Reform oder Scheinreform?

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Reform oder Scheinreform?

Den IT-Sektor auf Ressourcenschonung trimmen
Weitblick-Bild 1/14: Karikatur IT-Marketing

Seit Jahren steigt die Zahl der weltweit verkauften Mobiltelefone. Im Jahr 2013 wurden 1,8 Milliarden Handys verkauft. Allein in Deutschland gingen im letzten Jahr 26,7 Millionen Handys über den Ladentisch. Während sich die einen über die hohen Wachstumszahlen freuen, denken andere dabei an den enormen Ressourcenverbrauch und die Menschenrechtsprobleme bei der Herstellung von IT-Geräten.

(Karikatur großformatig siehe Artikelende)

Dieses Spannungsverhältnis spiegeln auch zwei aktuelle Großveranstaltungen Anfang September wider. In Leipzig denken die Teilnehmenden der vierten „Degrowth-Konferenz“ darüber nach, wie ein Wohlstandsmodell mit sinkendem Ressourcenverbrauch aussehen kann. Zeitgleich pilgern in Berlin IT-Begeisterte zur Internationalen Funkausstellung (IFA), die in diesem Jahr unter dem Motto „Consumer Electronics Unlimited“ steht. Zwar wird immer deutlicher, dass neue Entwicklungen in der Informationstechnologie von großem Nutzen für die notwendige Transformation des Energie-, Verkehrs- und Wirtschaftssystems sind. Jedoch droht der IT-Sektor durch sein starkes Wachstum selbst zum massiven Problem für Energie- und Ressourcenverbrauch zu werden.

Dieses Wachstum kurbeln Unternehmen auch durch unverantwortliche Marketingstrategien an, wie die diesjährige Vodafone-Werbung „Jedes Jahr ein neues Smartphone“ zeigt. Suggeriert wird: Wer mithalten will, muss das neueste Handy haben. Allzu oft sorgen zudem Sollbruchstellen bei neuen Produkten dafür, dass sie nicht lange halten und ein neues Gerät beschafft werden muss. Eine Studie des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2012 zeigte jedoch anhand von Laptops, dass eine lange Nutzungsdauer zentral ist, wenn unsere planetarischen Grenzen eingehalten werden sollen. Auch auf Handys und Smartphones trifft dies zu. Allein um das Gold für ein einziges Handy zu gewinnen, entstehen laut der US-Organisation Earthworks etwa 100 Kilogramm Bergbauabfall.

Rohstoffe sichern statt Ressourcen schonen?

Durch die weltweit massiv gestiegene Nachfrage nach Rohstoffen werden zunehmend größere Risiken für die Menschenrechte sowie die Umwelt in Kauf genommen. Die Politik in Deutschland und der EU hat auf den erschwerten Zugang zu Rohstoffen für ihre Unternehmen in den Jahren 2010 und 2011 mit Rohstoffstrategien reagiert. Diese fokussieren bislang darauf, Handelshemmnisse abzubauen und Unternehmen darin zu unterstützen, im Bergbau aktiv zu werden, zum Beispiel im Rahmen von Rohstoffpartnerschaften. Umwelt- und Menschenrechtstandards sind eher schmückendes Beiwerk als Kernbestandteile der Rohstoffstrategie. Eine Strategie hin zu einer Kreislaufwirtschaft, die unter anderem Ansätze wie längere Nutzung oder Recycling ins Zentrum stellt, lässt sich daraus nicht ablesen.

Gerade in diesem Sinne besteht jedoch dringender Handlungsbedarf, wie die folgende Zahl verdeutlicht: Allein im Jahr 2012 hat Deutschland pro Person 611 Tonnen Siedlungsabfall produziert – und ist damit unter den traurigen Spitzenreitern in der EU. Der Koalitionsvertrag nennt viele Aspekte der Kreislaufwirtschaft, doch ohne konkrete Maßnahmen. Um diesen gerecht zu werden, muss die Regierung die nachfolgend beschriebenen EU-Initiativen ambitioniert umsetzen und weitere Anstrengungen gegen Ressourcenverschwendung unternehmen.

