WTO-Agrarverhandlungen gehen in die falsche Richtung 

Weitblick Artikel

WTO-Agrarverhandlungen gehen in die falsche Richtung 

 

Kritik von FIAN, Germanwatch und Forum Umwelt und Entwicklung am Modalitäten-Entwurf von Stuart Harbinson

 

Wir sind alarmiert durch den am 17.2.03 vom Vorsitzenden des Ausschusses für die Agrarverhandlungen Stuart Harbinson vorgelegten zweiten Entwurf für die Modalitäten der weiteren Agrarverhandlungen. Diese "Blaupause" für ein reformiertes Agrarabkommen wird den Ansprüchen an eine Entwicklungsrunde nicht gerecht und bedroht die ländliche Entwicklung in Nord und Süd und die Fortsetzung und erst recht die Erweiterung einer wirksamen Agrarumweltpolitik in der EU.

Auf der WTO-Ministerkonferenz in Doha wurde Ende 2001 beschlossen, die Agrarverhandlungen zum Teil der neuen, umfassenden Verhandlungsrunde zu machen. Der entsprechende Artikel der Ministererklärung thematisiert ausführlich die Bedürfnisse der Entwicklungsländer, besonders im Bereich Ernährungssicherheit, und erwähnt die Reduktion der Exportsubventionen mit Blick auf deren Auslaufen als Verhandlungsziel. Gleichzeitig wurde ein enger Zeitrahmen für den Abschluss und Zwischenergebnisse der Verhandlungen festgelegt - der erste wichtige Termin ist der 31.3.2003: bis dahin sollen die Eckpunkte (Modalities) für ein neues Agrarabkommen beschlossen werden. Auf deren Grundlage sollen dann Verhandlungen für Marktöffnung und Subventionsabbau für spezifische Produkte geführt werden. Die gesamte Verhandlungsrunde soll Ende 2004 abgeschlossen sein.

Ausrichtung des Agrarabkommens

Der Harbinson-Entwurf leistet keinen Beitrag zu der nötigen internationalen Agrarwende. Er verändert die grundlegenden Strukturen des Agrarabkommens nicht, obwohl diese die kleinbäuerliche Landwirtschaft und nachhaltige Produktionsweisen gefährden. Er verfolgt weiter einen umfassenden Liberalisierungskurs, der nur durch unzureichende Zusatzregeln ergänzt wird. Er unternimmt nichts gegen das Problem des Dumpings oder den wachsenden Einfluss einer kleinen Zahl transnationaler Konzerne. Weiterhin gilt das Motto "you liberalize, we subsidize" mit dem die EU und USA den Agrarhandel auf Kosten der Entwicklungsländer und der Kleinbäuerinnen und -bauern nach ihren Interessen gestalten.

Wir fordern dagegen:

  • Die Eckpunkte für die Agrarverhandlungen müssen die Priorität auf die Beseitigung bestehender Ungerechtigkeiten im Agrarhandel legen. Liberalisierungsvorschläge, die nicht diesem Ziel dienen, lehnen wir ab.
  • Die WTO soll in der Präambel des Marrakesh-Abkommens und in der Präambel des Agrarabkommens der WTO den Vorrang der Menschenrechte anerkennen, insbesondere des Rechts auf Nahrung.

Marktzugang

Die vorgesehenen Verpflichtungen beim Marktzugang gehen für Entwicklungsländer viel zu weit. Sie haben nur Zölle als einziges Instrument zur Verfügung, die Situation der öffentlichen Haushalte lässt dort keine Unterstützung der Landwirte durch direkte Unterstützungszahlungen zu. Reduktionsraten von 40 % für Zölle über 120%, von 33 % für Zöllen zwischen 20 % und 120 % und 27 % für Zölle unter 20% nimmt den Entwicklungsländern weitgehend die Möglichkeit, preisstabilisierende Maßnahmen außenwirtschaftlich abzusichern und ihre Märkte zu schützen. Die meisten Entwicklungsländer haben ihre Zölle im Bereich zwischen 20% und 120% gebunden und müssten sie damit um ein Drittel reduzieren. Damit würden Preisschwankungen am Weltmarkt weitgehend auf den nationalen Markt durchschlagen.

