Erfolgsgeschichte European Green Deal? Nationalstaaten sind jetzt am Zug
Um das erklärte Ziel zu erreichen, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen, müssen die Mitgliedsstaaten und insbesondere auch die deutsche Bundesregierung bei der Umsetzung des European Green Deals deutlich entschlossener vorgehen. Entsprechender Druck entsteht von den Bürgerinnen und Bürger und von der EU-Ebene.
Ursprung des Europäischen Green Deals ist eine Bottom-up-Dynamik, die 2019 demokratisch zum Ausdruck kam
Die starke Mobilisierung von Jugendlichen, die lokal verortete und global vernetzte Bewegung von Fridays For Future, unterschiedliche Klimaklagen und nicht zuletzt Wahlentscheidungen zeigen die Besorgnis europäischer Bürgerinnen und Bürger über die Klimakrise und weitere Umweltrisiken. Die Ergebnisse der letzten Europawahl gaben dem Europäischen Parlament und der Kommission unter Ursula von der Leyen ein klares demokratisches Mandat für mehr Klimaschutz in der EU. Etwas mehr als ein halbes Jahr später, im Dezember 2019, lag der European Green Deal auf dem Tisch.
Und die Sorge der Bürgerinnen und Bürger lässt nicht nach. Laut einer kürzlich für die Europäische Investitionsbank (EIB) durchgeführten Umfrage befürworten 70% der Europäerinnen und Europäer viel strengere Klimaschutzmaßnahmen. Wirtschaftskreise sind ebenfalls besorgt, wie der Bericht des Weltwirtschaftsforums für 2020 bestätigt, in dem die Klimakrise an die Spitze der globalen Risiken gestellt wird. Die Corona-Pandemie hat Umwelt- und Klimabedenken nicht ausgeräumt, im Gegenteil.
Der Europäische Green Deal verdient die Unterstützung der Zivilgesellschaft. Er ist der späte aber kühne Versuch, Elemente für einen neuen Gesellschaftsvertrag vorzulegen, der zukünftigen Generationen – wenn stringent umgesetzt ‒ einen Wohlstand ermöglicht, der nicht mehr auf konsumbasierten Privilegien basiert, sondern die Klima- und Biodiversitätskrise eindämmt und zukunftsfähige Geschäftsmodelle und Lebensstile ermöglicht. Eine in diesem Sinne handlungsfähige EU würde sich am Erhalt unserer lokalen und globalen Heimat, der Grundrechte und des demokratischen Freiheitsraums auch künftiger Generationen und Menschen anderswo sowie der sozialen Gerechtigkeit orientieren. Es geht also um nicht weniger als den Schutz einer freiheitlichen Demokratie und dieser erfordert rechtzeitigen ambitionierten Klimaschutz und Ressourcenschonung.
Mit dem Green Deal nutzt die EU ihr Klimamandat und sorgt für mehr Tempo – mit Luft nach oben
Die erste Säule der EU-Klimadynamik: Das Europäische Klimagesetz und die neuen Klimaziele sind richtungsweisend. Wenn auch noch nicht Paris-kompatibel zeigt das Herzstück des European Green Deal ‒ das Europäische Klimagesetz ‒ endlich einen rechtlich verbindlichen Weg. Die nun beschlossenen Klimaziele für 2050 (Klimaneutralität) und 2030 (mind. 55% Netto-Emissionsminderung) bilden den Kompass, an welchem sich politisches Handeln orientieren muss. Gerade arbeitet die Kommission mit Hochdruck an der sektoralen Umsetzung dieser Ziele mit dem sog. Fit-for-55-Package. Bei der Erarbeitung dieses Gesetzpaketes ist zentral, dass das Subsidiaritätsprinzip erhalten bleibt – oder gar verstärkt wird. So wichtig auch europäische Ziele und Instrumente sind, wenn die notwendigen Anstrengungen für wirksamen Klimaschutz lediglich auf EU-Instrumenten liegen und die Entscheidungen dadurch allein in Brüssel getroffen werden, dann können sich Nationalstaaten, wie auch Regionen und Gemeinden, den Europäischen Green Deal nur schwer aneignen. Umso mehr, da Medien, Zivilgesellschaft und Parteien noch stark national fraktioniert sind, ist es essentiell, dass sich die nationale, regionale und lokalen Ebenen zu eigen machen. Bei fehlender Identifikation riskieren wir eine EU-Verdrossenheit. Dieses Spannungsfeld steckt beispielsweise auch in der jüngsten Debatte um ein neues EU-Instrument in Form eines CO2-Preises in den Bereichen, die nicht vom Emissionshandelssystem abgedeckt werden: Eine Verantwortung bei den Mitgliedsstaaten muss bleiben, sei es nur aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit zwischen den unterschiedlichen einkommensreichen EU-Ländern.
