"Kein ungeregelter Globalisierungswettlauf bei Nahrungsmitteln"

Weitblick Artikel

"Kein ungeregelter Globalisierungswettlauf bei Nahrungsmitteln"

Ein Interview zur Agrar- und Handelspolitik der neuen Bundesregierung

 

Im Gespräch mit Dr. Gerd Müller (CSU), seit sechs Monaten Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) unter Bundesminister Horst Seehofer, präsentiert dieser sich als Freihandelsgegner und Freund einer europäischen Landwirtschaft, die mit Hilfe von staatlichen Subventionen die Umwelt schützt und die Landschaft pflegt. Den Entwicklungsländern gesteht er das Recht zu, sich bei "gewissen" Nahrungsmitteln vor Billigimporten zu schützen.

Herr Staatssekretär, wenn Sie an Landwirtschaft denken, denken Sie an…?

Dann denke ich an gesunde Ernährung, Nahrungsmittel aus heimischer Produktion mit höchster Güte, Bauern, die unsere Kulturlandschaft seit tausenden von Jahren erhalten. Und ich denke an meine Kindheit auf einem Traktor, Kartoffelfeld oder Mähdrescher. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen und fühle mich den Menschen auf dem Land nach wie vor sehr nahe.

Befürworten Sie Transparenz bei der Verteilung der EU-Subventionen im Agrarbereich in Deutschland?

Ja, natürlich. Wir müssen doch wissen, wie viele der Gelder in welche Betriebsgruppen, Betriebsgrößen, Regionen usw. fließen und in welchem Zusammenhang diese Zahlungen stehen. D.h., ob sie beispielsweise für Agrarumweltmaßnahmen gezahlt werden oder an Betriebe, die von Reformen und Preissenkungen besonders betroffen waren.

Nach welchen Kriterien sollten landwirtschaftliche Subventionen in der EU vergeben werden?

Aus Sicht der Bundesregierung muss ein wesentliches Vergabekriterium sein, dass die Zahlungen keine oder nur sehr geringfügig handelsverzerrende Wirkung entfalten. Außerdem sollen nur solche Betriebe ungeschmälerte Direktzahlungen bekommen, die hohe Auflagen beim Umweltschutz, der artgerechten Tierhaltung sowie der Lebens- und Futtermittelsicherheit einhalten. Diese hohen deutschen und europäischen Standards müssen dann aber auch in der WTO Berücksichtigung finden. Ich bin generell der Überzeugung, dass bei der Nahrungsmittelproduktion kein ungeregelter weltweiter Globalisierungswettlauf stattfinden darf. Agrargüter und Nahrungsmittel können nicht behandelt werden wie Autos und Maschinen.

Was will die deutsche Regierung bei künftigen WTO-Verhandlungen im Agrarbereich noch erreichen?

Die multifunktionale europäische Landwirtschaft, die nicht nur Rohstoffe produziert, sondern auch Umwelt- und Naturschutz betreibt, muss erhalten werden. Der Fortbestand dieses Modells darf durch die WTO nicht in Frage gestellt werden. Für Produkte, die auch längerfristig nicht wettbewerbsfähig sein werden und deren Erzeugung für unsere ländlichen Regionen unverzichtbar ist, muss es Ausnahmeregelungen geben, mit denen ein höherer Außenschutz sichergestellt werden kann.

(Anmerkung: Unter Außenschutz versteht man Maßnahmen, die den Markt vor Produkten von "außen" schützen, z.B. Zölle)

Gestehen Sie dieses Recht auf erhöhten Außenschutz auch Entwicklungsländern zu? Denn gerade Entwicklungsländer müssen ihre Märkte schützen dürfen - zum einen gegen Dumpingexporte (z.B. aus der EU), zum anderen, weil ihre Landwirtschaft oft noch nicht mit der hochtechnisierten Landwirtschaft der Industrieländer konkurrieren kann.

Der Schutz der heimischen Produktion ist für jedes Land ein nachvollziehbares Anliegen. Die Basis der Entwicklung in diesen Ländern ist zunächst die agrarische Entwicklung. Das war in Europa vor 200 bis 300 Jahren auch nicht anders. Deshalb bin ich für die Aufrechterhaltung eines gewissen Außenschutzes bei bestimmten Nahrungsmitteln.

Die EU hat vor kurzem beschlossen, Nahrungsmittelhilfen an Entwicklungsländer künftig nur noch als Bargeldleistung zu vergeben. Warum?

Nahrungsmittelhilfe wird von der EU grundsätzlich als Bargeldleistung, als Geschenk und frei von irgendwelchen Bindungen an Interessen der Geberländer geleistet. Die EU-Gelder werden eingesetzt, um die benötigten Nahrungsmittel auf lokalen oder regionalen Märkten einzukaufen. So haben die dortigen Bauern ein zusätzliches Einkommen. Die EU bemüht sich derzeit darum, diesen Grundsatz auch in der WTO und der Internationalen Nahrungsmittelhilfekonvention zu verankern. So soll verhindert werden, dass Industrieländer die Nahrungsmittelhilfe für die Entsorgung ihrer Überschüsse missbrauchen, wie das die USA und andere wichtige Geber mit sehr negativen Auswirkungen für die lokalen oder regionalen Märkte der Entwicklungsländer tun.

Die EU entsorgt ihre Überschüsse auf eine ähnlich schädliche Weise: Sie werden zwar nicht verschenkt, aber mit Hilfe von Subventionen - darunter die Exportsubventionen, aber auch viele andere - so billig gemacht, dass sie auf dem Weltmarkt und insbesondere in Entwicklungsländern zu Dumpingpreisen angeboten werden. Um dies zu verhindern, müsste das Subventionssystem der EU umgebaut werden. Wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen? Was will die Bundesregierung tun, um die für Entwicklungsländer schädliche Überschussproduktion der EU zu beenden?

Zunächst ist zu sagen, dass die EU durch die grundlegenden Agrarreformen seit 2003 ihre Subventionspolitik tiefgreifend umgestaltet hat. Ein Großteil der internen Stützungsmaßnahmen ist inzwischen "entkoppelt", d.h. diese Subventionen bieten keinen Anreiz mehr für die Produktion von Überschüssen. Zudem hat die EU im Dezember 2005 in Hongkong erneut ihre Bereitschaft erklärt, sämtliche Exportsubventionen bis zum Jahr 2013 komplett zu streichen.

Wie soll sich die deutsche Landwirtschaft in den nächsten Jahren entwickeln?

Lebensmittel mit garantierter Qualität und Sicherheit sowie nachwachsende Rohstoffe - Stichwort Bioenergie - sind die Zukunftsfelder für die deutsche Landwirtschaft. Daneben werden sich die Verdienstmöglichkeiten in der Landschaftspflege, im Naturschutz und bei anderen gesellschaftlichen Leistungen entwickeln - sie müssen vom Staat honoriert werden.

INTERVIEW: SARAH KAHNERT und RALF WILLINGER
 
 

Kommentar von Germanwatch zum Interview

Zur Frage der Transparenz bei den EU-Agrarsubventionen: Bis jetzt sind die Daten (wer bekommt wieviele Subventionen wofür) in Deutschland nur sehr begrenzt verfügbar, in anderen EU-Ländern werden sie veröffentlicht (s. Leitartikel). Germanwatch und andere Organisationen setzen sich für die Offenlegung aller Subventionszahlungen im Agrarbereich ein (www.wer-profitiert.de). Dazu wurden Briefe an die Bundesminister und Landesminister geschrieben und  offizielle Anfragen an die zuständigen Stellen gerichtet; die Antworten stehen größtenteils noch aus.

Die in der vorletzten Frage angesprochene Reform der EU-Agrarpolitik seit 2003 geht in die richtige Richtung, sie ist aber bisher bei weitem nicht ausreichend. Denn weiterhin werden in der EU mit Hilfe von Subventionen jährlich viele Millionen Tonnen Überschüsse produziert, die dann billig in Entwicklungsländer exportiert werden.

Die bei der WTO-Konferenz in Hongkong beschlossene Abschaffung der Exportsubventionen ist zwar richtig, kommt aber in 2013 viel zu spät und reicht nicht aus. Denn auch viele andere Subventionsarten - so genannte interne Suventionen - verbilligen künstlich die EU-Exportprodukte und drücken die Preise auf dem Weltmarkt - und verursachen damit Hunger und Armut in Entwicklungsländern.

Deshalb fordern Germanwatch und andere Organisationen der Zivilgesellschaft, dass künftig auch solche subventionierten  Produkte nicht mehr exportiert werden.

Zuletzt geändert