No Dumping, no Cry
No Dumping, no Cry
Die jamaikanische Milch-Lobbyistin Fiona Black steht vor dem Gebäude der EU-Kommission in Brüssel, tanzt und singt "No dumping no cry". Eigentlich sieht Lobby-Arbeit anders aus, aber was soll´s. Zur Not greift sie halt auf Reggae zurück - singende Jamaikaner werden wenigstens wahrgenommen. Doch Blacks Botschaft handelt nicht von Jah, Smoke und Rightiousness, sondern von Kühen. Genauer von ungemolkenen Milchkühen und verzweifelten Farmern: "Die Existenz aller jamaikanischen Milchbauern ist bedroht, weil künstlich verbilligtes Milchpulver aus der EU die Frischmilch auf dem einheimischen Markt verdrängt."
Seit drei Jahren tourt die Vertreterin der Jamaican Dairy Herd Services durch die EU. Hält Vorträge in Brüssel, Amsterdam, London, Genf. Trifft sich mit Parlamentariern, Agrarlobbyisten, NGOs. Während sich in der schwerfälligen Brüsseler Bürokratie wenig bewegt, wird die Lage auf der Insel immer katastrophaler:
Auf Jamaika werden jährlich 150 Millionen Liter Milch verbraucht. Im vergangenen Jahr wurden aber nur noch 17,8 Millionen Liter in heimischer Produktion erzeugt, magere 12 % Marktanteil. Das war nicht immer so - allein in den letzten zwei Jahren ist der Anteil der jamaikanischen Milch um 35 % gefallen. Warum? Angesichts der billigen Konkurrenz aus der EU hat die jamaikanische Ernährungsindustrie den heimischen Anbietern den Rücken gekehrt: Im Jahr 2001 z.B. kamen 92 Millionen Liter importiertes Milchpulver auf den Markt. Das vorher gut funktionierende Verarbeitungs- und Vermarktungsnetz ist zusammengebrochen. Zuerst haben das die Kleinbauern zu spüren gekriegt, denn es bildete die Grundlage für ihre Teilhabe am Gewinn vom Milchmarkt. 1996 gab es 400 Kleinbauern (mit bis zu 10 Kühen) - im Sommer 2002 wurden nur noch 90 gezählt! Inzwischen sind alle Milchproduzenten der Insel betroffen. Fiona Black: "Es gibt keinen Markt für ihre Frischmilch, weil sich die Verarbeitende Industrie gegenwärtig für die billigen Milchpulver-Importe aus der EU entschieden hat. Wir wenden uns an Europa mit der Botschaft: Hört auf mit diesen Subventionen. Exportsubventionen töten die Entwicklungsländer. Die jamaikanischen Bauern werden ausgeblutet! Wir konkurrieren mit Preisen, die unter den Produktionskosten liegen. In diesem Kontext ist Wettbewerbsfähigkeit praktisch unmöglich."
Europäisches Milchpulver pulverisiert jamaikanische Gewinne
Der Konzern Nestlé war ursprünglich ein bedeutender Aufkäufer jamaikanischer Frischmilch. In den letzten Jahren hat Nestlé kontinuierlich die Aufkäufe zurückgefahren. Während der Konzern im Jahr 2001 noch 10 Millionen Liter im Land einkaufte, sank diese Zahl im Jahr 2002 auf nur noch 6 Millionen.
Nestlé kauft nicht nur weniger ab, sondern bietet für die Milch außerdem nur noch einen stetig sinkenden Preis. Die Festlegung dieses Kaufpreises richtet sich nämlich nach dem billigen, subventionierten Milchpulver, das EU und USA nach Jamaika importieren. Heute bietet Nestlé den Bauern nur noch 18 Jamaikanische Dollar (J$), während es vor ein paar Jahren noch 22 J$ waren. Selbst zu diesem niedrigen Preis ist die Abnahme der Milch seitens Nestlé nicht gewährleistet und ständig geringer geworden.
