Blogpost | 09.10.2015

Der Textentwurf liegt vor, jetzt muss entschieden werden

Blog-Beitrag von Lutz Weischer und Sönke Kreft, Oktober 2015
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>> Der neue Entwurfstext für ein Klimaabkommen ist eine gute Arbeitsgrundlage - aber für einen Erfolg in Paris muss noch viel verbessert werden <<

Die internationalen Klimaverhandlungen sind in der heißen Phase. Beobachtet von der Weltöffentlichkeit werden sich in weniger als 2 Monaten Regierungschefs, Minister und Diplomaten in Paris treffen, um ein neues Klimaabkommen zu beschließen. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren: Gerade hat in New York Ban Ki-moon bei einem informellen Treffen mit Staats- und Regierungschefs die wichtigsten Elemente des Abkommens diskutiert. Diese Woche bei der Jahrestagung von IWF und Weltbank in Lima ist Klimafinanzierung ein Schwerpunktthema. In bilateralen Gesprächen steht Klima oben auf der Agenda, sei es zwischen USA und China oder bei den Besuchen der Bundeskanzlerin in Brasilien und Indien

Doch in den offiziellen UN-Vorbereitungstreffen ging es bisher viel zu langsam voran. Ende Oktober steht jetzt in Bonn das letzte Treffen vor dem Pariser Gipfel an. Als Vorbereitung darauf haben die Co-Vorsitzenden der Arbeitsgruppe, Dan Reifsnyder aus den USA und Ahmed Djoghlaf aus Algerien, einen neuen Verhandlungstext vorgelegt, wozu die Delegierten ihnen im September das Mandat gegeben hatten.

Warum ist ein offizieller Textentwurf so wichtig?

Bei Klimaverhandlungen sind immer verschiedene Kompromisskonstellationen möglich. Ringen die Verhandlungspartner sich gegenseitig Zugeständnisse ab, die zu einem ambitionierten Ergebnis führen - oder einigt man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner?

Akzeptieren die Staaten in Bonn den jetzt vorliegenden Entwurf nicht als Verhandlungsgrundlage, wird sich die französische Gipfelpräsidentschaft gezwungen sehen, ihren eigenen Textentwurf vorzulegen. Das Problem: Die Franzosen werden sich dann nur am Minimalkonsens orientieren, um zumindest irgendein Ergebnis zu sichern. Die Klimaverhandlungen haben aber immer dann wirkliche Durchbrüche erzielt, wenn progressive Industrie- und Entwicklungsländer zusammen an einem Strang gezogen haben. Doch eine solche Koalition kann nicht funktionieren, wenn sich die Präsidentschaft gezwungen sieht, eine Entscheidung herbeizuführen und die Verhandlungen mit nur wenigen Ländervertretern am Ende der Konferenz stattfinden. Ähnlich wie in Kopenhagen sitzen dann nur noch die großen und mächtigen Länder am Tisch. Arme Entwicklungsländer, Inselstaaten und lateinamerikanische Klimavorreiter sind in solchen Hinterzimmergesprächen kaum vertreten.

Deswegen ist es so wichtig, dass ein handhabbarer Text bereits im offiziellen UN-Vorbereitungsprozess entsteht. Hier haben alle Länder die Möglichkeit, ihre Vorstellungen zu äußern und am Text zu arbeiten. In den verschiedenen Verhandlungsrunden haben sie deutlich gemacht, was die wichtigsten Prioritäten sind und Möglichkeiten für Kompromisse und Kürzungen ausgelotet. Auf dieser Grundlage haben die Co-Vorsitzenden dann das Mandat erhalten, einen neuen Textentwurf vorzulegen. Ihr Vorschlag ist radikal vereinfacht, der Entwurf des Abkommens hat noch acht, die dazugehörige Konferenz-Entscheidung noch zwölf Seiten. Der Text ist in Rechtsprache formuliert. Er enthält an den wichtigen umstrittenen Punkten klare Optionen oder setzt strittige Elemente in eckige Klammern. Ein Pariser Abkommen rückt damit in greifbare Nähe.

Was steht drin?

Prozedural ist der Text also ein großer Fortschritt. Inhaltlich ist er durchwachsen. An einigen Stellen sind schon jetzt gute Formulierungen gewählt, bei vielen Themen stehen die wichtigen Klärungen noch aus. Häufig nennt der Text Optionen - an einigen Stellen würde es ausreichen, dass  die Verhandler sich für die ehrgeizigeren Optionen entscheiden. An anderen Stellen hingegen müssen noch Formulierungen ergänzt werden, die über den Entwurf hinausgehen. Das wird die Aufgabe für die Bonner Verhandlungen und die vielen formellen und informellen Gespräche bis zum Pariser Gipfel sein.

Zu den einzelnen Themen:

