Wege aus EU- und Klimakrise
Wege aus EU- und Klimakrise
© Daniel Cavanaugh
Die EU befindet sich in einer fundamentalen Krise. Zugleich steht sie vor der Herausforderung, die Transformation des Energie- und Verkehrssystems auch aus Gründen des Klimaschutzes anzugehen. Kann sie diese Herausforderungen gemeinsam anpacken?
Ich denke schon. Die Krise Europas ist sowohl eine des Währungsverbundes, des Euro, als auch eine tiefer liegende Krise der Legitimation des politischen Apparates. Diese zwei Krisen schaukeln sich hoch. Populistische anti-europäische Lösungsvorschläge lenken von den notwendigen Lösungsansätzen ab. Wir bräuchten eine Perspektive, in der EU nachhaltige Lebensformen zu finden.
Beispiel Stadtentwicklung: Wie sehen lebenswerte Städte aus, in denen nicht mehr Unmengen von fossiler Energie verbrannt werden?
Aufgabe der EU ist es jetzt, für solche nachhaltigen Lebensformen in Infrastrukturen zu investieren und so die in Teilen Europas brachliegende
Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Und zugleich geht es darum, durch ein anregendes, gemeinsames Zukunftsbild auch wieder eine Verbindung der Bürger herzustellen. Diese bröckelt gegenwärtig.
Warum ergreifen weder die politischen Kräfte noch die Wirtschaft die Initiative dazu?
Die Wirtschaft ist noch sehr stark national aufgestellt. Sie kämpft etwa darum, den Finanzplatz London oder den Autoplatz Deutschland zu erhalten. Die Politik hat wenige zukunftsweisende Ideen entwickelt. Es gab in ganz Europa einen Mangel an Ideen, viel Flickwerk ohne Perspektive, als die Finanzkrise über Europa hineinbrach. Es ist schwierig, daraus neue Orientierung zu schöpfen.
Warum greift keine der Parteien das Thema im Wahlkampf auf?
Es gab in Deutschland – anders als etwa in Bezug auf Atomkraft – keine umfassende öffentliche Debatte über Finanzmärkte und Nachhaltigkeit. Das macht es schwierig, plötzlich das Kaninchen aus dem Hut zu ziehen. Seit langem wurde eine ernsthafte EU-Debatte verschlafen, dafür zahlen wir jetzt einen Preis. Vielleicht sind jetzt, wie Jürgen Habermas sagt, auch einzelne Personen gefragt. Ich kann zwar verstehen, wenn Leute sagen: es hat gar keinen Sinn mehr zu wählen. Aber das wäre das Fatalste, was man machen kann.
Im Moment wählen wir aber, ohne diese grundlegenden Fragen diskutiert zu haben.
Es ist ein verbreiteter Irrtum zu denken, Demokratie heiße lediglich, in regelmäßigen Abständen wählen zu gehen. Bei einer demokratischen Wahl soll das Fazit einer breiten öffentlichen Diskussion gezogen werden. Umgekehrt wäre es aber sehr merkwürdig, wenn man wegen fehlender Diskussion nicht wählen würde. Vielmehr müssen wir von unten her solche Diskussionen anstoßen. Das ist die Stunde der Zivilgesellschaft.
Die von Ihnen geforderten Investitionen bedeuten einen weiteren Wachstumsschub. Können wir den angesichts der Grenzen des Planenten noch gebrauchen?
Ganz offensichtlich ist Wachstum langfristig nicht die Lösung. Aber in der jetzigen Situation zu sagen: „Wachstum einfrieren“, hieße einerseits, Millionen junger Menschen ohne Perspektive zu lassen. Andererseits hieße es für die EU, sich aus der Weltgeschichte zu verabschieden. Deshalb brauchen wir ernsthafte politische Maßnahmen – allerdings nicht für irgendeinen Wachstumsschub. Es sollte schon einer sein, bei dem wir lernen, wie wir sinnvoll eine zukunftsfähige Gesellschaft umsetzen. Denn die Gefahr, dass blindes Wachstum die Risiken vergrößert, ist real.
Germanwatch-Vorstandsmitglied Carlo C. Jaeger ist Mitgründer und Leiter des Global Climate Forums (Berlin). Er hat eine Professur an der Universität Potsdam und an der Beijing Normal University (BNU) und war bis 2012 Forschungsfeldleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
In seinem faktenreichen Essay „Wachstum – wohin? Eine kurze Geschichte des 21. Jahrhunderts“ (2011) zeigt der Ökonom und Soziologe, wie sich das Problem des globalen Klimawandels sinnvoll angehen lässt.