Schöne neue Digitalwelt
Schöne neue Digitalwelt
Viele werden vom 20. bis 24. März zur CeBIT strömen, der größten IT-Messe der Welt. Dieses Jahr lockt sie unter anderem mit dem Motto „Digitale Transformation“. Dieser Begriff fällt auf Industriekonferenzen und in der Politik immer öfter. Aber bislang wissen die wenigsten, was hinter dem Konzept der digitalen Transformation, auch Industrie 4.0 genannt, wirklich steckt und welche Auswirkung sie haben wird.
Das Wirtschaftsministerium sieht die digitale Transformation dann vollzogen, „wenn Bauteile eigenständig mit der Produktionsanlage kommunizieren und bei Bedarf selbst eine Reparatur veranlassen“. Wirtschaftsakteure wie der Bundesverband der Deutschen Industrie gehen dabei davon aus, dass bestehende Wertschöpfungsketten gesprengt werden. Dieser Wandel wird die soziale Frage neu stellen. Laut einer Studie der Bank ING-DiBa sind in Deutschland 59 Prozent aller Berufe durch Robotereinsatz und Digitalisierung gefährdet. Im globalen Süden hätte diese Entwicklung laut einer Weltbankstudie technisch sogar das Potenzial, zwei Drittel der Arbeitsplätze zu ersetzen. Dies verdeutlicht die möglichen dramatischen sozialen Auswirkungen der Digitalisierung. Sie wegen des erwarteten Wirtschaftswachstums blind zu fördern, wäre falsch. Technologien sollten dem Menschen dienen und die ökologische Mitwelt möglichst wenig belasten. Deshalb müssen Politik und Gesellschaft dringend auch die Robotisierung sozial und ökologisch gestalten.
Auch für VerbraucherInnen hat die Digitialisierung enorme Auswirkungen. Insbesondere vier Unternehmen – Apple, Amazon, Google und Facebook – beherrschen Handelsplattformen und Suchmaschinen im Internet. Sie haben Zugang zu unseren Daten und bestimmen über Algorithmen, von wem und von welchen Angeboten wir im Internet erfahren. Sie wollen den Zugang zu Netzen und zentralen Infrastrukturen kontrollieren und NutzerInnen, KundInnen und Werbebetreibende möglichst umfassend und dauerhaft an sich binden.
Dematerialisierung oder steigender Rohstoffbedarf?
Industrie 4.0 und Digitalisierung gehen oft mit dem Versprechen einher, die ökologische Krise technisch lösen zu können und eine Dematerialisierung voranzutreiben. Gleichzeitig erwarten viele Akteure durch die Digitalisierung einen höheren Ressourcenkonsum unter anderem durch einen verstärkten Einsatz von (kurzlebiger) Elektronik und Sensorik etc. Die Deutsche Rohstoffagentur berechnete den Bedarf an Rohstoffen für sogenannte Zukunftstechnologien. Sie geht davon aus, dass 2035 fast viermal so viel Lithium gebraucht wird wie 2013, und laut einer weiteren Studie bis 2050 mehr als dreimal so viel Kupfer wie 2010. Man spricht vom Zeitalter der Informationstechnologie, das das fossile Zeitalter ablöst und nun auf metallischen Rohstoffen fußt. Dabei müssen immer aufwendigere Verfahren verwendet werden, um an die Rohstoffe zu gelangen.
Teile der Industrie nutzen diese Prognosen, um die Politik zu drängen, noch mehr Handelsabkommen mit rohstoffreichen Ländern abzuschließen und damit einen günstigen Zugang zu Rohstoffen zu sichern. Dabei werden häufig die Menschenrechte nicht beachtet. Heute kämpfen viele Länder, die ihre Exporte verstärkt auf Primärrohstoffe verlagert haben, wie etwa Peru, mit niedrigen Staatseinnahmen durch die gesunkenen Rohstoffpreise. Viele Länder haben deshalb ihre Umweltstandards gesenkt, um Investitionen anzuziehen, obwohl gerade negative Umweltauswirkungen oft die Lebensgrundlage der lokalen Bevölkerung zerstören. Proteste lokaler Bevölkerung aufgrund von verschmutztem Trinkwasser oder hohen Quecksilbergehalten im Blut werden häufig gewalttätig niedergeschlagen. In den letzten zehn Jahren gab es in Peru 270 Tote und über 4.600 Verletzte bei sozialen Konflikten, die zum Großteil mit dem Bergbau in Zusammenhang stehen.