  • Langfristziel: Der Entwurf nennt als Obergrenze für den Temperaturanstieg von 2°C oder 1,5°C. Dass 1,5°C - eine Forderung von über 100 besonders armen und verletzlichen Ländern - als Option genannt wird, ist positiv. Dieses abstrakte Temperaturziel muss aber in ein klares Signal übersetzt werden, das Regierungen, Investoren und die Öffentlichkeit verstehen. Die im Entwurf vorgeschlagenen Formulierungen sind bisher zu schwammig. Erforderlich wäre eine Formulierung, die klar macht, dass bis Mitte des Jahrhunderts weltweit aus Kohle, Öl und Gas ausgestiegen werden muss und stattdessen den Erneuerbaren Energien die Zukunft gehört. Positiv ist, dass Länder langfristige Strategien zur emissionsarmen Entwicklung formulieren sollen - doch besser wäre es, diese am Ziel einer Dekarbonisierung auszurichten und nicht erst 2020 damit zu beginnen.
  • Pariser Ambitionsmechanismus: Die bislang von den Staaten vorgelegten Ziele reichen nicht aus, um den Klimawandel auf unter 2°c oder 1,5°C zu begrenzen. Deswegen werden regelmäßige Nachbesserungsrunden entscheidend sein. Positiv im Entwurf ist, dass alle Ziele regelmäßig alle 5 Jahre eingereicht werden und über die bisherigen Verpflichtungen hinausgehen sollen. Zu wenig Konkretes wird über die Überprüfung der Ziele an den Maßstäben von Klimawissenschaft und Gerechtigkeit gesagt. Sinnvoll wäre eine regelmäßige Überprüfung, ob die Ziele in ihrer Summe ausreichend und ob individuelle Ziele angemessen sind - damit würde eine klarer Maßstab für die Nachbesserungsrunden gelegt. Der Entwurf sieht zwar ein globales "stocktaking" vor, aber bleibt vage zur Ausgestaltung. Außerdem soll die erste Überprüfung erst 2023/24 sein, die Chance zur Nachbesserung der Ziele noch vor ihrem Inkrafttreten 2020 würde damit vertan.
  • Anpassung und klimabedingte Verluste und Schäden: Erfreulich ist, dass der Text ein gemeinsames Anpassungsziel enthält. Allerdings fehlt eine Formulierung zu einer gemeinsamen Verpflichtung der Staaten, die besonders betroffenen Personen und Gruppen vor Klimawandelfolgen zu schützen. Positiv ist, dass der Text erstmals benennt, dass weniger globaler Klimaschutz zu mehr Anpassungsbedarf führen wird und Kriterien für gute Anpassungsmaßnahmen vorsieht. Ein wichtiges Signal an verletzliche Länder ist, dass der Unterstützung bei klimabedingten Verlusten und Schäden erstmalig ein eigener Artikel zugebilligt wird. Dieser muss aber weiter konkretisiert werden.
  • Klimafinanzierung: Es ist positiv, dass im Entwurf beide Dimensionen dieser Frage anerkannt werden: Alle globalen Finanzströme müssen langfristig an einer klimagerechten Entwicklung ausgerichtet werden. Gleichzeitig bleibt die Verpflichtung der reicheren Länder bestehen, ärmere Länder bei Klimaschutz und -anpassung zu unterstützen. Hierzu wird festgehalten, dass die Unterstützung von jährlich 100 Milliarden weiter anwachsen soll. Doch wie dieser Aufwuchs organisiert werden soll, wird nicht konkretisiert - das wird wohl nicht ausreichen, um den Empfängerländern das Vertrauen zu geben, dass die benötigte Unterstützung tatsächlich mobilisiert wird. Auffällig ist, dass bei diesem Thema rechtlich unverbindliche Formulierungen ("should strive to", also "sollten sich bemühen") gewählt wurden. Ein weiterer offener Knackpunkt  ist, ob neben den Industrieländern auch reichere Schwellenländer zur Klimafinanzierung beitragen sollen.
  • Transparenz: Ohne Transparenz, dass das Zugesagte auch wirklich passiert, kann Paris kein Erfolg werden. Der Entwurf kann dazu einen Kompromiss ermöglichen, weil er Transparenzregeln sowohl für den Klimaschutz als auch für die Bereitstellung von Unterstützung vorsieht. Es ist positiv, dass dies im Entwurf vorgesehen ist.  Es ist jedoch irritierend, dass auch die Transparenz von Anpassung in diesem Artikel abgehandelt wird. Anpassungsmaßnahmen sind eher lokal, ihre Kommunikation schwieriger und weniger zu standardisieren. Politisch kann dies zu einer Aufweichung der Transparenz in den anderen Bereichen führen.
  • Klimaschutz vor 2020: Die Co-Vorsitzenden haben auch einen Vorschlag für eine Entscheidung der Konferenz zum Zeitraum bis 2020 vorgelegt. Darin sind gute Elemente enthalten, beispielsweise hochrangige Botschafter , die jedes Jahr neue Initiativen und Koalitionen für mehr Klimaschutz mobilisieren sollen. Doch ein Aspekt fehlt: Insbesondere die Industrieländer müssen in den nächsten 5 Jahre mehr Klimaschutz leisten und zusätzliche Unterstützung  bereitstellen. Ohne dass es hier Bewegung gibt, werden die Schwellenländer kaum bereit sein, ab 2020 ein verbindliches und wirksames Abkommen mitzutragen, das auch sie in die Pflicht nimmt.
     

Wie geht es weiter?

Zunächst muss der Text in Bonn von den Verhandlern in Bonn als Verhandlungsgrundlage akzeptiert werden. Danach muss er in vielen Bereichen weiter verbessert und ergänzt werden. Auch die rechtlichen Formulierungen sind entscheidend - hier bietet der Entwurf fast immer die Wahl zwischen einer verbindlichen ("shall") und einer unverbindlichen ("should") Option. Formulierungen, auf die sich Staatschefs bereits geeinigt haben, müssen in den Entwurf eingearbeitet werden, zum Beispiel zur "Dekarbonisierung". Zu einigen offenen Fragen werden auch weiter Regierungschefs und Minister um Einigungen ringen müssen, nicht alles wird in Bonn zwischen den Delegierten entschieden werden können.

Der Text ist also eine sinnvolle Arbeitsgrundlage. In welchem Ausmaß Paris tatsächlich ein Erfolg für das Klima wird, wird sich  in den nächsten Wochen entscheiden. 


- Eine gekürzte Version dieses Textes ist zuerst bei Klimaretter erschienen -


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