Risiken des Klimawandels und des Ölpreisanstiegs spiegeln sich nicht ausreichend in Geschäftsberichten der Automobilindustrie wider.
Pressemitteilung
Bonn, 19.2.08. Für die Automobilkonzerne in den USA zählen die steigenden Ölpreise zu den entscheidenden Faktoren, die seit einiger Zeit die Gewinne einbrechen lassen. Auch Billigflieger Ryanair verkündete vor wenigen Tagen, dass aufgrund der hohen Ölpreise im laufenden Geschäftsjahr die Gewinne um bis zu 50 Prozent sinken könnten. Die deutschen Automobilkonzerne befürchten durch die von der EU-Kommission angekündigte Klimagesetzgebung Wettbewerbsnachteile. "Unternehmen, die sich nicht auf den hohen Ölpreis und die kommende Klimagesetzgebung einstellen, können zum Finanzrisiko für ihre Anleger werden", kommentiert Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch.
Mit den Pflichten für Unternehmen, solche Risiken offen zu legen, beschäftigt sich ein von Germanwatch in Auftrag gegebenes und von der Rechtsanwältin Dr. Roda Verheyen von der Hamburger Kanzlei Günther, Heidel, Wollenteit und Hack erarbeitetes Rechtsgutachten. Es wurde im Rahmen des durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsprojekts "Mainstreaming von Klimarisiken und -chancen im Finanzsektor" erstellt. Das Gutachten betrachtet klima- und ölpreisbezogene Risiken des Klimawandels für Unternehmen am Beispiel der deutschen Automobilkonzerne. Es widmet sich der Frage, inwieweit die Unternehmen dazu verpflichtet sind, klima- und ölpreisbezogene Risiken den Aktionären im Lagebericht offen zu legen. Banken und Versicherer hatten im Rahmen des Projekts darauf hingewiesen, wie wichtig eine transparente Offenlegung für ihre Bewertung sei. Das Gutachten untersucht die rechtlichen Vorgaben sowie den derzeitigen Umgang der deutschen Automobilkonzerne damit. In seinem Kern befasst sich das Gutachten mit den Berichtspflichten im Rahmen des Lageberichts von Kapitalgesellschaften. Es gibt aber auch einen Überblick über andere Berichts- und Informationspflichten der Automobilkonzerne. Das Gutachten bewertet auch mögliche Haftungsrisiken für Unternehmen oder Vorstände von börsennotierten Unternehmen bei Verstößen gegen die identifizierten Rechtspflichten.
Die Analyse der zum Teil neuen gesetzlichen Regelungen zeigt, dass sie den Anlegerschutz im Finanzmarktgeschehen insgesamt und ausdrücklich auch die Transparenz im Hinblick auf umwelt- und klimabezogene Risiken fördern sollen. Nach mehrfachen Gesetzesänderungen auf Ebene der EU und der Nationalstaaten im Bilanz-, Aktien-, Wertpapier- und Investmentrecht bestehen - so Roda Verheyen - "unzweifelhaft Pflichten für alle Akteure im Finanzsektor, ihren Anlegern und der Öffentlichkeit die regulativen Risiken des Klimawandels bzw. die Ölpreisrisiken offen darzulegen". Das Gutachten benennt einen wichtigen Anhaltspunkt dafür, wann solche Risiken wesentlich - und deshalb zwingend zu berichten - seien: Nämlich immer dann, wenn die Geschäftsführung die Risiken für so wesentlich hält, dass sie im Bereich des Lobbyings oder der wissenschaftlichen Beurteilung aktiv wird. Christoph Bals kommentiert: "Das Gutachten könnte für die Autokonzerne und andere Unternehmen mit hohem Treibhausgasausstoß ein Anstoß sein zu überprüfen, ob sie die notwendige Transparenz an den Tag legen."
Das Gutachten geht beispielsweise davon aus, dass dem Anleger zur Beurteilung der Chancen des Automobilunternehmens in der Zukunft der durchschnittliche Flottenverbrauch, gewichtet anhand von tatsächlich verkauften Fahrzeugen, dargelegt werden muss. Laut einer im Jahr 2006 von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte durchgeführten Umfrage unter Investoren ist dieser Indikator derzeit der wichtigste, um die bestehenden klimabezogenen Risiken für ein Unternehmen der Autobranche bewerten zu können. Darüber hinaus müssen laut des Gutachtens Automobilkonzerne eine mittelfristige Prognose für die Risiken des Klimawandels für die Geschäftstätigkeit abgeben und - soweit möglich - quantifizieren. Das BMBF-Projekt, das Germanwatch gemeinsam mit der Universität Potsdam, dem Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie durchführt, entwickelt methodische Ansätze weiter, um solche Risiken angemessen darzustellen.
Eine ebenfalls im Auftrag von Germanwatch vorgenommene Auswertung der Lageberichte aller großen europäischen Automobilkonzerne des Jahres 2006 durch den Finanzmarktexperten Dr. Axel Hesse zeigt, dass die gegenwärtige Praxis den neuen gesetzlichen Anforderungen an die Transparenzpflicht nicht entsprechen dürfte.
Für Rückfragen und Interviewwünsche wenden Sie sich bitte an:
- Christoph Bals, Telefon: 0228-60492-17, Mobil: 0174-3275669, E-Mail: bals@germanwatch.org
- Dr. Roda Verheyen, Mobil: 0179-4652979
- Dr. Axel Hesse, Mobil: 0251-2394679
Weitere Infos:
- Roda Verheyen: Klimabezogene Berichtspflichten der Automobilkonzerne (Kurztitel) - Rechtsgutachten
- Axel Hesse: Climate Change Risk Reporting in the Annual Reports 2006 of the European Automobile Industry (engl.)
- Pressemitteilung vom 28.6.08 und Gutachten zur rechtlichen Situation in Italien, Frankreich und Deutschland