Das als Ausgleich vorgesehene Recht, eine begrenzte Anzahl von Produkten als "strategisch bedeutend" für Ernährungssicherheit und ländliche Entwicklung zu notifizieren, kann diesem Problem - obwohl im Ansatz durchaus richtig - nicht entgegen wirken:

  • Die Beschränkung auf eine begrenzte Anzahl von Produkten wird den vielfältigen Produktionsstrukturen vor allem kleiner Produzenten nicht gerecht - gerade wenn die detaillierte Zollklassifizierungsliste zugrunde gelegt wird. Danach müssten Weizen, Weizenmehl, -schrot etc. einzeln als strategische Produkte notifiziert werden, so dass selbst eine relativ groß erscheinende Zahl wie 20 oder 30 effektiv nur wenige Produkte umfassen würde.
  • Selbst für diese strategischen Produkte wird eine durchschnittliche Zollsenkung von 10% verlangt - dies entspricht der Mindestrate, die in der Uruguay-Runde für Entwicklungsländer fest gelegt wurde. Es ist höchst widersprüchlich, wenn der Entwurf einerseits anerkennt, dass es notwendig ist, bestimmte Produkte weiter zu schützen, und andererseits für diese weiterhin die Öffnung der Märkte fordert.
  • Die im Entwurf vorgeschlagene Alternative, "strategische Produkte" in die bestehende spezielle Schutzklausel aufzunehmen, ist noch weniger hilfreich. Voraussetzung hierfür wäre, dass zunächst die Zölle entsprechend der allgemein für Entwicklungsländer geltenden Formel gesenkt werden (also je nach Ausgangszollsatz zwischen 40 und 17 %). Im Falle eines plötzlichen Importanstiegs könnten sie dann wieder etwas angehoben werden, bleiben aber auch dann unterhalb des ursprünglichen Niveaus. Hierfür ist zwar ein Review vorgeschlagen, dieser ist aber noch völlig unbestimmt und ohne Terminierung.

Der Entwurf nimmt damit die von der überwältigenden Mehrheit der Entwicklungsländer vorgebrachten Forderung nach effektiven Ausnahmen von den Marktöffnungspflichten bei Grundnahrungsmitteln nur formal auf. Praktisch wären die Vorschläge jedoch weitgehend wirkungslos. Dies ist um so bedrohlicher als den subventionierten Exporten der Industrieländer kaum entgegen gewirkt werden soll (s.u.).

Wir fordern dagegen:

  • geringere und flexiblere Verpflichtungen für Entwicklungsländer beim Marktzugang
  • die effektive Ausnahme aller für die Ernährungssicherheit und den Lebensunterhalt von Kleinbauern zentralen Produkte von allen Marktöffnungsverpflichtungen,
  • eine effektivere spezielle Schutzklausel für alle Produkte, die für Kleinbauern von Bedeutung sind
  • die Marktöffnungsverpflichtungen für Entwicklungsländer so lange auszusetzen, bis die Industrieländer ihre Exportunterstützung und die internen Subventionen wirksam reduziert haben.

Exportwettbewerb

Unter entwicklungspolitischen Gesichtspunkten ist zunächst positiv zu vermerken, dass ein endgültiges Auslaufen der Exportsubventionen vorgesehen ist. Die Umsetzungsfrist bis zur Beendigung dieser Praxis ist allerdings mit 9 Jahren zu lang. Selbst unter der unwahrscheinlichen Annahme, dass die Doha Runde im Jahr 2005 abgeschlossen wird, könnten bis ins Jahr 2014 Exportsubventionen gezahlt werden.

