Pressemitteilung | 30.01.2004

Debatte um Emissionshandel.


 

Pressemitteilung

Berlin 30.1.2004. Die deutsche Industrie steht nicht mehr zu ihren Klimaschutzzielen, die sie in freiwilligen Selbstverpflichtungen der deutschen Gesellschaft gemacht hat. Gestern abend waren die Verhandlungsführer der Industrie nicht bereit, in dem hochrangigen Staatssekretärs-Treffen über die Pläne des Umweltministeriums zum Emissionshandel zu reden. Das BMU erwartet, dass die Industrie im Rahmen des Emissionshandels leistet, was sie in ihrer Klima-Selbstverpflichtung versprochen hat: Für die Jahre bis 2012 steht demnach noch eine Treibhausgas-Reduktion von 7 bis 7,9 Prozent aus. Die Industrie will dagegen jetzt das Recht ertrotzen, ihre Emissionen bis 2012 sogar wieder zu steigern (Siehe auch Hintergrundinfos unten).

"Jeder weiß, dass ein Emissionshandel nur funktionieren kann, wenn es zu einer Begrenzung der zugestandenen Menge und nicht zu einem "business as usual" kommt. Mit solch einer Position erneuert die deutsche Wirtschaft ihre gerade überwundene Fundamentalopposition gegen das Instrument Emissionshandel," kommentiert Germanwatch-Klimaexperte Bals. "Was die Industrie an Klimaschutz nicht leistet, müssten dann vor allem die Verbraucher - beim Heizen und Autofahren - einsparen. Klimaschutz für die Kleinen, Klimafreibrief für die Großen scheint zum Slogan der Industrie zu werden. Das ist unakzetabel."

Jahrelang hat die deutsche Industrie und Energiewirtschaft beteuert, zu ihren Klimaschutzzielen zu stehen. Dafür hatte sie von der Politik sowohl Ausnahmeregelungen von der Ökosteuer sowie den Verzicht auf eine Wärmenutzungsverordnung zugestanden bekommen. Doch jetzt wollen die Verhandlungsführer der deutschen Wirtschaft von diesen Zielen nichts mehr wissen. "Dies ist eine Nicht-Verlässlichkeitserklärung der deutschen Wirtschaft. Wer verhandelt noch mit der Wirtschaft Konzepte, wenn diese sich nach Belieben davon verabschiedet?", so Bals. In der Arbeitsgemeinschaft Emissionshandel hatten in den vergangenen zwei Jahren die meisten Vertreter der Industrie der Position zugestimmt, die Reduktionszusage der Selbstverpflichtungserklärung zur Grundlage des Allokationsplans zu machen.

Wie bei der Debatte um die EU-Direktive zum Emissionshandel im Jahr 2002 wollen auch jetzt einige Unternehmen den BDI wieder auf den Kurs einer Fundamentalopposition einschwören. Andere Unternehmen zeigen sich verblüfft, wie weit die Pläne des Umweltministeriums den Vorstellungen der Industrie entgegenkommen.

  • Es wird von der Industrie und Elekrizitätswirtschaft nicht mehr an Treibhausgas-Reduktionen verlangt, als diese selbst in ihren Selbstverpflichtungen ausgehandelt hatte. Für den politisch verordneten Ausstieg aus der Atomenergie soll die Elektrizitätswirtschaft ensprechende zusätzliche Mengen CO2 zugestanden bekommen. Dabei wird von dem sogenannten "Drittelmix" beim Ersatz der Kernkraftwerke ausgegangen. Allerdings schrumpft diese Menge, weil von ihr die CO2-Reduzierung durch Steigerungen der Kapazitätsauslastung der verbleibenden Atomkraftwerke sowie für den gesetzlich beschlossenen Ausbau der Erneuerbaren Energien abgezogen wird.
  • Die deutsche Industrie erhält ihre Grundausstattung an Zertifikaten alle umsonst und muss nicht - wie es etwa die dänische Regierung plant - einen Teil der Zertifikate ersteigern.
  • Alle neuen Kraftwerke, durch die auslaufende Kohlekraftwerke ersetzt werden, erhalten bis 2012 die Zertifikatsmenge, die ihnen für die alten Kohlekraftwerke zugestanden hätten. Damit werden selbst effiziente, neugebaute Kohlekraftwerke, die alte ersetzen, mit Zertifikaten überausgestattet. Damit wird für den Zeitraum, für den auch die Selbstverpflichtungserklärung Investitionssicherheit gegeben hatte, diese gewährt. Lediglich "Newcomer", die nicht als Ersatz, sondern zusätzlich zum alten Bestand Kraftwerke bauen, werden bei der Zuteilung der Zertifikate an der Messlatte moderner Gas-und-Dampf-Kraftwerke gemessen.
  • Auch "early action", also bereits getätigte Klimaschutzinvestitionen der betroffenen Unternehmen, können bis zu einer gewissen Höchstgrenze in Anrechnung gebracht werden.
"Wer angesichts eines solchen großzügigen Angebots, das ein tragfähiger Kompromiss ist, nur noch 'nein' schreit, der will in Wirklichkeit die Klimaschutzziele torpedieren", kommentiert Bals. "Wir hoffen deshalb, dass sich auch in der Industrie die besonnenen Kräfte durchsetzen, die beim nächsten Termin der Staatssekretärsrunde am 12.2. zu einer konstruktiven Lösung kommen wollen."
 

Hintergrundinformationen zur Pressemitteilung:

Abhängig von den bisher von den genauen, bisher von Teilen der Industrie nicht in der notwendigen Qualität vorgelegten Zahlen über den "Jetzt-Ausstoß" (2000-2002) wird nach den BMU-Plänen eine Treibhausgas-Reduktion um 7 bis 7,9 Prozent durch die betroffenen Unternehmen bis zum Ende der Verpflichtungsperiode (2012) erwartet. Der Erfüllungsfaktor beträgt nach den Plänen des BMU also 0,92x.

Die Industrie will dagegen im Rahmen des Emissionshandels den Ausstoß ihrer Emissionen nicht verringern, sondern verlangt sogar eine Steigerung ihres heutigen Treibhausgasausstoßes bis 2012. Statt 505 Millionen Tonnen im Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2002, will sie dann 506 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre blasen. Tatsächlich will sie ihren Ausstoß sogar noch stärker steigern, da sie für vergangene Klimaschutzleistungen ("early action") und den Ausbau der Kraftwärmekopplung eine weitere Erhöhung der ihr zugeteilten Menge fordert. "1 plus" ist das Schlagwort für den von den Vertretern der Industrie geforderten Erfüllungsfaktor.
 

Für Rückfragen und Interviewwünsche wenden Sie sich bitte an:


Weitere Infos: