"Gezielter Außenschutz kann ländliche Entwicklung fördern"
"Gezielter Außenschutz kann ländliche Entwicklung fördern"
Herr Dr. Kohlmeyer, die Mittel der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung sind seit den 1990er Jahren stark gesunken. In den letzten Jahren wird deren Bedeutung aber wieder verstärkt diskutiert. Schlägt sich dies schon in zusätzlichen Programmen und Mitteln nieder und gibt es eine neue Ausrichtung der Strategien zur Förderung der ländlichen Entwicklung?
Der Rückgang der Gelder für den Agrarsektor hatte ja nachvollziehbare politische und ökonomische Gründe. Teure Großprojekte waren in der Regel leider nicht erfolgreich. Neuere Ansätze arbeiten dagegen sehr viel stärker auf politischer und gesellschaftlicher Ebene. Beispielsweise fördern sie das Recht auf Nahrung sowie Mitspracherechte der ländlichen Bevölkerung durch Dezentralisierung und Genossenschaften. Sie schlagen sich allerdings erst mit einer gewissen Zeitverzögerung in EZ-Programmen nieder, da diese in der Regel für mehrere Jahre angelegt sind. Der Anteil der Projekte im ländlichen Raum am Gesamtbudget der Weltbank ist aber schon wieder auf über zehn Prozent angestiegen.
Welche Rolle kann und soll das von Ihnen mitorganisierte 2. Europäische Forum für Nach-haltige Ländliche Entwicklung in diesem Zusammenhang spielen?
Das Forum richtet sich vor allem an Entwicklungsorganisationen und Finanzgeber. Sie sollen mit Nichtregierungsorganisationen (NRO), Wissenschaftlern und Stakeholdern, vor allem aus Entwicklungsländern, über ländliche Entwicklung sowie neue "funktionierende" Ansätze diskutieren. Damit soll die Bedeutung der ländlichen Entwicklungspolitik einem größeren Spektrum von Akteuren verdeutlicht werden.
Wie schätzen Sie die Rolle von extrem finanzkräftigen privaten Stiftungen ein. Diese planen, in den nächsten Jahren mehrere Milliarden US-$ in Agrarprojekte in Afrika zu investieren. Wie sieht es mit der Kohärenz zur öffentlichen EZ aus?
Grundsätzlich finde ich es gut, wenn reiche Privatleute einen Teil ihres Vermögens für wohltätige Zwecke zur Verfügung stellen. Zwischen den staatlichen Entwicklungsorganisationen und der Zivilgesellschaft hat sich über Jahre eine gute Diskussionskultur und in vielen Punkten ein gemeinsames Verständnis entwickelt. Die Stiftungen kommen allerdings aus einem ganz anderen, wirtschaftlich orientierten Umfeld. Die staatlichen Organisationen befördern daher aktiv einen Dialog und hoffen, dass die Stiftungen ihre Ansätze und Projekte zur Diskussion stellen. Dabei müssen dann auch kontroverse Punkte wie die Rolle der Gentechnik angesprochen werden.
In den Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO) steht eine weitgehende Öffnung der Agrarmärkte der meisten Entwicklungsländer zur Debatte. Viele dieser Länder fordern, "spezielle" Produkte von der Liberalisierung auszunehmen, die für Kleinbauern und die Ernährungssicherheit wichtig sind. Gerade die USA sperren sich dagegen. Wie positionieren sich Bundesregierung und EU in diesem Streit?
Weder die EU noch die Bundesregierung stellen sich gegen das Konzept der speziellen Produkte. Aus entwicklungspolitischer Sicht ist ein gewisser Außenschutz notwendig, und auch die Erfahrung der asiatischen Tigerstaaten hat gezeigt, dass der gezielte Schutz bestimmter, sich entwickelnder Wirtschaftszweige sinnvoll ist. Allerdings darf das nicht dazu führen, dass Landwirte sich darauf konzentrieren, den Schutz zu verteidigen, statt effizienter zu werden. Die WTO kann hier eine positive Rolle spielen, indem sie die Länder dazu anleitet, beim Beginn von Schutzmaßnahmen gleich deren Ende mitzudenken.
Wird die EU in den ebenfalls gerade zur Verhandlung stehenden Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) mit den Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (AKP-Staaten) im Rahmen der WTO vereinbarte "spezielle" Produkte der AKP-Staaten voll anerkennen und eventuell sogar weitere Flexibilitäten einräumen?
Im Rahmen der EPAs sollen – wo notwendig – alle WTO-Flexibilitäten zu Gunsten der AKP-Staaten genutzt werden. Asymmetrie soll es beim Liberalisierungsgrad, bei den Übergangsfristen und den Schutzmechanismen geben. Nach den Vorstellungen der EU-Kommission sollten die AKP-Länder die Zölle auf etwa 80 Prozent der importierten Waren abbauen. Mit den restlichen 20 Prozent könnten also spezielle Produkte abgedeckt werden. Für den Zollabbau können lange Übergangsfristen vorgesehen werden, die bis zu 25 Jahre betragen können. Die Länder müssen daher kritisch prüfen, wie möglichst in diesem Rahmen ihren Schützbedürfnissen entsprochen werden kann. Außerdem muss zusätzlich ein Schutzmechanismus in den EPAs verankert und überwacht werden, der es erlaubt, die Liberalisierung auszusetzen, wenn ein rascher Importanstieg zu sozialen oder Ernährungssicherungsproblemen führt.
Der Abschluss der WTO-Runde ist ja noch keineswegs sicher. Wie werden EU und Bundesregierung reagieren, falls die WTO-Verhandlungen scheitern?
Die EU hat auf der WTO-Konferenz in Hongkong versprochen, bei einem Abschluss der Runde die direkten Exportsubventionen bis 2009 deutlich zu reduzieren und bis 2013 ganz abzuschaffen. Es wäre sicherlich ein großer Verlust, wenn dies aufgrund des Scheiterns der WTO-Runde nicht erreicht werden könnte. Aus Sicht des BMZ müssen daher unabhängig vom WTO-Prozess entwicklungsfreundliche Rahmenbedingungen für den Welthandel geschaffen werden. Im Bereich der Exportsubventionen gibt es bereits ein unausgesprochenes Abkommen. Danach werden keine subventionierten Agrarprodukte in jene Länder exportiert, die ihre Zölle auf diese Produkte weitgehend abgebaut haben. Dieses könnte gestärkt werden. Die Bundesregierung hat dazu allerdings noch keine abschließende Position.
Interview: Tobias Reichert