Schwerer wiegt allerdings, dass der Entwurf nicht auf das von vielen Entwicklungsländern vorgebrachte Problem eingeht, dass das hohe Subventionsniveau in EU und USA die Vermarktung von landwirtschaftlichen Gütern unterhalb der Produktionskosten ermöglicht. Dieses Dumping muss die WTO für landwirtschaftliche Produkte genau so verbieten, wie sie es für Industriegüter seit 1947 tut. Zumindest muss es den Entwicklungsländern ermöglicht werden, ihre Märkte angemessen zu schützen. Entsprechende Vorschläge einer Reihe von Entwicklungsländern sind im Entwurf nicht berücksichtigt.

Wir fordern dagegen:

  • ein Verbot der Exportsubventionen binnen 3 Jahren und ein Down payment von 50% im ersten Jahr.
  • das Verbot von Dumping für landwirtschaftliche Produkte. Industrieländer sollten verpflichtet werden, den Export von Produkten unter den Produktionskosten wirksam zu verhindern, sei es durch Mengenregulierungen, sei es durch Exportabgaben. Die hierdurch eingenommenen Mittel sollten in einen Fonds gezahlt werden, aus dem ländliche Entwicklung und nachhaltige Landwirtschaft im Süden finanziert wird,
  • neue Schutzmöglichkeiten vor Dumping für Entwicklungsländer in Form von einfach zugänglichen, nicht mit einem teuren Schädigungsnachweis verbundenen speziellen Schutzmaßnahmen oder Ausgleichszöllen, wie sie von Entwicklungsländern vorgeschlagen wurden.

Interne Unterstützung

Die Vorschläge zur internen Unterstützung erweitern die den Entwicklungsländern im Rahmen des Artikel 6.2 erlaubten Maßnahmen um eine lange Liste sinnvoller Maßnahmen. Die praktischen Effekte dieser Bestimmungen werden allerdings extrem begrenzt sein, da die finanziellen Mittel fehlen, die bereits bestehenden Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Bisher machen nur 13 Entwicklungsländern davon Gebrauch. Ähnliches gilt für die vorgeschlagenen Ergänzungen von Anhang 2 des Agrarabkommens um Zahlungen zur Aufrechterhaltung der Grundnahrungsmittelproduktion und der Unterstützung von Kleinbauern in Entwicklungsländern.

Aus umweltpolitischer Sicht sind die Vorschläge dagegen nicht wirkungslos - sie sind im Gegenteil außerordentlich gefährlich. In Artikel 12 von Anhang 2 des Agrarabkommens (die sogenannte "green box") soll zwar einerseits Tierschutz als zulässiger Grund für Unterstützungszahlungen aufgenommen werden, andererseits wird der Spielraum für Agrarumweltprogramme stark eingeschränkt:

  • Für Programme, die Bedingungen für Produktionsmethoden oder die Verwendung von Betriebsmitteln definieren, besteht die Gefahr, dass sie nicht mehr ausdrücklich erlaubt sind - dadurch kämen die allgemeinen Bestimmungen des Anhang 2 zur Anwendung, die verbieten, dass Preise und Produktion durch die Subventionen beeinflusst werde. Ökologisch sinnvolle strenge Umweltauflagen, die Direktzahlungen an die Einhaltung von Fruchtfolgen, den Verzicht auf bestimmte Pestizide und Düngemittel binden, wären damit ebenso unmöglich wie die gezielte Förderung des ökologischen Landbaus.
  • Artikel 12 (b) der bereits jetzt die Zahlungen im Rahmen von Agrarumweltprogrammen auf den Ausgleich zusätzlicher Kosten beschränkt, soll sogar noch dahingehend verschärft werden, dass Subventionen niedriger sein müssen als die Kosten. Damit gibt es nicht nur das Verbot von Anreizen sondern eine Pflicht zur Abschreckung an der Teilnahme an diesen Programmen.

