauchen zudem eine Zivilgesellschaft, die den Menschen in Griechenland die Hand reicht und sich gemeinsam mit ihnen gegen die Kleptokratie dort sowie gegen eine falsche Politik Deutschlands einsetzt, die konkrete und pragmatische Vorschläge vorlegt. Hier ein Beispiel aus dem Bereich, in dem Germanwatch Expertise hat: Eine Studie des Mercator Research Institute on Global Commons hat jüngst gezeigt, dass eine europäische Energiewende mit einem hohen Grad an Investitionen für erneuerbare Energien in den Krisenländern Südeuropas notwendige Wirtschaftsimpulse geben, die Handelsdefizite reduzieren und dort Arbeitsplätze schaffen könnte. Studien des Global Climate Forum deuten darauf hin, dass die Win-win-win-Situation bei Investitionen in Energieeffizienz sogar noch größer wäre. Außerdem sinkt die Notwendigkeit sich zu verschulden, weil weniger Öl und Gas importiert werden muss.

Angebracht erscheint sicherlich auch eine kritische Bewertung der an Griechenland gestellten Forderung, Staatsbesitz im Wert von 50 Milliarden Euro zu verkaufen, als Bedingung dafür, dass das Land weitere Finanzhilfen erhält. Wenn dies geschieht, ist das unter Umständen der weitere infrastrukturelle Ausverkauf des Landes, der auf dem Irrglauben beruht, dass ein Mehr an Privatisierung immer auch ein Mehr an Wohlstand mit sich bringt. Wenn man aber über eine zukunftsfähige Investitionspolitik in Griechenland redet, und damit vor allem erneuerbare Energien und Energieeffizienz meint, so sollte man Wissens- und Technologietransfer sowie das Einbeziehen der griechischen Privatwirtschaft betonen. Hier könnte Deutschland mit seiner Expertise viel leisten und eine verstärkte Wirtschaftskooperation zwischen griechischen und deutschen Unternehmen angehen.

So sieht ein wohlverstandenes deutsches Interesse aus, das zugleich die Interessen der EU-Partner im Blick hat. Es wäre ein wichtiger Beitrag gegen die Krise in den Ländern Südeuropas. Es wäre ein wichtiger Schritt für Energieeffizienz und die Dekarbonisierung des Energiesystems – zwei Säulen der EU-Energieunion. Und nicht zuletzt wäre es wenige Monate vor dem UN-Klimagipfel von Paris ein bedeutender Beitrag gegen den Klimawandel. Es ist höchste Zeit, konstruktive und zukunftsfähige Wege nach vorne zu bahnen.


Dieser Beitrag ist als Standpunkt zuerst auf http://www.klimaretter.info/standpunkte/19370-griechenland-mit-sonne-und-wind-erneuern erschienen.


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