Eine „nachhaltige Digitalisierung“ ist kein Selbstläufer
Eine „nachhaltige Digitalisierung“ ist kein Selbstläufer
Trägt die Digitalisierung zur notwendigen sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft bei – oder reformiert sie eher den nicht-nachhaltigen Status Quo? Dies ist sicher eine der derzeit spannendsten Fragen. Aber sie kann nicht pauschal beantwortet werden. Hoffnungen, dass eine digitale Zukunft zugleich eine dematerialisiertere sein wird, sind durchaus begründet. Laut einer Studie der Global e-Sustainability Initiative können mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien bis zum Jahr 2030 sagenhafte 16,5 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen eingespart werden. Und die Bundesregierung proklamiert, das Konzept der Industrie 4.0 würde nicht nur das Wirtschaftswachstum ankurbeln, sondern auch die Material- und Energieeffizienz massiv erhöhen.
Doch die radikale Steigerung von Effizienz und Optionen durch „smart everything“ kann zugleich neue ökologische Probleme hervorrufen. Durch Rückkopplungs-Effekte („rebound“) werden Einsparpotenziale durch Mehrverbrauch an anderer Stelle wieder auffressen. Neue Märkte und Produkte erhöhen ebenfalls den Ressourcenverbrauch. Die (bewusste) Verringerung der Lebensdauer von Produkten und die weitere Beschleunigung von Produktionsprozessen und -zyklen ist nirgends so stark ausgeprägt wie bei digitalen Geräten. Und diese Beschleunigung macht unser Leben immer rastloser und erschwert es, unsere Wirtschaftskreisläufe in Einklang mit den Stoffkreisläufen der Natur zu bringen.
Der bloße Austausch analoger durch digitale Dienstleistungen und Produkte wird ein Nullsummenspiel bleiben. Bestehende nicht-nachhaltige Produktions- und Konsummuster durch Digitalisierung etwas umweltfreundlicher zu machen, reicht nicht aus. Allerdings begünstigt die Digitalisierung auch soziale Innovationen, die dazu beitragen können, nicht-nachhaltige Produktions- und Konsummuster abzulösen. Insbesondere eignet sie sich, die Zusammenarbeit von Menschen zu erleichtern (Kollaboration), uns zu informieren und nachhaltige Alternativen aufzuzeigen (Information & Bildung), diese spielerisch attraktiv zu machen und so Routinen aufzubrechen. Wenn technologische Innovationen nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sozial „disruptiv“ wirken, kann die digitale Transformation zu einer sozial-ökologischen Transformation beitragen.
Beispiel Handel
Rein theoretisch birgt Online-Shopping zwar etliche Potenziale für Nachhaltigkeit: öko-faire Waren können spielend und überall bezogen werden, die Lieferung per Post spart gegenüber dem individuellen Einkauf per Auto Energie usw. Aber in der Summe kurbelt „smartes shoppen“ eher den Verkauf an. Digitalisierung eröffnet jedoch auch phantastische Möglichkeiten, um Sharing statt Shopping zu fördern! Anstelle von „Geiz-ist-Geil“- Plattformen zeigen zahlreiche Webseiten wie Kleiderkreisel, DaWanda, Food Sharing, Couchsurfing und viele andere, dass Bedürfnisse auf weniger kommerzielle Weise befriedigt werden können. Die Politik hat noch nicht begonnen, zusammen mit Verbraucherverbänden und nachhaltigen Unternehmen gezielt Anreize und Regulierungen zu entwickeln, damit kooperative Plattformen zur Entkommerzialisierung der Wirtschaft beitragen.
Beispiel Mobilität
Car2Go und Uber wie auch datengetriebene Fahrzeugsteuerung und intelligente Verkehrsleitsysteme erhöhen zwar die Effizienz des Automobilverkehrs, machen ihn aber zugleich attraktiver und kostengünstiger und werden dadurch seinen Umfang noch erhöhen. Echtes Potenzial für Nachhaltigkeit haben indessen Anwendungen, die Verhaltensänderungen und eine Verlagerung auf öffentliche und nutzungsgeteilte Verkehre erwirken. Es gilt, multimodale Verkehrs-Apps wie Qixxit, Moovel u. a. so weiterzuentwickeln, dass verschiedene öffentliche Verkehrsträger tatsächlich kombiniert und „on the go“ gebucht werden können. Denn dann wird die individuelle Flexibilität beim ÖPNV sogar die des Autos übertreffen. Aber auch dies geht nicht ohne politische Unterstützung. Zugleich muss der Automobilverkehr verteuert und entschleunigt werden, anstatt ihn durch andere Formen der Digitalisierung noch zu beschleunigen.
Tilman Santarius,
Leiter der Forschungsgruppe „Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation“ an der Technischen Universität Berlin und am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung.