Gerechtigkeit in der Klimakrise
In Griechenland führten Unwetter im Sommer 2023 zu verheerenden Überschwemmungen. Besonders betroffen war u.a. die Region Thessalien, wo auch der Ort Platykampos liegt (im Bild).
Foto: picture alliance / ANE / Eurokinissi | Leonidas Tzekas
Durch den Klimawandel häufen sich die Wetterkatastrophen in Europa. Besonders heftig traf es im vergangenen Jahr Griechenland, und auch 2024 begann die Waldbrandsaison dort außergewöhnlich früh. Die extremen Ereignisse in Griechenland waren auch ein besonderer Fokus bei einem Vortrag von dem ZDF-Wetter- und Klimaexperten Özden Terli mit anschließender Podiumsdiskussion. Die Wetterkatastrophen von 2023 waren so heftig, dass sie zu einer weiteren, schnell wachsende Kernherausforderung für Demokratie und Solidarität werden – in Griechenland und in der EU.
Für Griechenland war 2023 ein entscheidendes Jahr – „die Klimakrise ist da“ kommentierte Christos Zerefos, Leiter des Forschungszentrums für Atmosphärenphysik und Klimatologie an der Athener Akademie gegenüber dem Handelsblatt. Er und die Podiumsdikussion in Andernach bezogen sich auf die Serie von extremen Wetterkatastrophen in Griechenland:
- Hitzewelle: Die Oberflächentemperatur des Mittelmeers stieg auf den höchsten Stand seit Beginn der systematischen Messung. Das Hoch Cerberus brachte die längste Hitzewelle in Griechenland seit Menschengedenken. In Athen blieb das Thermometer für 300 Stunden am Stück über 30°C. Die Temperaturen stiegen dort auf 45,4°C, in Gythio, auf der Halbinsel Peloponnes wurden sogar 46,4°C gemessen.
- Waldbrände: Extreme Hitze und Trockenheit begünstigten das Entstehen zahlreicher verheerender Wald- und Buschbrände. Besonders schlimm traf es im Juli die Ferieninsel Rhodos. Fast zwölf Prozent der Inselfläche wurden eingeäschert. Einen Monat später kämpften die Feuerwehren vergeblich gegen den großen Waldbrand, der im Nationalpark Dadia in Nordostgriechenland ausgebrochen war. Nach Satellitenbildern des europäischen Erdbeobachtungssystems Copernicus und nach Angaben der EU-Kommission war es der größte je beobachtete Waldbrand auf dem Boden der EU. Insgesamt verbrannten in Griechenland vergangenes Jahr 175.000 Hektar Land. Das war das Vierfache des Durchschnitts der Jahre 2006 bis 2022. Damit ragt Griechenland selbst im Mittelmeerraum heraus, wo es sehr viele Waldbrände gab.
- Außergewöhnliche Regenfälle: Insbesondere im mittelgriechischen Thessalien folgten auf die wochenlangen Hitzewellen mit dem Sturmtief „Daniel“ extreme Niederschläge. Der sintflutartige Regen Anfang September 2023 in Griechenland war ein Ereignis, das „früher für unwahrscheinlich oder unmöglich gehalten worden wäre“, erklärt der Wetter- und Klimaexperte des ZDF, Özden Terli, bei der Veranstaltung in Andernach.
Die Übersicht zeigt die durch (Wald-)Brände zerstörte Landfläche in Europa und im Mittelmeerraum im Jahr 2023.
Foto: Copernicus Climate Change Service
„Es fielen örtlich mehr als 700 Liter Wasser pro Quadratmeter in weniger als 24 Stunden. Zum Vergleich: 500 bis 700 Liter ist in etwa die Jahresmenge an Niederschlägen in deutschen Städten“, erklärt Terli. Im Ahrtal waren es im Juli 2021 „nur“ 100 bis 260 Liter pro Quadratmeter.
Verheerende Folgen der Klimakrise
Die große Tiefebene in der Region Thessalien stand im September 2023 völlig unter Wasser. Unter anderem für die Stadt Larisa wurde Alarm ausgelöst. Dort erreichte der Fluss Pinios einen Pegelstand von 9,5 Metern, während es normalerweise rund vier Meter sind. Die Feuerwehr evakuierte mehrere Stadtteile. „Aufgewachsen bin ich in Larisa, ja, dort, wo zwei Mal in drei Wochen alles unter Wasser stand“, erzählt uns Mena, die wir auf einer Busfahrt treffen. „Meine Familie hat Glück gehabt. Alles trocken im Haus. Deshalb halfen sie anderen. People help people. So machen wir das immer schon.“ In Larisa wie auch im Ahrtal reagieren viele Menschen in Katastrophen solidarisch.
