Wir müssen – und können – an die Kohle ran
Wir müssen – und können – an die Kohle ran
Deutschland verfeuert so viel Kohle wie lange nicht mehr und stößt damit mehr klimaschädliches Kohlendioxid aus. Was kann Deutschland tun, um den Trend umzukehren und das in der Koalitionsvereinbarung festgelegte Klimaziel zu erreichen?
Deutschland muss die Kohleverstromung deutlich reduzieren. Dafür können auf nationaler Ebene ordnungsrechtliche Vorgaben für den Betrieb von fossilen Kraftwerken festgelegt werden – ergänzend zum europäischen Emissionshandelssystem. Es gibt europarechtlich weder einen zwingenden Ausschluss nationaler ordnungsrechtlicher Instrumente noch einen Vorrang des Emissionshandels vor solchen Maßnahmen.
Da der Emissionshandel erkennbar keinerlei Lenkungswirkung hin zu klimaverträglicheren Energieträgern entfaltet und nationale Klimaschutzziele gefährdet, haben die Mitgliedstaaten vielmehr nach europäischem Primärrecht die Möglichkeit, wenn nicht sogar die Pflicht zum ordnungsrechtlichen Handeln.
Die gegenwärtig im deutschen Bundesimmissionsschutzgesetz vorgesehene so genannte Sperrklausel, die Ordnungsrecht für Anlagen, die am Emissionshandel teilnehmen, ausschließt, ist unionsrechtlich keineswegs zwingend. Gibt es neue, für den Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung sowie den Schutz der Umwelt relevante Erkenntnisse und Ziele, kann bzw. muss der Gesetzgeber seine bisherigen Regelungen zur Nutzung fossiler Energieträger überprüfen und gegebenenfalls revidieren. Der Anlagenbetreiber hat keine Garantie dafür, dass er eine Anlage immer so betreiben kann, wie sie genehmigt wurde. Insofern gelten nicht zuletzt auch die Erwägungen, die im Rahmen der Atomausstiegsbeschlüsse 2002 und 2011 angestellt und schließlich umgesetzt wurden, entsprechend.
Konkret in Betracht kommen insbesondere nationale CO2-Emissionsstandards in Form von spezifischen CO2-Grenzwerten oder maximal zulässigen CO2-Jahresfrachten. Möglich wäre auch eine Kombination: spezifische CO2-Grenzwerte für Neuanlagen, CO2-Jahresfrachten für Bestandsanlagen.
Staatliche Verordnungen sehen viele Unternehmen kritisch. Warum kann man die Klimapolitik nicht dem Europäischen Emissionshandel alleine überlassen?
Der Emissionshandel in gegenwärtiger Form ist unwirksam. Er entfaltet nicht die notwendige Lenkungswirkung hin zu klimafreundlichen Technologien. Aktuell liegt der Preis für ein Zertifikat zwischen fünf und sieben Euro pro Tonne CO2 und mithin weit entfernt von einem Preis von mehr als 40 Euro pro Tonne CO2, der für den Wechsel des Brennstoffs erforderlich wäre. Im Übrigen ist pauschale Kritik am Ordnungsrecht nicht berechtigt. In der Vergangenheit waren Umweltpolitik und -recht dann erfolgreich, wenn es klare, verbindliche und justiziable Regelungen gab, die gleichzeitig den Anlagenbetreibern Planungs- und Investitionssicherheit vermittelten.
Untergräbt Ordnungsrecht nicht den Emissionshandel?
Nein. Zum einen enthält das Emissionshandelssystem selbst bereits an mehreren Stellen ordnungsrechtliche Elemente. Zum anderen spricht vieles dafür, dass die Einführung von Ordnungsrecht in Deutschland den politischen Ansätzen, den EU-Emissionshandel zu reformieren, Dynamik verleihen würde. Ein ordnungsrechtlicher Ansatz kann Druck in Richtung eines funktionierenden EU-Emissionshandels ausüben und geplanten Reformmaßnahmen das notwenige politische Gewicht verleihen. Das Ordnungsrecht würde dann sogar umgekehrt das Emissionshandelsregime stützen. Um diese Wechselwirkung deutlich zu machen, ließe sich das Ordnungsrecht grundsätzlich zum Beispiel so ausgestalten, dass es „ausgesetzt“ würde, wenn künftig bestimmte CO2-Preise überschritten werden würden.
Dr. Cornelia Ziehm untersuchte im Auftrag von Germanwatch zuletzt die europa- und ordnungsrechtlichen Möglichkeiten, die Kohleverstromung so zu begrenzen, dass das deutsche Klimaziel (40 Prozent bis 2020) erreicht werden kann. Das Gutachten finden Sie unter:
www.germanwatch.org/9452
Interview: Tobias Pforte-von Randow