Klimawandel, Energiepflanzen und wachsender Hunger
Klimawandel, Energiepflanzen und wachsender Hunger
Die extreme Trockenheit in Deutschland und anderen europäischen Ländern in diesem Frühjahr wird deutlich geringere Ernten zur Folge haben. In Australien führt die seit Jahren anhaltende Dürre sogar schon dazu, dass mehrjährige und trockenresistente Kulturen wie Wein und Obst akut gefährdet sind. Die Landwirte in vielen Entwicklungsländern müssen sich schon länger mit ausbleibenden oder unzuverlässigen Regenfällen auseinandersetzen – gerade auch in den vom Monsun abhängigen und bevölkerungsreichen Ländern Süd- und Südostasiens. Die Häufigkeit von extremen Wetterereignissen wird aufgrund des Klimawandels in den nächsten Jahrzehnten weiter zunehmen.
Die Landwirtschaft ist aber nicht nur Opfer des Klimawandels, sondern auch Täter. Der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) schätzt in seinem jüngsten Bericht, dass der Sektor einen Anteil von 30 Prozent am Treibhauseffekt hat. Das Abbrennen von Wäldern für landwirtschaftliche Flächen setzt erhebliche Mengen CO2 frei. Noch wichtiger sind Spu-rengase, die durch den Einsatz von Kunstdünger und intensive Tierproduktion entstehen und um ein Vielfaches klimawirksamer sind. Der Einsatz von Stickstoffdünger verursacht erhebliche Emissionen von Lachgas, dessen Treibhauspotenzial pro Molekül fast 300-mal so groß ist wie das von CO2. Andererseits sollen Energiepflanzen fossile Brennstoffe ersetzen, und die Landwirtschaft soll so zur Verminderung der CO2-Emissionen beitragen.
Durch diese Entwicklungen zeichnet sich eine veränderte agrarpolitische Problemlage ab: Die Überschussproduktion wird wohl spätestens mittelfristig verschwinden. Den durch die Klimaveränderungen zu erwartenden geringeren Ernten (im Durchschnitt) steht eine zusätzliche Nachfrage nach Energiepflanzen gegenüber. Und schließlich müssen bis 2015 eine Milliarde Menschen zusätzlich ernährt und die Zahl der Hungernden spürbar reduziert werden.
Die globale Agrar- und Handelspolitik muss reagieren...
Die Bauern in vielen Industrie- und Entwicklungsländern sind auf die neuen Herausforderungen nicht gut vorbereitet. Gerade in den ärmeren Entwicklungsländern, vor allem in Afrika, rächt sich jetzt die Vernachlässigung der traditionellen kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Nationale und internationale Entwicklungsstrategien haben Entwicklungsländer dazu gedrängt, auf exportorientierte Landwirtschaft und die Öffnung der Märkte für subventionierte Importe zu künstlich niedrigen Weltmarktpreisen zu setzen. Dies hat dazu geführt, dass in traditionelle Produktionssysteme nicht investiert wurde und diese nicht weiter entwickelt werden konnten. Die Kleinbauern haben jetzt Probleme, auf die neuen Herausforderungen zu reagieren.
In den letzten Jahren ist zumindest in der entwicklungspolitischen Diskussion eine Trendwende zu erkennen: Die Bedeutung von Landwirtschaft und ländlichen Räumen wird wiederentdeckt. Zur Erreichung des "Millennium-Entwicklungsziels" der UN, den Anteil der Armen an der Weltbevölkerung bis 2015 zu halbieren, müssen sie einen entscheidenden Beitrag leisten. Im ländlichen Raum leben etwa drei Viertel der Armen weltweit, die meisten sind Klein- und Kleinstbauern. Dies hat auch die Weltbank erkannt und Landwirtschaft zum Leitthema des diesjährigen Weltentwicklungsberichts erklärt. Auch andere Entwicklungsorganisationen wollen das Thema wieder stärker voranbringen. Unter anderem um diesen Prozess auf europäischer Ebene voranzutreiben, findet vom 18. bis 21. Juni in Berlin die Zweite Europäische Konferenz für Nachhaltige Ländliche Entwicklung statt, an der neben Regierungsvertretern und Abgeordneten aus der EU auch Kleinbauern und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen aus Entwicklungsländern teilnehmen.
In der Handelspolitik sind die Entwicklungen widersprüchlich. In der laufenden Doha-Runde der WTO setzt sich die große Mehrheit der Entwicklungsländer klar dafür ein, Produkte, die für Kleinbauern und die Ernährungssicherung wichtig sind, zu schützen und zu fördern. Dies trifft allerdings auf den heftigen Widerstand vor allem der USA und ist einer der Gründe dafür, dass die Verhandlungen blockiert sind.
... aber richtig
In den USA und der EU stehen in diesem bzw. im nächsten Jahr wichtige Reform- bzw. Überprüfungsprozesse der jeweiligen Agrarpolitik an. Dabei werden die Weichen zumindest für die nächsten fünf bis zehn Jahre gestellt – nicht nur für Bauern und Konsumenten dort, sondern über die Handels- und Subventionsregeln auch für viele Menschen in Entwicklungsländern.
Agrar-, Handels- und Entwicklungspolitik stehen also national und international vor ganz neuen Herausforderungen, die zu den "alten" Problemen hinzukommen. Es besteht die Gefahr, dass der Nahrungs- und Energiebedarf einer wachsenden Weltbevölkerung nur durch eine "verbesserte" Produktionstechnologie gedeckt werden soll. Die dadurch zu erwartende intensivere Nutzung von Düngern und Pestiziden, der Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen und großflächige Monokulturen sind durchaus im Interesse der Agrar- und Ernährungsindustrie. Dem Schutz des Klimas, der biologischen Vielfalt und der Armuts- und Hungerbekämpfung stehen sie jedoch entgegen.
Dagegen können durch kleinräumigere und vielfältige Produktionssysteme hohe Erträge mit deutlich weniger Einsatz von Dünger und Pestiziden und mehr Beschäftigung realisiert werden. So könnte der Anbau von Energiepflanzen die Lebensmittelproduktion sogar fördern, statt in direkte Konkurrenz zu treten.
Die Blaupause für eine Agrarpolitik, die alle diese Ziele widerspruchsfrei einlöst, gibt es noch nicht. Wichtige Elemente, wie das Recht auf Nahrung sowie der Ansatz, "Subventionen" ausschließlich für ökologische und andere gesellschaftliche Leistungen der Landwirtschaft zu verwenden, werden schon lange diskutiert und sind ansatzweise schon vereinbart. Andere, wie Klima- und Sozialkriterien für den Energiepflanzenanbau, müssen noch entwickelt werden.
Tobias Reichert
Weitere Infos:
Durch den Klimawandel verursachte extreme Wetterereignisse wie Dürren gefährden die Ernten, gerade in Entwicklungsländern. Die Anpassung ist nur mit gezielten agrar- und handelspolitischen Interventionen zu schaffen. Foto: Picture Alliance |