Emissionshandel: Anreize für neue Kohlekraftwerke gefährden Klimaschutz.
Pressemitteilung
Bonn, 31.5.06. Die Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch kritisiert den derzeitigen Entwurf der Bundesregierung für den Nationalen Allokationsplan (NAP II) 2008 - 2012 zum Emissionshandel. Nach Einschätzung von Germanwatch droht der Entwurf des NAP II in der bisherigen Form Weichenstellungen zu setzen, die mit dem in den nächsten Jahrzehnten notwendigen Klimaschutz und dem Erhalt der deutschen Vorreiterrolle in der internationalen Klimapolitik nicht vereinbar sind. Der Entwurf der Bundesregierung konterkariert damit auch die Aussagen der Klimawissenschaft, die ein zunehmend dramatischeres Gesamtbild des Klimawandels ergeben. Dies zeigen u.a. die derzeit durchsickernden Erkenntnisse des für Anfang 2007 erwarteten 4. Sachstandberichts des UN-Klimawissenschaftlergremiums IPCC, die auch der Bundesregierung vorliegen.
"Die klimawissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten 18 Monate zeigen, dass wir bisher die Konsequenzen eines ungebremsten globalen Klimawandels mit einer Vielzahl an Großrisiken vermutlich dramatisch unterschätzt haben", so Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch. "Angesichts dieser Situation ist der starke Anreiz zum Bau von Kohlekraftwerken, den der Entwurf zum NAP II setzt, vollkommen unverantwortlich und zeugt von Blindheit auf dem klimapolitischen Langfristauge. Dies gilt wegen der langen Laufzeit selbst für relativ effiziente Kohlekraftwerke."
Zur Abwendung eines in großem Maßstab gefährlichen Klimawandels ist es nach Überzeugung einer wachsenden Anzahl an renommierten Klimawissenschaftlern notwendig, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur bis Ende des Jahrhunderts auf unter 2 Grad zu begrenzen. Beim Überschreiten dieser Schwelle wird das Eintreten einer Reihe von Großrisiken im Klimasystem immer wahrscheinlicher, mit drastischen Konsequenzen für viele Millionen Menschen.
"Die Bundesregierung hat sich zwar mehrfach zu dem 2-Grad-Limit bekannt. Der Emissionshandel ist ein wichtiges klimapolitisches Instrument. Der derzeitige Entwurf zum Emissionshandel droht aber Weichenstellungen zu setzen, die mit dieser dringend notwendigen Begrenzung der weltweiten Temperaturerhöhung nicht vereinbar sind", so Sven Anemüller, Referent für Klima und Entwicklung bei Germanwatch. "Wenn der derzeitige Entwurf zum NAP II so umgesetzt würde, würde die Regierung die klimapolitischen Fortschritte, die in Deutschland z.B. durch das erfolgreiche Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) erreicht wurden, wieder zunichte machen und ihre Vorreiterrolle aufs Spiel setzen. Dass zudem die Emissionszertifikate und damit Milliardenbeträge auch noch an die größten Emittenten, die Betreiber von Kohlekraftwerken, verschenkt werden sollen, obwohl diese die Geschenke zu Strompreiserhöhungen nutzen, ist angesichts knapper staatlicher Kassen und Steuererhöhungen für die breite Bevölkerung sozial- und verbraucherpolitisch nicht verständlich."
"Nicht umsonst heißt das System im Englischen "Cap and Trade", betont Bals. "Ohne die notwendigen Reduktionsziele -- die Cap -- kann das Instrument des Emissionshandels seinen Zweck nicht erfüllen. Wenn dann noch der Marktmechanismus dadurch entkräftet wird, dass Kohlekraftwerke für die selbe Strommenge mehr Zertifikate als Gaskraftwerke zugeteilt bekommen, steht die Wirksamkeit des Instruments sehr stark in Frage. Wenn die Zertifikate kostenlos zugeteilt werden, sind die größten Emittenten die größten Gewinner".
Ein Schlüsselbereich für den Klimaschutz sind die Weichenstellungen für die Erneuerung des deutschen Kraftwerksparks. Die Realisierung der derzeit bekannten Ausbaupläne der konventionellen Energiewirtschaft mit einem deutlichen Schwerpunkt auf dem Bau neuer Kohlekraftwerke würden den deutschen Beitrag zum 2-Grad-Limit torpedieren. Der NAP II setzt aber deutliche Anreize für diese Neubauten in den nächsten Jahren, indem er Kohlekraftwerke deutlich umfangreicher mit Zertifikaten ausstattet als die wesentlich emissionsärmeren und flexibleren hochmodernen Gaskraftwerke. Aufgrund der langen Laufzeiten dieser Kraftwerkstypen würden große Mengen an Emissionen auf Jahrzehnte hinaus festgeschrieben. Kurzfristig würden damit wohl die Kyoto-Ziele erreicht, die notwendige Verringerung der deutschen CO2-Emissionen um 80% bis 2050 (gegenüber 1990) würde damit aber bereits durch die jetzigen Weichenstellungen in Frage gestellt.
Deutschland gehört bisher international zu den Vorreitern im Klimaschutz und profitiert davon unter anderem durch eine boomende Industrie der Erneuerbaren Energien. In ihrer Pressemitteilung vom 23.5.06 betont die SPD-Fraktion die Verantwortung der Industrieländer und unterstreicht, dass "Deutschland seiner Vorreiterrolle im internationalen Klimaschutz nur gerecht werden kann, wenn es sich auch weiterhin ehrgeizige Ziele setzt und damit seine Vorbildfunktion wahrnimmt."
Geschäftsführer Bals zufolge befürwortet Germanwatch grundsätzlich den Emissionshandel als marktwirtschaftliches Instrument des Klimaschutzes, das den betroffenen Akteuren eine ausreichende Flexibilität zugesteht, wie sie die quantitativ festgelegten Emissionsminderungsziele erreichen wollen. Ein funktionierender Emissionshandel in der EU habe ebenfalls Vorreiterfunktion für andere Staaten, die die Einführung von Emissionshandelssystemen planen. "Für die Weiterentwicklung der internationalen Klimapolitik wird das Funktionieren des Emissionshandels eine entscheidende Rolle spielen", so Bals.
Wenngleich die Erfahrungen der letzten Wochen für einige Turbulenzen am Markt sorgten, sieht Germanwatch den grundsätzlichen Wirkmechanismus des Emissionshandels bestätigt. Es sei eine der Stärken des Emissionshandels, dass er für Transparenz sorge. In diesem Falle wurde offensichtlich, dass die Regierungen verschiedener EU-Staaten, allen voran Deutschland, die Großemittenten in der ersten Runde des Emissionshandels viel zu großzügig ausgestattet hätten. Die deutlich gewordenen Überschüsse nach Bekanntgabe der nationalen Emissionsdaten zum 15.5.06 und der zeitweise Verfall der Zertifikatspreise sollten zur staatlichen Verknappung der Zertifikate über die bisher anvisierten "Caps" hinaus führen. Dies sei im Sinne eines inzwischen wichtigen Marktes und des Klimaschutzes.
Für Rückfragen und Interviewwünsche wenden Sie sich bitte an:
- Sven Anemüller, Referent für Klima und Entwicklung: 0228-60492-22, anemueller@germanwatch.org