Agrarwende für den Süden?

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Agrarwende für den Süden?

Interview mit Renate Künast

 

1. Was bedeutet für Sie inhaltlich die Anerkennung der globalen Verantwortung für Hungerbekämpfung und Armut?

Das ist die Verantwortung in allen Teilen der Welt für alle Teile der Welt, sich für die Bekämpfung von Hunger und Unterernährung und so für die Verringerung der Armut einzusetzen. Besonders gefordert sind wir in jenen Ländern, die mit dem kleinsten Weltbevölkerungsanteil den größten Konsumanteil beanspruchen. Große Verantwortung tragen aber auch die Regierungen in den von Hunger betroffenen Ländern selbst. Ich setze mich seit meinem Amtsantritt dafür ein, dass die Belange der Entwicklungsländer voll bei der Fortentwicklung der europäischen und internationalen Agrarpolitik berücksichtigt werden und dass die Verpflichtungen des Welternährungsgipfels 1996 und der UN-Millenniumserklärung stärker als bisher umgesetzt werden.

2. Was sind aus Ihrer Sicht konkrete Instrumente zum Schutz von Agrarmärkten in Entwicklungsländern?

Viele Länder haben von hohen Zöllen Gebrauch gemacht. Die Mehrzahl der Staaten wendet dieses Mittel jedoch nicht an, weil sich sonst die Nahrungsmittelpreise spürbar erhöhen würden. Die Landwirtschaft in diesen Ländern kann die eigene Bevölkerung nämlich nicht mehr ausreichend versorgen. Dies zeigt, dass der Schutz der Agrarmärkte in Entwicklungsländern allein keine Lösung ist. Dauerhafte Ernährungssicherung kann nur erreicht werden, wenn zugleich die landwirtschaftliche Erzeugung in diesen Ländern verbessert wird. Dabei müssen wir helfen und natürlich bei der Entwicklung einer Development Box bei der WTO.

3. Wie kann die Agrarwende so ausgestaltet werden, dass sie keine Nachteile für die Entwicklungsländer bringt?

Die Agrarwende soll für die Entwicklungsländer nicht nur keine Nachteile, sie soll ihnen Vorteile bringen. Hierfür haben wir die Weichen gestellt. Wir haben das Bio-Siegel offen für alle Länder gestaltet. Das schafft hier Märkte und schützt die Umwelt. Wir bauen die Subventionen für Agrarprodukte ab und fördern ökologische und landschaftspflegerische Leistungen. Wir unterstützen den weiteren Abbau der Exportsubventionen im Rahmen der anstehenden WTO-Verhandlungsrunde und öffnen unsere Märkte für landwirtschaftliche Erzeugnisse aus den Entwicklungsländern weiter. Sie sollen in einigen Bereichen einen Außenschutz installieren und bei der Entwicklung des ländlichen Raumes, also der Selbstversorgung, unterstützt werden.

4. Es gibt Forderungen nach einer sogenannten dritten Säule der EU-Agrarpolitik. Diese "dritte Säule" soll Maßnahmen zur Verbesserung der Welternährung und nachhaltigen Landwirtschaft fördern. Dazu soll sie in Anlehnung an den Mechanismus der Modulation einen ähnlichen Spielraum für nationale Umschichtungsbeschlüsse eröffnen. Inwieweit sind diese Überlegungen praktikabel? Wo stößen sie an welche Grenzen?

Wenn man die Forderungen nach einer dritten Säule der EU-Agrarpolitik so versteht, dass die Interessen der Entwicklungsländer als wichtiger Gesichtspunkt bei der Fortentwicklung der beiden ersten Säulen zu berücksichtigen sind, dann stimme ich voll zu. Noch mehr Bürokratie darf damit aber nicht verbunden werden. Wir sollten die Welt nicht noch komplizierter machen.

5. Welche Maßnahmen sollte eine solche Säule in erster Linie finanzieren? Wo sehen Sie den dringlichsten Handlungsbedarf bei der Frage der Ernährungssicherung?

