"Wir brauchen eine dritte Industrielle Revolution"

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"Wir brauchen eine dritte Industrielle Revolution"

Prof. Dr. Hans-Joachim Schellnhuber ist Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und einer der beiden Klimaberater von Bundeskanzlerin Merkel

 

Herr Prof. Dr. Schellnhuber, was ist für Sie das zentrale Ergebnis des jüngsten Berichts des Weltklimarates IPCC?

Die Beweisaufnahme im Indizienprozess ist abgeschlossen. Der Täter ist überführt - der Mensch verändert das globale Klima. Jetzt können wir noch das Strafmaß - das Ausmaß an Schäden - beeinflussen. Es lohnt sich, um jedes Grad, ja jedes Zehntel Grad vermiedene Temperaturerhöhung zu kämpfen. Wir brauchen eine dritte industrielle Revolution, wenn wir die ganz großen Schäden verhindern wollen.

Welche Klimaschutz-Weichenstellungen erwarten Sie vom Frühjahrsgipfel der EU-Regierungschefs in wenigen Tagen?

Der Entwurf einer Energie- und Klimastrategie der EU-Kommission sieht eine 20-prozentige Treibhausgasreduktion bis 2020 vor, und sogar 30 Prozent, wenn sich auf internationaler Ebene andere beteiligen.

Für die Energieeffizienz wird ein klares Ziel gesetzt. In den nächsten Jahrzehnten ist da viel erreichbar. Aber irgendwann ist die Zitrone ausgepresst. Auch für Erneuerbare Energien, die im Laufe des Jahrhunderts eine dominierende Rolle spielen können, ist ein klares Steigerungsziel auf 20 Prozent bis 2020 vorgesehen. Dennoch werden sie alleine die fossilen Energieträger nicht früh genug ersetzen können. Es bleibt eine zeitliche Riesenlücke, in der noch massenhaft Kohle eingesetzt werden wird. Nach dem Entwurf der EU-Strategie sind ab dem Jahr 2020 aber nur noch fossile Kraftwerke zugelassen, deren CO2 abgeschieden und geologisch verpresst wird.

Jeder EU-Staat hat bei Einzelpunkten des Pakets seine Probleme. Deshalb ist ganz entscheidend, das Gesamtpaket geschlossen zu verabschieden. Wenn das gelingt, kann die EU bei weiteren Verhandlungen auf G8- und auf UN-Ebene mit einer Stimme sprechen. Und das würde kein Flüstern sein, sondern ein Brüllen.

Also eine Verpflichtung zum einseitigen Klimaschutz, bevor die großen Schwellenländer mitmachen?

Ja. Europa hat seinen Wohlstand seit der ersten industriellen Revolution auf fossilen Brennstoffen aufgebaut und so eine gewaltige Treibhausgas-Schuld aufgehäuft. Eine Entschuldung kann nur durch die Entwicklung eines Wohlstandmodells mit immer weniger CO2-Emissionen gelingen.

Außerdem ist der Vorbildcharakter entscheidend. Nur wenn wir ein erfolgreiches Wirtschaftsmodell ohne CO2-Emissionen entwickeln, besteht eine realistische Chance, dass uns die Schwellenländer nicht in "Verschmutzungsgeiselhaft" nehmen.

Und wie sieht es mit den USA aus?

Es ist eine Tragik, dass sich diese Nation mit dem größten Innovationspotenzial der Welt bisher dem Klimaschutz verweigert. Doch jetzt ist ein großer Teil der Bevölkerung, der Unternehmen und der Einzelstaaten auf dem Sprung zu mehr Klimaschutz. Die größte Chance besteht wohl darin, die USA durch technologische Herausforderungen - etwa in der Richtung eines weltweiten Apollo-Projektes - an Bord zu bekommen.

Welche Höhepunkte für die internationale Klimastrategie folgen auf den Frühlingsgipfel der EU?

Ende April, beim transatlantischen Gipfel der EU mit den USA, wird man sehen, ob man jetzt zumindest eine Energieeffizienz-Technologieinitiative in der transatlantischen Klima-Partnerschaft vorantreiben kann.

Dann kommt Anfang Juni der G8-Gipfel - gemeinsam mit den fünf großen Schwellenländern. Wenn es vorher Fortschritte bei EU und USA gibt, besteht die Chance, dass die Schwellenländer den Weg frei machen für ein substanzielles Mandat auf dem UN-Klimagipfel in Bali im Dezember. Und dieser Gipfel muss zur Chefsache werden.

Auch das Thema der Anpassung an den nicht mehr vermeidbaren Teil des Klimawandels - speziell für Afrika - steht auf der G8-Agenda. Kann eine regionale Klima-Versicherungs-Fazilität, die Klimaversicherungen der besonders betroffenen Menschen in Afrika unterstützt, eine Rolle spielen?

Im Prinzip kann so ein Versicherungsmodell eine sinnvolle Basis auch für die notwendige Solidarität zwischen Nord und Süd herstellen. Und es wäre auch richtig, das am Beispiel Afrika - dem vermutlich am stärksten vom Klimawandel betroffenen Kontinent - zu erproben. Ein solcher regionaler Fonds, der sich später in ein Netz von regionalen Fonds einfügen könnte, hätte vermutlich mehr Chancen als ein globales Instrument. Ich bezweifele, dass die Regierungen der Industrieländer das notwenige Geld - und wir sprechen hier über sehr große Summen - in einen globalen Fonds einzahlen würden.

Interview: Christoph Bals und Sven Harmeling


 

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