NGO-Hearing in Genf
NGO-Hearing in Genf
Die WTO-Ministerkonferenz will im September 2003 auch über den Agrarsektor verhandeln. Dazu legte der Leiter der WTO-Agrarkomission, Stuart Harbinson, am 17. Februar einen ersten Vertragsentwurf vor. Eine Woche später trafen sich in Genf fast einhundert Vertreter/innen der Zivilgesellschaft aus aller Welt, um über das "Harbinson-Papier" zu diskutieren. Dass inzwischen die Frist für den Abschluss der WTO-Agrar-Vorverhandlungen geplatzt ist, liegt auch in ihrem Interesse.
Vier Tage - vom 19. bis 22. März 2003 - nahmen sich die Repräsentant/innen von 71 Nichtregierungsorganisationen (NGO) Zeit, um den ersten Vertragsentwurf der Agrarkomission zu analysieren, seine Bedeutung für Kleinbauern, Frauen und Landlose vor allem in Entwicklungsländern zu eruieren sowie internationale Strategien zu entwickeln, um die WTO-Agrarverhandlungen doch noch im Sinne einer fairen und nachhaltigen Entwicklungspolitik zu beeinflussen. Neben den bekannten internationalen Entwicklungsorganisationen (Misereor, Brot für die Welt, Oxfam) reisten vor allem auch Vertreter/innen aus Entwicklungsländern nach Genf - der Verein Kenianischer Kleinbauern ebenso wie philippinische Frauenorganisationen und mexikanische Freihandelskritiker/innen. In vier Workshops "Recht auf Nahrung", "Globale Regeln zum Verbot von Dumping", "WTO-Debatte zur Ernährungssicherung" und "Landwirtschaft in der Doha Entwicklungs-Agenda" wurden Fragen an die WTO-Ländervertreter/innen entwickelt. Am Ende des zweiten Tages, nach zwei intensiven Frage- und Diskussionsrunden mit geladenen WTO-Verhandlungsleiter/innen (USA, EU, Australien, Brasilien, Indien, Philippinen, Barbados) stand fest: "Harbinsons Vertragsentwurf legitimiert die herrschende Praxis des Agrardumpings. Die WTO ist dieses bedeutende Problem noch nie angegangen," so Bonnie Setiawan vom Institute for Global Justice, Indonesien. "Dumping hat die Märkte der Bauern und damit ihren Lebensunterhalt kaputtgemacht."
Tenor des Treffens: Agro-Business zu Lasten der Kleinbauern begünstigt
Der aktuelle Vertragsentwurf - auch in seiner seit 18. März vorliegenden, überarbeiteten Version - begünstigt das "Agro-Business", die großen Produzenten, auf Kosten der Kleinbauern. Den armen Ländern werden nicht genügend Schutzmechanismen für ihre Lebensmittelmärkte zugestanden, während in der EU und den USA die landwirtschaftlichen Subventionen nicht weitreichend genug abgebaut werden. Durch das praktizierte Lebensmitteldumping ist das Recht auf Nahrung in den Ländern des Südens akut gefährdet. In der gemeinsamen Abschlusserklärung, die alle Teilnehmer/innen aus 30 Nationen unterzeichneten, wurde das "Harbinson-Papier" aus den genannten Gründen als inakzeptabel abgelehnt.
Frustration macht sich jedoch auch am letzten Tag des Genfer Treffens nicht breit. Jetzt werden Vor-Ort-Aktionen zur nächsten Verhandlungsrunde in Cancun im September geplant und ein Alternativ-Agrarvertrag vorbereitet, in dem Ernährungssicherung höchste Priorität hat. Es soll Druck auf die Parlamente der WTO-Mitgliedsländer gemacht werden, sich für die Interessen der Entwicklungsländer einzusetzen - auch auf Kosten eines Scheiterns der Cancun-Runde: "Besser kein Abschluss als ein schlechter Abschluss."
Es gibt Grund zu sanftem Optimismus: Ende März 2003 scheiterten die WTO-Vorverhandlungen über das Agrarpaket. In NGO-Newsgroups kursierte bereits vorher ein Gerücht, nachdem sogar einflussreiche WTO-Mitglieder die Verschiebung des Agrar-Abschlusses bis 2007 verlangen...
Heike Ifland