Christiane Bals moderiert die Diskussion mit Özden Terli, Christoph Bals und den Entscheidungsträger:innen der Stadt Andernach.
Foto: Karl-Peter Schmelzeisen
Und was war der Grund für die extrem heftigen Regenfälle? Wenn wie 2023 und 2024 die Meere – auch das Mittelmeer – und die Luft erheblich wärmer sind als je gemessen, verdunstet deutlich mehr Wasser. Özden Terli: „Jedes Mal, wenn Kaltluft dann in Richtung Mittelmeer unterwegs ist, müssen wir davon ausgehen, dass es irgendwo zu Überschwemmungen kommt, zu extremen Wetterereignissen. Eigentlich passiert das jedes Jahr. Aber wenn das Mittelmeer besonders warm ist, dann sind die Auswirkungen eben auch besonders stark bis extrem.“
Hermann Flohn, ein Vordenker der deutschen Klimawissenschaft, warnte schon 1979 vor den Konsequenzen des menschgemachten Klimawandels für den ganzen Mittelmeergürtel, deren Beginn wir heute sehen.
Foto: Foto: Karl-Peter-Schmelzeisen
Der Meteorologe und TV-Moderator Özden Terli spricht während der Veranstaltung in Andernach.
Foto: Karl-Peter Schmelzeisen
Mindestens 15 Tote gab es durch dieses Sturmtief in Griechenland. Allein die Kornkammer des Landes, Thessalien, verlor mehr als ein Fünftel ihrer landwirtschaftlichen Produktion. Knapp 200.000 Nutztiere sind bei dem Hochwasser ertrunken, darunter mehr als 60.000 Schafe und Ziegen, 20.000 Schweine und 5.000 Kühe. Solange die Menschen mehr Treibhausgase freisetzen als absorbiert werden, also mindestens bis Mitte des Jahrhunderts, wird es noch wärmer werden.
Özden Terli zeigt auch einen Nachrichtenbeitrag aus der Tagesschau von 1979 zur ersten wissenschaftlichen Weltklimakonferenz, der schon damals auf die verheerenden Folgen des Klimawandels für die Mittelmeerregion aufmerksam machte.
Terli ist sichtlich bewegt, als er über die Katastrophe spricht. Und er warnt heute: „Wir werden uns angesichts der weitergehenden globalen Erhitzung wohl leider auf solche lokalen Katastrophen einstellen müssen.“ Er fügt hinzu: „Und wir sollten auch im Blick haben, dass das Sturmtief dann weitergezogen ist und etwa in Lybien noch viel verheerendere Folgen hatte. Nach dem Bruch zweier Staudämme gab es dort mindestens 11.300 Tote“. Es sei höchste Zeit zum entschiedenen Handeln.
Die Klimakrise als Herausforderung für die heutige Form von Demokratie
Das Beispiel Griechenland zeigt: Hier stößt die in Nationalstaaten organisierte Demokratie an ihre Grenzen. Es bedarf struktureller Weiterentwicklungen – global, aber auch innerhalb der EU.
Einerseits geht es darum, die Klimakrise so einzudämmen, dass das Unbewältigbare vermieden wird. Dafür steht das Pariser Klimaabkommens, das festlegt, die globale Erwärmung möglichst auf 1,5°C zu begrenzen. Das Dilemma dabei: Eigentlich soll die Demokratie den Menschen, die von Entscheidungen anderer betroffen sind, ein Mitspracherecht an diesen Entscheidungen einräumen. Doch beim Klimawandel klaffen Betroffenheit und Mitspracherechte extrem weit auseinander. Laut dem aktuellsten Bericht des Weltklimarats IPCC sind die zehn Prozent der reichsten Haushalte weltweit – immer noch überwiegend in den klassischen Industrieländern – für 36–45% der globalen Emissionen verantwortlich. Die am wenigsten verdienende Hälfte der Haushalte – die meisten davon in ärmeren Ländern des Globalen Südens – verantwortet nur 13–15% der Emissionen. Und obwohl genau diese ärmere Hälfte der Menschen am existenziellsten von der Klimakrise betroffen ist, hat sie kaum ein Mitspracherecht bei diesen Entscheidungen der am stärksten emittierenden Menschen, Staaten und Unternehmen.
Es geht aber gerade darum, Schutz und Unterstützung für die besonders Betroffenen zu organisieren, die oft weder Geld noch Organisationsmacht haben, sich selbst zu schützen, damit sie das inzwischen Unvermeidbare bewältigen können. Das betrifft auch den ärmeren Teil der Bevölkerung in den Industrienationen. Wenn das nicht gelingt, in Griechenland zeigt sich das schon jetzt, schüren und instrumentalisieren Rechtspopulist:innen wirkungsvoll Angst und Zorn der Menschen.