Viele Richtlinien – wenig konsequente Umsetzung

Eine Mitteilung des EU-Umweltkommissars Janez Potočnik, der 2014 zum Jahr des Abfalls ausgerufen hat, geht nun einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft. Das vorgeschlagene Maßnahmenpaket für ein neues Kreislaufwirtschaftsgesetz, das so genannte „Null-Abfallprogramm für Europa“ der EU-Kommission, sieht vor, das Recycling von Siedlungsabfällen bis 2030 auf mindestens 70 Prozent zu steigern. Das Programm will unter anderem Deponien für Siedungsabfälle verbieten, um Recycling zu erzwingen. Müllverbrennung wird hingegen nicht eingeschränkt und Ressourceneffizienzziele bleiben aus. Für eine nachhaltige Reduktion unseres Ressourcenverbrauches gibt es hier noch Nachbesserungsbedarf.

Für Elektronikprodukte fehlen noch konkrete Ziele. Dazu bietet in Deutschland die derzeitige Überarbeitung des Elektro- und Elektronikgesetzes (ElektroG) eine gute Gelegenheit. Damit nimmt die Bundesregierung die längst überfällige nationale Umsetzung der überarbeiteten europäischen Elektroschrott-Richtlinie WEEE aus dem Jahr 2012 in Angriff. Sie könnte ein wichtiger Schritt sein, um die illegale Ausfuhr von Elektroschrott zu verhindern, da laut EU-Richtlinie zukünftig die Exporteure nachweisen müssen, dass sie gebrauchsfähige Geräte ausführen. Allerdings sind brauchbare Maßnahmen zur Wiederverwendung von Produkten, die eigentlich ganz oben in der Handlungshierarchie des Kreislaufwirtschaftsgesetzes stehen, Mangelware im ersten Referentenentwurf.

Die von der EU-Kommission derzeit erarbeitete Ökodesign-Richtlinie bietet außerdem die Chance, vorzuschreiben, eine Wiederverwendung von Produkten bereits im Produktdesign zu berücksichtigen. So könnte bessere Recyclebarkeit vorgeschrieben werden. Auch die Entnahmemöglichkeit von Akkus wäre hier ein wichtiger Aspekt. Die Richtlinie setzt Wirtschaftlichkeit als eine Grundvoraussetzung der Erneuerungsvorschläge voraus. Einerseits ist das sinnvoll, denn unwirtschaftliche Produkte werden sich nicht auf dem Markt durchsetzen. Anderseits fehlt dann der zweite Schritt: die politischen Rahmenbedingungen so zu verändern, dass neue Geschäftsmodelle für langfristig ressourcenschonende Produkte und Dienstleistungen größere Chancen haben, sich zu etablieren.

In der Praxis gibt es bereits erfreuliche Ansätze wie die Repair-Café-Bewegung, wo VerbraucherInnen nicht auf den Staat warten, sondern selbst Verantwortung übernehmen. Aber wenn Politik und Unternehmen nicht die Schwierigkeiten beheben, denen engagierte VerbraucherInnen gegenüberstehen, wird das kaum zur Massenbewegung. Zudem kommt dem Staat auch als Verbraucher eine wichtige Rolle zu. Die Verwaltung kauft in großem Umfang Computer und Drucker ein. Die überarbeitete EU-Richtlinie zu öffentlicher Beschaffung bietet seit Anfang 2014 bessere Möglichkeiten, soziale und ökologische Kriterien in der Beschaffung zu berücksichtigen. Es gilt, die Möglichkeiten dieser Richtlinie in Deutschland konsequent zu nutzen.

Doch selbst alle zuvor genannten Ansätze zusammen gehen längst noch nicht weit genug. Wenn wir wirklich eine Kreislaufwirtschaft erreichen wollen, dann sind wir erst am Anfang. Die Zeit ist reif dafür, ambitioniert nach intelligenten Lösungen zu suchen und die bereits vorliegenden Ansätze nicht mehr länger herauszuschieben.
 

Cornelia Heydenreich & Johanna Sydow
  

 

Copyright Karikatur: Michael Hüter

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