Den Fuß von der Bremse nehmen

Weitblick Artikel

Den Fuß von der Bremse nehmen

Die deutsche und europäische Klimapolitik braucht neuen Schwung


Viele im In- und Ausland mussten sich erst an die neue Rolle gewöhnen: Deutschland als Klimabremser. Die deutsche Regierung war sich oft nicht einig und blockierte damit Fortschritte in der EU, ob es darum ging, die EU-Klimaziele für 2020 von 20 auf 30 % CO2-Reduktion gegenüber 1990 anzuheben, den wirkungslos gewordenen EU-Emissionshandel zu reformieren oder eine verschärfte EU-Energieeffizienzrichtlinie einzuführen.

Kann die neue Bundesregierung hier neue Akzente setzen? Einerseits geht es um die liegengebliebenen Hausaufgaben: das EU-Klimaziel von 20 auf
30 % bis 2020 anzuheben und – eng damit verknüpft – den EU-Emissionshandel schnell und wirkungsvoll zu reformieren.

►►► Ein nationales Klimaschutzgesetz mit folgenden Zielen verabschieden: -40 % CO2 bis 2020 und -95 % bis 2050.

Anderseits geht es darum, in den kommenden Monaten den Rahmen für den Klimaschutz bis 2030 festzuklopfen. Die BürgerInnen wollen wissen, dass ihre Zukunft nicht verheizt wird. Unternehmen wollen Investitionssicherheit, ArbeitnehmerInnen zukunftsorientierte Arbeitsplätze. Wichtig sind auf EU-Ebene dafür verbindliche Klimaziele von 55 % oder mindestens 50 % CO2-Reduktion gegenüber 1990. In Deutschland geht es darum, ein Klimaschutzgesetz mit folgenden Reduktionszielen zu verabschieden: -40 % bis 2020, -60 % bis 2030, -80 % bis 2040 und -95 % bis 2050 (verglichen mit 1990). Darüber hinaus sollte es auch konkrete Strategien und Maßnahmen zur Umsetzung in den klimarelevanten Sektoren (z. B. Landwirtschaft, Industrie, Haushalte, Verkehr) enthalten.

Ohne zusätzliche verbindliche Erneuerbare-Energien-Ziele von 45 oder mindestens 40 % auf EU-Ebene scheitert der Versuch, die deutsche Energiewende gemeinsam mit den europäischen Partnern umzusetzen. Während in Deutschland Erneuerbare Energien ausgebaut werden, könnten sonst andere Mitgliedstaaten auch weiterhin auf Atomreaktoren und fossile Kraftwerke setzen, deren Emissionen ins Erdreich verpresst werden müssten. Arbeitsplätze und Geschäftsmodelle hängen an Investitionssicherheit durch klare Rahmensetzungen. Verbindliche Energieeinsparziele – wir fordern eine Reduktion des Energieverbrauchs um 35 bzw. mindestens 30 % gegenüber 2005 – sorgen dafür, dass die Energiewende bezahlbar bleibt und nicht unnötig Anlagen zur Stromproduktion gebaut werden.

►►► Verbindliche EU-Klima- und Energieziele für 2030 durchsetzen: 55 % CO2-Reduktion, 45 % Erneuerbare Energien, 35 % Energieeinsparung.

Die Politik der Bundesregierung bei der Umsetzung der Energiewende ergibt ein gemischtes Bild. Es gibt mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung beim Aus- und Umbau der Stromnetze. Doch bei der Energieeffizienz sind die zugesagten Fortschritte ausgeblieben. Die Erneuerbaren Energien wachsen hingegen sogar etwas schneller als erwartet. Ihr Anteil am Stromverbrauch stieg in Deutschland 2013 auf knapp 25 %, während der Anteil von Atomstrom seit 2010 von 22,4 auf 16,1 % gesunken ist. Fukushima und die jahrzehntelange Mischung von Protest und Initiativen machten der Bundesregierung Beine. Bei Gegenwind strich sie dagegen schnell die Segel. Auf die Diskussion um steigende Stromkosten reagierte sie mit vorschnellem Aktionismus und nachhaltiger Verunsicherung der Investoren statt mit kühlem Kopf und sozialpolitischem Gewissen. Die nun anstehende Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und ein neues Strommarktdesign müssen sich an dem Ziel orientieren, bis 2050 nahezu 100 % des Stroms durch Erneuerbare Energien zu erzeugen. Auch gilt es, die Beteiligung der BürgerInnen, z. B. im Rahmen von Energiegenossenschaften, sicherzustellen. Im Personenverkehr sind die Weichen dafür zu stellen, dass bis Mitte des Jahrhunderts die Hälfte des Verkehrsaufkommens durch einen intelligenten Mix von öffentlichem Verkehr, Fahrrad, Fußwegen, Car-Sharing oder anderen neuen Mobilitätskonzepten geleistet werden kann. 

Katja Rottmann, Jan Burck