Globale Nachbarschaft in der Klimakrise
Die Treibhausgasemissionen haben uns zu „globalen Nachbarn“ gemacht, weil sie – egal wo sie freigesetzt werden – alle gleichermaßen betreffen, so argumentiert das Oberlandesgericht Hamm in der Klage des Peruaners Saúl Luciano Lliuya gegen RWE. Mit der von Germanwatch und der Stiftung Zukunftsfähigkeit unterstützten Klage „verlangt erstmals ein vom Klimawandel Betroffener von einem der größten Treibhausgasemittenten Europas, dass sich das Unternehmen an dringend notwendigen Schutzmaßnahmen beteiligen soll“. Doch allenfalls bei den UN-Klimaverhandlungen und durch solche Klagen haben die besonders Betroffenen bislang ein gewisses Mitspracherecht.
Nicht nur international, auch innerhalb der einzelnen Staaten sind Menschen, die relativ wenig zu treibhausgasrelevanten Entscheidungen beigetragen haben, in der Regel am stärksten betroffen. Derzeit drängen viele Landwirt:innen in Thessalien, deren Anbaufläche noch immer von den im Vorjahr neu entstandenen Seen überflutet ist, vehement darauf, „ihr Land zurückzubekommen“. Klimawissenschaftler Christos Zerefos sagt gegenüber einem US-amerikanischen Fernsehsender, dass Griechenland und ganz Europa den Zivilschutz angesichts der Klimakrise völlig neu gestalten müssen, wenn sie nicht politischen Unruhen Vorschub leisten wollen.
Gemeinsam für mehr Klimaschutz
Es ist nicht so, als hätten die Regierung und die EU gar nicht reagiert. Immerhin konnte der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis im vergangenen Jahr verkünden, dass die EU für die Fluthilfe 2,25 Milliarden Euro zur Verfügung stelle. Und die griechische Regierung will nun in gewissem Ausmaß die relativ Reichen, die als Tourist:innen ins Land kommen, für den Katastrophenschutz zahlen lassen. Sie hat die bisherige Bettensteuer durch eine deutlich höhere – und sozial gestaffelte – Tourist:innensteuer ersetzt. Mit den Einnahmen soll das Geld für die Katastrophenhilfe in Griechenland immerhin von 300 auf 600 Millionen Euro im Jahr verdoppelt werden. Aber das kann nur ein Anfang sein.
Konstantinos Tsilimekis, Leiter des Bereichs „Welternährung, Landwirtschaft und Handel“ bei Germanwatch, drängt etwa darauf, die Anpassungsfinanzierung in der EU mit Blick auf zunehmende Klimaschäden für die besonders betroffenen Länder deutlich weiter auszubauen. Im Landwirtschaftsbereich gehe es darum, mit den und nicht gegen die Landwirt:innen Konzepte für ausreichende Klimaschutzmaßnahmen zu entwickeln; aber sie auch durch konkrete Sofortmaßnahmen und Investitionen für die Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels stärker zu unterstützen als bislang. Es gehe um Konzepte, welche Zukunftsperspektiven für die Bäuer:innen mit denen für die Gesamtgesellschaft verbinden. Die Statistiken zeigen: Gute Anpassungsmaßnahmen können derzeit noch mindestens 60% der ökonomischen Schäden vermeiden – vom Schutz von Menschenleben ganz zu schweigen.
Christoph Bals ruft alle auf, in verschiedenen Rollen die notwendigen Entscheidungen für Klimaschutz und den Schutz der Betroffenen zu unterstützen.
Foto: Karl-Peter Schmelzeisen
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat den betroffenen Bürger:innen im April 2024 den Rücken gestärkt und effektiven Klimaschutz der Staaten zum Menschenrecht erklärt. Dafür sind maßgeblich die „Klimaseniorinnen“ der Schweiz verantwortlich, die vor dem EGMR erfolgreich gegen ihr Heimatland geklagt haben, weil es zu wenig für den Klimaschutz tut. Dafür gebührt ihnen ein dickes Dankeschön! Damit ist es nun erfolgversprechender als bisher, dass besonders betroffene Menschen von den europäischen Staaten ausreichende Maßnahmen für Klimaschutz und -anpassung einklagen können. Diese Möglichkeit erzeugt Druck auf die Regierungen in Europa, ihr Demokratieverständnis weiterzuentwickeln. Sie müssen ihre Klimapolitik am Schutz der Menschenrechte besonders verletzlicher Menschen ausrichten, die meist keine starke gesellschaftliche Stimme haben.
Es liegt an der Zivilgesellschaft in den europäischen Ländern, auch in Griechenland, dies nun durchzusetzen.
Autor:innenChristoph und Christiane Bals |
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ZitiervorschlagBals, C., 2024, Gerechtigkeit in der Klimakrise |