Dass es die kleinen Betriebe am härtesten trifft, ist sowohl auf die sinkenden Absatzmöglichkeiten, als auch in der Folge auf die niedrigeren Verkaufspreise für Frischmilch zurückzuführen. Es ist für jamaikanische Farmer üblich geworden, ihre eigene Milch nach der Produktion zu Dumpingpreisen zu verkaufen!
Regierung darf nicht gegensteuern
Die einzige, kurzfristige Chance der jamaikanischen Regierung, dieser Abwärtsspirale gegenzusteuern, wäre die Erhöhung der Einfuhrzölle. Aber angesichts des Drucks von IWF und Weltbank sowie der Abhängigkeit von weiteren Krediten kann sich die Regierung diesen Schritt nicht erlauben.
Auch die WTO stellt Jamaika keine Handelsmaßnahmen zum Schutz gegen Dumping zur Verfügung. Jamaika hat aufgrund der bestehenden Regelungen nicht die Möglichkeit, die "spezielle Schutzklausel" anzuwenden. Diese würde dem Land die Anhebung von Zöllen bei der Überschreitung eines bestimmten Importvolumens oder bei der Unterschreitung eines bestimmten Einfuhrpreises erlauben. Ebenso darf es keine eigenen Anti-Dumping Maßnahmen auf Milchprodukte anwenden, weil die interne Anti-Dumping-Gesetzgebung als inkongruent mit den WTO Regeln eingeordnet wird. Was das Dilemma noch vergrößert: Jamaika ist als Exporteur von Bananen und Zucker von EU-Handelspräferenzen abhängig. Ein Handelsstreit mit der mächtigen EU wäre deswegen nicht gerade opportun...
Wie alles begann - Die Liberalisierung des Milchsektors ....
1992 wurden die Zölle auf Milchpulver in Jamaika reduziert sowie die Subventionen für heimische Milchbauern abgeschafft. Sie wurden dem Land als Bedingung für einen Weltbankkredit auferlegt. Die Folge: Ein immenser Anstieg der Einfuhr von Milchpulver nach Jamaika, in erster Linie aus der EU. Die Importe der EU vervielfachten sich in den letzten Jahren von 1200 Tonnen im Jahr 1992 auf 6300 Tonnen im Jahr 2000. Damit gehen 67 % der Milchpulverimporte auf die EU zurück. Der Grund für die Überflutung des Marktes mit europäischen Billigimporten ist simpel: Der Milchsektor wird staatlich hoch subventioniert. Allein 1999 hat die EU 2,5 Milliarden Euro im Milchbereich, davon 1,5 Milliarden für Exportsubventionen ausgegeben. Dabei geht, wie die Zahlen belegen, der Großteil der Subventionen nicht an die europäischen Bauern selbst, sondern an die weiterverarbeitende Industrie und die Exporteure. Das Ergebnis: Die EU ist jetzt der größte Exporteur von Milchprodukten in der Welt.
Die EU exportiert Milchprodukte zu einem Preis, der unabhängig ist von den Kosten, die ein europäischer Landwirt für die Herstellung von Milch aufwendet. Eine NGO Studie schätzt, dass die Exportpreise für Milchpulver ungefähr die Hälfte der eigentlichen Produktionskosten betragen. Dumping findet damit im großen Umfang statt.
Marita Wiggerthale
JAMAIKA FACTS:
Inselstaat Karibik
2,6 Mio. Einwohner
BIP pro Kopf: ca. 3.176 €
Landwirtschaft: Über 40 % der Jamaikaner leben auf dem Land. Mehr als 20 % der Erwerbsfähigen leben von der Landwirtschaft. 72,5 % der Armen leben im ländlichen Raum.
1979 1. Kreditaufnahme bei der Weltbank - daran gekoppelt neoliberales Strukturanpassungsprogramm des IWF: Öffnung der Märkte, Senkung der öffentlichen Ausgaben, Privatisierung von Staatsbetrieben. Ergebnis: Steigende Inflation, höhere Arbeitslosigkeit, schlechte Arbeitsbedingungen (Freihandelszonen), Zerstörung der Absatzmärkte für Kleinbauern. Heute lebt ein Viertel der Bevölkerung von weniger als 2 US $/Tag.