Das finanzielle Instrumentarium ist die zweite Säule und Treiber der EU-Klimadynamik. Dieses kann ‒ wenn gut eingesetzt ‒ zur Beschleunigung des Green Deals beitragen. Neben den Klimazielen und ihrer sektoralen Umsetzung, steht bereits ein beachtliches finanzielles Instrumentarium auf EU-Ebene im Raum. Mit dem Beschluss des insgesamt rund 1.824 Billionen Euro-Pakets (EU-Haushalt und EU-Wiederaufbaufond im Zuge der Corona-Pandemie: Next Generation EU: rund 750 Mrd. Euro) gehen höhere Ausgaben für Klimaschutz- und Umweltschutzmaßnahmen einher. Der EU-Haushalt für 2021-2027 (rund 1,1 Billionen Euro) hat das Ziel von 30% für Klimaschutzausgaben (statt 20% in der letzten Haushaltsphase). Die Regionalfonds aus dem EU-Haushalt (Europäischer Fonds für regionale Entwicklung [EFRE], der Europäische Sozialfonds [ESF] und der Europäische Kohäsionsfonds) sollen das Ziel des „Grünen Wandels“ erreichen und müssen diesem einen obligatorischen Anteil von 30% widmen. Außerdem muss eine Klimaquote von 37% bei den Nationalen Wiederaufbau- und Resilienzplänen (rund 672,5 mrd. Euro) eingehalten werden. Der leider mit nur 17,5 Mrd. Euro dotierte Just Transition Fund ist auch ein Anfang und wird bislang fossil-intensiven Regionen helfen, sich in Richtung Klimaneutralität zu bewegen. Das Prinzip „Do-No-Significant-Harm“ gegenüber den Klimazielen ist ein Muss für den Einsatz aller EU-Mittel ‒ für Wiederaufbau und für EU-internen Zusammenhalt. Nicht zuletzt sind die EU-Programme aus dem EU-Haushalt und der Wiederaufbaufonds bedarfsorientiert angelegt. Das heißt, sie geben grobe Richtungen vor ohne vorzuschreiben, wie die einzelnen Staaten und Regionen die EU-Mittel zu nutzen haben. Das wissen die betroffenen Staaten und Regionen besser. Somit beachtet dieses Instrumentarium ‒ bestehend aus sämtlichen EU-Geldtöpfen - auch das wichtige Subsidiaritätsprinzip. Werden die Konjunkturhilfen und die Gelder aus den EU-Haushaltsprogrammen in auf fossile Technologien beruhende Investitionsprojekte gelenkt, dann müssten diese vor ihrer Abschreibung stillgelegt werden, um die Klimaziele noch zu erreichen. Das würde zu einer massiven Welle verlorener Investitionen führen. Wenn diese aber in die richtige, zukunftsweisende Richtung ‒ etwa im Gebäudesektor, in klimafreundliche Verkehrs-, Energie- und Digitalinfrastruktur ‒ angeschoben werden, kann der Umbau in Richtung Treibhausgasneutralität sogar beschleunigt werden.
Rechtliches und finanzielles Instrumentarium sind verbesserungsfähig – aber sie sind da. Verbesserungsfähig sind v.a. die anvisierten Prüfmaßstäbe wie die EU-Taxonomie, über die derzeit noch hart verhandelt wird und bei denen eine Verwässerung droht. Auch das Europäische Semester als Prüforgan der nationalen Haushälter bedarf einer klimagerechten Anpassung. Zwar bedarf das Instrumentarium selbst noch Nachschärfung insbesondere bei den Prüfungskriterien und dem Monitoring, gleichwohl ist es wichtig hervorzuheben, dass die Regionen und die Mitgliedsstaaten selber am Zug sind, in ihren nationalen Plänen maßgeschneidert darzulegen, wie sie diese EU-Mittel ausgeben wollen (ob Wiederaufbau- und Resilienzpläne [RRP], Just Transition-Pläne [JTP], Gemeinsame-Agrapolitik-Strategie-Pläne [GAP-Strategiepläne], etc. und auch bald wieder die aktualisierten Nationale Energie- und Klimapläne [NECP]). Auch für die klimagerechte Gestaltung von EU-Investitionen ist nationales und regionales Ownership unentbehrlich. Investitionsentscheidungen zum Wirtschaftsaufbau nach der Pandemie-Krise müssen auch dazu beitragen, ehrgeizigere Klimaziele für 2030 zu erreichen. Nur wenn o. g. EU-Geldtöpfe maßgeblich und konsequent in den ökologischen Wandel investiert und von Strukturreformen begleitet werden, sind die Türen offen für ein Übererfüllen der Klimaziele und somit für eine Beschleunigung des Green Deal. Damit landet die Dynamik bei den Mitgliedsstaaten und bei den Regionen.