Wir brauchen weiter Hilfe in Krisenfällen, aber auch einen Verhaltenskodex, der nationalen Regierungen und internationalen Organisationen Werkzeuge an die Hand gibt. Es ist vornehmste Pflicht eines Landes, seine Bevölkerung zu ernähren, auch durch Zugang zu Land und Saatgut. Viele Menschen arbeiten in der Landwirtschaft oder in Exportbetrieben. Sich und ihre Familie können sie damit nicht ernähren. Da verdienen die Eliten. Ich sehe verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten, z.B. Modellvorhaben in Entwicklungsländern, die zeigen, dass sich nachhaltige Bewirtschaftungsformen in der Landwirtschaft, im Forst- und im Fischereibereich sehr gut mit der Sicherung der Ernährung verbinden lassen. Solche Modellprojekte in verschiedenen Regionen der Welt sind auch wichtig für die Vorbereitung von Verhandlungen in den verschiedenen Gremien der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), die unter anderem Richtlinien und Standards festlegen.

6. Welche Chancen und Hindernisse sehen Sie derzeit für eine Umsetzung der Konversionsidee, d.h. für die Umwidmung von Agrarsubventionen und Unterstützungsformen zugunsten der Hungerbekämpfung und der Umwelt?

Ich bin für eine weitere Stärkung des Entwicklungsetats und fordere, die Mittel, die in die Bereiche Ernährungssicherung und ländliche Entwicklung gehen, spürbar anzuheben. Wir müssen sowohl national wie international den Rückgang der Mittel in diesen Bereichen umkehren. Die Umwidmung von Agrarsubventionen zugunsten der Umwelt findet bereits statt. In jüngster Zeit sind erhebliche Teile des Agraretats in Agrarumweltprogramme und andere Maßnahmen zur Sicherung einer nachhaltigen Landwirtschaft geflossen, sowohl auf nationaler wie auch auf EU-Ebene. Dabei geht es allerdings um die Förderung besonders umweltgerechter Produktionsweisen hier bei uns, einem originären Aufgabenfeld der deutschen und europäischen Agrarpolitik. Ich setze mich dafür ein, dass der Bekämpfung von Hunger und Unterernährung stärkere Bedeutung eingeräumt wird und dass wir neue Wege gehen.

7. Wie werden Sie bei der Diskussion des Mid-Term-Reviews der Agenda 2000 Aspekte der Ernährungssicherung einbringen?

Die von mir angestrebte Neuausrichtung der EU-Agrarpolitik zielt auf eine stärkere Marktorientierung und eine Rückführung der an die Produktion gekoppelten klassischen Instrumente der Gemeinsamen Agrarpolitik (s. Antwort zu Frage 3). Dadurch ergeben sich gerade für die Entwicklungsländer verbesserte Marktchancen. Die Entwicklungsländer sollten zudem darin unterstützt werden, ihre Agrarpolitik auf das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung auszurichten. Bei der Verhandlung der nächsten Agenda ab 2006 beginnt dann einer grundsätzlich neue Debatte.

8. Sehen Sie Chancen, in Rom zum Welternährungsgipfel plus 5 den Verhaltenskodex zum Recht auf Nahrung in die Verhandlungen einzubringen?

Es zählt zu meinen wichtigsten Anliegen, hierzu eine Empfehlung für die Entwicklung eines freiwilligen Verhaltenskodexes zum Recht auf Nahrung zu verabschieden. Durch den Internationalen Workshop “Politik gegen den Hunger”, der vom 22. bis 23 Mai 2002 in Berlin stattfand und an dem hochrangige Delegierte aus 74 Ländern teilgenommen haben, hat Deutschland wesentlich dazu beigetragen, dass die Verhandlungen zu diesem Punkt in Rom erfolgreich werden. Aber bis dahin wird es noch viele Kontakte zwischen den Staaten geben müssen.

9. Was sind Ihre Hauptpunkte für die Agrarverhandlungen bei der WTO mit Blick auf Ernährungssicherheit?

Grundsätzlich sollte den Entwicklungsländern im WTO-Regelwerk genug Spielraum gegeben werden, um ihre spezifischen Probleme lösen zu können. Wir wollen die Umweltprogramme ausdehnen und die direkten Subventionen zurückführen. Da waren wir in Doha bereits mit einer Vielzahl der Entwicklungsländer einig. Der ländliche Raum muss gestaltet werden und nicht die Allianz der nationalen Eliten mit den transnationalen Konzernen.
 

Das Interview führten Rainer Engels und Christiane Lellig

 

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