Die Patentierte Armut
Die Patentierte Armut
Spätestens seit der Debatte um das geklonte schottische Schaf Dolly und die Anwendung von Gentechnologie sind geistige Eigentumsrechte und Patente in Europa zum Thema geworden. Ob es in der öffentlichen Diskussion um genetisch veränderte Nahrungsmittel geht oder die ethischen Fragen von Forschung für die Humanmedizin, geistige Eigentumsrechte spielen hier eine entscheidende Rolle. Die Brisanz des Themas ergibt sich aus der Tatsache, dass es dabei nicht à la Glühbirne um mehr oder weniger nützliche oder segensreiche Erfindungen für die Menschheit geht, für die dann Patente vergeben werden, um dem Erfinder als Anreiz und Belohnung ein zeitlich befristetes Monopol auf seine Erfindung zu sichern. Hier geht es vielmehr um jene Patente, die auf Gene oder Wirkstoffe lebender Materie (Pflanzen oder Tiere) vergeben werden. Während hier bei uns in den Industrienationen die gesundheitlichen Bedenken vor unabschätzbaren Folgen gegen reine Fortschrittsgläubigkeit und die ethischen Werte unserer Gesellschaft im Vordergrund der Diskussion stehen beschäftigen sich die Menschen in den Ländern des Südens auch aus existentiellen Gründen mit der Frage der Patentierbarkeit von Leben
1980 fällte ein US-Gericht die zukunftsweisende Grundsatzentscheidung, nach der Leben patentierbar ist. In Europa ist dies erst seit 1998 durch die EU-Patentrichtlinie (s. Kasten letzte Seite) möglich. In den meisten Entwicklungsländern hat bisher kein Patentschutz auf Lebewesen bestanden. Diese Forderung kommt vor allem aus den USA und der starken Lobby großer multinationaler Konzerne. Sie wollen sich durch den rasanten wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt Marktmonopole sichern und auf Gewinne aus Lizenzgebühren nicht verzichten. Obwohl die Länder des Südens den überwiegenden Teil der weltweiten biologischen Ressourcen beherbergen und bewahren, oder im Fall von Nutzpflanzen entwickelt haben, sind es die Firmen des Nordens, welche genau diese Ressourcen mittels Patenten monopolisieren. Bezeichnender Weise sind in Entwicklungsländern 85% der Patente im Besitz von Personen oder Unternehmen aus Industrienationen. Gleichzeitig stammen jedoch ca. 93% des weltweit gelagerten Genmaterials von Mikroorganismen, Nutzpflanzen und Nutztieren aus dem Süden.
Tropische Pflanzen waren schon während der Kolonialzeit begehrte Rohstofflieferanten. Heute ist die lebende Materie aus diesen Ländern Grundlage für Zucht und medizinische Forschung, die in erster Linie den Ländern des Nordens zu Gute kommen. Internationale Regelungen für die Patentierung mit der Handschrift der Länder des Nordens sind ein mächtiges modernes Mittel, mit dem der weltweite Nahrungsmittelanbau und die medizinische Forschung auf Kosten der Länder des Südens beherrscht werden kann.
Nach dem Abkommen über handelsbezogene geistige Eigentumsrechte der WTO, dem sogenannten TRIPS-Abkommen, müssen Staaten ein Patentrecht für Produkte und Prozesse in allen Technologiebereichen, die neu sind, eine Innovation darstellen und industriell anwendbar sind, erlassen. Dazu zählen auch die biologischen (genetischen) Ressourcen. Für Pflanzensorten (Kulturpflanzen) gilt: sie müssen entweder durch Patente oder durch ein wirksames eigenes Spezialsystem (das sogenannte sui generis System) oder durch eine Kombination beider geschützt werden. Was ein wirksames sui generis System, ein System eigener Art genau bedeutet, ist im TRIPS-Abkommen nicht erklärt und war in den letzten Jahren immer wieder Diskussionsgegenstand. Allgemein wird davon ausgegangen, dass ein Sortenschutzrecht wie das der "Internationalen Union für den Schutz neuer Pflanzensorten (UPOV)" die Voraussetzungen eines sui generis Systems erfüllt. Viele Stimmen aus Entwicklungsländern sind jedoch der Meinung, dass das UPOV-System nicht in die Wirklichkeit ihrer Länder passt.
Mit der Einführung von geistigen Eigentumsrechten greift das westliche Patentsystem in Gesellschaftssysteme von südlichen Ländern ein, die den Eigentumsbegriff grundsätzlich anders verstehen. Die eigentlichen Eigentümer sollen leer ausgehen und die multinationalen Konzerne riesige Summen einstreichen, intellektuelle Kolonialismus wird betrieben:
Die Leistungen lokaler Bäuerinnen und Bauern, die über Generationen hinweg verschiedene Pflanzensorten gepflegt und gezüchtet haben, werden durch Patentierung missachtet. Auch die Sitte des Tauschens von Saatgut wird durch Patente ausser Kraft gesetzt. Das Saatgut wird durch Patentierung teurer und ist in seinen Eigenschaften nicht mehr an den lokalen Standort angepasst, was Missernten und ein stärkeres Risiko für Kleinbauern zur Folge haben kann. Es findet außerdem ein Missbrauch von vor allem indigenem Wissen statt: pharmazeutische Wirkstoffe werden in vielen Fällen nur mit Hilfe der Einheimischen entdeckt, weil sie traditionell als Heilmittel angewandt werden. Im Pharmabereich kommt noch der Widerspruch hinzu, dass lebensnotwendige Medikamente, vor allem gegen AIDS, durch zusätzliche Patentgebühren für viele Kranke in Entwicklungsländern unerschwinglich werden.
Martina Schaub