Mitgliedsstaaten zwischen beiden Dynamiken: Wo bleibt das Tempo auf nationaler Ebene?
In Puncto Europäisches Klimagesetz und 2030-Klimaziele hat sich der Rat kaum bewegt. Das ist mit Blick auf das, was wissenschaftlich und aus Gerechtigkeitsgründen erforderlich ist um das 1,5-Grad-Limit einzuhalten, und auf die Forderung des EU-Parlaments, 60 Prozent als Ziel zu setzen, deutlich zu wenig. Das heißt, die Mitgliedsstaaten sind bei ihrer politischen Entscheidung von Dezember 2020 fast unverändert geblieben und haben zu einer Weiterentwicklung der klimapolitischen Dynamik nicht beigetragen. Schlimmer noch: Die Mitgliedsstaaten wussten spätestens seit Dezember 2020, dass ein ambitionierteres EU-Klimaziel auf sie zukommen würde, dennoch haben Länder wie Deutschland und Frankreich dies zuhause weder antizipiert noch vorbereitet. Frankreich schnürt gerade ein nationales Klimagesetz, aber dessen Kompass bereits veraltet ist.
In Deutschland wurde die regierende Koalition von der historischen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Ende April erinnert, dass das Deutsche Klimaschutzgesetz teilweise für verfassungswidrig erklärt, und hat das 2030-Ziel des Deutschen Klimagesetzes auf -65% (statt bisher -55%) angepasst, doch die noch fehlenden Maßnahmen, um bis dahin zu kommen, lassen das Gesetz noch etwas schwach.
Auf nationaler Ebene stottert also die Dynamik – trotz einiger merkbarer Bewegungen, allerdings noch auf niedrigem Niveau, wie zum Beispiel in Polen, wo die Regierung nun nicht länger zögert, das Ende der Kohle bis 2050 zu erwähnen und die Planung von 11 GW Leistung an Windenergie offshore voranzubringen, um von Arbeitsplätzen durch erneuerbare Energien zu profitieren und eine erneuerte Energiesouveränität zu gewährleisten. Die abwartende Position von wichtigen Mitgliedstaaten kostet jedoch europäischen Bürgerinnen und Bürgern kostbare Zeit im Kampf gegen die fortschreitende Klimakrise. Als Rechtfertigung verweisen außerdem viele Mitgliedsstaaten zu gerne auf das kommende Legislativpaket für die Zielumsetzung seitens der Kommission ‒ das sog. Fit-for-55-Package. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, zeigt aber sehr wohl, dass mehr und schneller auf nationaler Ebene getan werden muss.
Auch bei der Verwendung von EU-Mitteln müssen die EU-Länder jetzt ihre Versprechen zum Europäischen Green Deal einhalten. Derzeit entwickeln die Mitgliedstaaten ihre Wiederaufbaupläne (RRPs), Pläne für Regionalfonds und Just Transition-Pläne und reichen diese bei der Kommission ein. Damit geht die Entscheidung einher, wie EU-Mittel in den nächsten Jahren ausgegeben werden sollen. Die anstehenden Ausgabenpläne für nationale und regionale EU-Mittel müssen vollständig klimasicher sein, keine Forderungen für fossile Brennstoffe enthalten und klare Investitionspläne zur Erreichung der Klimaneutralität müssen formuliert werden. Doch was haben die Mitgliedstaaten und auch die deutsche Bundesregierung bisher gezeigt? Das Minimum. Laut unabhängigen Berechnungen glänzen die Wiederaufbaupläne RRPs von wichtigen Staaten wie Frankreich und Deutschland nicht durch besondere klima- und umweltgerechte Anstrengungen. Die von der Kommission erhoffte Vorbildfunktion beider Pläne bleibt zu blass. Es fehlen außerdem strukturelle Reformen, die sowohl klima- als auch sozial gerecht sind. Polen plant trotz seines neu formulierten Ziels 2050 fossilfrei zu sein, eine Ausweitung des Verbrauchs fossiler Gase und riskiert mit EU-Mitteln eine Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu fördern, die das Land für Jahrzehnte an Emissionen binden wird. Es gibt zwar auch Beispiele für gute Maßnahmen, aber der bisherige Gesamt-Eindruck eines nachhaltigen und wirklich klimaorientierten Auswegs aus der Corona- und Wirtschaftskrise bleibt bisher eher gemischt. Klimapolitische Dynamik, die die Ziele des European Green Deal national umsetzen will, sieht anders aus.
Dieser Blogbeitrag erschien zuerst in der Heinrich Böll Stiftung am 07. Mai 2021