Nicht nur effizienter, sondern auch weniger verbrauchen
Mit dem Ziel 12 der globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) der Agenda 2030 hat sich die Weltgemeinschaft im September 2015 vorgenommen, bis 2030 Konsum und Produktion nachhaltiger zu gestalten. Letztlich bedeutet nachhaltiger Konsumieren aber, weniger Ressourcen zu verbrauchen, denn aktuell benötigen wir 1,6 Erden. Das SDG-Unterziel 12.5 fordert: Reduzieren, Wiederverwenden, Recyceln.
Auch wenn dieses Prinzip schon vorher in deutsches Recht gegossen war, spiegelt die Umsetzung in Politik und Wirtschaft dies bei weitem nicht wider. Worauf die Bundesregierungvor allem setzt, ist die Ressourceneffizienz. In der Tat kann Digitalisierung diese durch eine intelligente Steuerung von Materialinputs in der Produktion weiter perfektionieren. Aber eine betriebswirtschaftlich ressourceneffiziente Produktion kann langfristig auch zu Ressourcenverschwendung führen: Der Kupferring auf einem Mikrochip in einem Telefon kann mit gerade eben so viel Kupfer hergestellt werden, dass er nur so lange hält wie die Garantie. Eine immer stärkere Miniaturisierung von IT-Geräten braucht weniger Ressourcen in der Produktion. Einzelteile werden aber verklebt und können nicht mehr repariert werden und es muss schneller ein neues Gerät gekauft werden, wodurch die Wirtschaft wächst. Auch wenn dabei dank effizienter Produktion pro Wirtschaftsleistung weniger Ressourcen verbraucht werden, steigt der Gesamtverbrauch von Ressourcen an. Da die Bundesregierung jedoch in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie ausschließlich den Ressourcenverbrauch pro Einheit Wirtschaftswachstum bemisst, vertuscht sie diese Entwicklung.
Damit die Digitalisierung nicht dazu beiträgt, unseren Ressourcenverbrauch ins Unermessliche zu steigern, müssen wir auf eine längere Nutzung der Geräte und auf Reparatur setzen. Das versucht Schweden beispielsweise seit Anfang dieses Jahres mit einer verringerten Mehrwertsteuer auf Reparaturdienstleistungen. Auch die Ökodesign-Richtlinie auf EU-Ebene könnte Akzente gegen Wegwerfprodukte setzten, indem sie z. B. fordert, dass Akkus in Smartphones nicht verklebt werden dürfen.
Auf lokaler Ebene sehen wir Leihläden und Reparaturcafés. Damit die Reparatur aber nicht daran scheitert, dass Hersteller den Zugang zu notwendiger Software für die Reparatur behindern oder über Updates das Produkt unattraktiv machen, brauchen wir Open-Source-Lösungen und bessere Bedingungen für Reparatur, unter anderem durch einen besseren Zugang zu Ersatzteilen.
Dafür setzt sich Germanwatch in Kooperation mit vielen weiteren Akteuren mit dem Runden Tisch Reparatur ein und möchte mit dieser Ausgabe des Weitblicks das Anliegen auch in die Digitalisierungsdebatte einbringen. Gleichzeitig setzt sich Germanwatch zusammen mit anderen Organisationen dafür ein, dass ein Abbau neuer Rohstoffe unter menschenrechtlich akzeptablen Bedingungen geschieht.
Johanna Sydow & Cornelia Heydenreich