Gleichzeitig sollen die flexibleren Zahlungen im Rahmen von produktionsbeschränkenden Maßnahmen (Art. 6.5 - "blue-box") um die Hälfte reduziert werden. Hier sind umweltpolitische Auflagen im Rahmen der cross-compliance bislang möglich, wenn auch nicht verpflichtend.

Dagegen sollen völlig von der Produktion (und damit auch von ökologischen Auflagen) abgekoppelte Direktzahlungen auch weiterhin in unbegrenzter Höhe möglich sein.

Insgesamt werden nicht-handelsbezogene Anliegen (non-trade concerns) im Harbinson-Entwurf nur unzureichend aufgegriffen. Aspekte wie Gesundheit und Vorsorge bleiben außen vor.

Wir fordern dagegen :

  • Größere Flexibilität für die Entwicklungsländer gerade um die kleinbäuerliche Landwirtschaft durch preisstabilisierende Maßnahmen unterstützen zu können. Die einfachste Lösung hierfür wäre, das von Reduktionsverpflichtungen ausgenommene Unterstützungsniveau (de minimis) nicht mehr produktspezifisch sondern nur noch auf aggregierter Ebene zu berechnen. Zusätzlich sind preisstützende Maßnahmen für benachteiligte Produzenten, wie gezielte staatliche Ankaufprogramme von der Berechnung des AMS auszunehmen.
  • Unterstützung für die Entwicklungsländer, um sinnvolle Maßnahmen zur Förderung von Kleinbauern finanzieren zu können. Hierzu sollen die Industriestaaten einen Teil der durch den Subventionsabbau frei werdenden Mittel bereit stellen (Konversion).
  • Kopplung aller Unterstützungsmaßnahmen an wirksame ökologische und soziale Kriterien. Die Tendenz des Entwurfs, die Anreize für Umweltprogramme weiter einzuschränken, muss umgekehrt werden. Daher ist Paragraph 12 b von Anhang 2 des Agrarabkommens nicht zu verschärfen, sondern komplett zu streichen. Im Gegenzug sollten nicht nur die Zahlungen der blue-box, sondern auch die unkonditionierten direkten Einkommensbeihilfen begrenzt und abgebaut werden. Die freiwerdenden Mittel sollen für Umwelt und Entwicklung umgewidmet werden.

Fazit

Die Agrarverhandlungen in der WTO entwickeln sich mit dem ersten Entwurf für die Verhandlungsmodalitäten in die falsche Richtung!

Das Agrarabkommen muss im Rahmen einer internationalen Agrarwende grundlegend umgestaltet werden und zur Hungerbekämpfung und zur Umsetzung des Menschenrechts auf Nahrung beitragen. Die landwirtschaftliche Produktion ist sozial und ökologisch und damit nachhaltig zu gestalten. Die kleinstrukturierte Landwirtschaft in ihrer einzigartigen kulturellen Vielfalt muss erhalten bleiben, weil sie einen Beitrag zur Ernährungssicherheit leistet. Deshalb müssen die Regeln des internationalen Agrarhandels so reformiert werden, dass sie für und nicht gegen die kleinstrukturierte Landwirtschaft ausgerichtet sind.

Der falsche Kurs der Agrarverhandlungen liegt auch darin begründet, dass die EU bislang die falschen Schwerpunkte in ihrer Verhandlungsagenda gesetzt hat: Der Verteidigung von Exportsubventionen und blue-box wurde faktisch die Priorität eingeräumt, während Umwelt- und Entwicklungsfragen trotz aller Multifunktionalitätsrhetorik eher defensiv behandelt wurden. Ein im Sinne des vorliegenden Entwurfs "reformiertes" Agrarabkommen in der WTO würde die von der Bundesregierung angestrebte "Agrarwende" in weiten Teilen unmöglich machen. Daher muss sie sich für die oben skizzierten grundlegenden Veränderungen in der Position der EU und den Abkommen der WTO einsetzen.

März 2003
 

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