Wie sorgfältig müssen Unternehmen sein?
Wie sorgfältig müssen Unternehmen sein?
Seit einigen Jahren kursiert ein neues Schlagwort in der Debatte um Wirtschaft und Menschenrechte: Human Rights Due Diligence – auf Deutsch in etwa „menschenrechtlich gebotene Sorgfalt oder Sorgfaltspflicht“. Der frühere UN-Sonderbeauftragte für Wirtschaft und Menschenrechte, John Ruggie, hatte 2008 die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht als freiwilliges Konzept mit dem Rahmenwerk „Respect-Protect-Remedy” eingeführt. Die UN-Leitprinzipien zur Umsetzung des Rahmenwerkes greifen diese Sorgfaltspflicht ebenso auf wie die 2011 überarbeiteten OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen.
Mit einer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht sollen Unternehmen sicherstellen, dass sie nicht direkt oder indirekt durch ihre Unternehmenstätigkeit zu Menschenrechtsverletzungen beitragen. Sie sollen etwaige negative Auswirkungen identifizieren und verhindern bzw. abfedern und wiedergutmachen. Wenn zum Beispiel ein IT-Markenhersteller im boomenden Weihnachtsgeschäft kurzfristig die Produktionsquoten erhöht und die ArbeiterInnen in den Zulieferbetrieben dann sieben Tage pro Woche schuften müssen, wird ihr Recht auf gerechte Arbeitsbedingungen und ihr Recht auf Gesundheit verletzt.
Welche Fragen sollte ein Unternehmen nun konkret prüfen? Die Europäische Kommission beauftragte das britische Institute for Human Rights and Business und das US-amerikanische Institut Shift, exemplarisch für drei Sektoren einen Leitfaden zur Umsetzung des Konzeptes zu erarbeiten.
Die Informations-und Kommunikationsindustrie ist einer der ausgewählten Sektoren. Ein Diskussionspapier zeigt menschenrechtliche Herausforderungen für Computerhersteller, Mobilnetzbetreiber und Internetprovider auf. Ein zentrales Thema ist das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Regierungen insbesondere in diktatorischen Regimen verletzen, indem sie Informationen im Internet filtern oder blockieren lassen. Regierungen, wie z. B. Ägypten im Jahr 2011, gaben sogar die Anweisung, ein Internet-und Telekommunikationsnetz komplett abzuschalten. Welche Mitverantwortung tragen die Dienstleistungsunternehmen in solchen Fällen?
Ebenso geht es um die menschenrechtlichen Auswirkungen bei der Herstellung von IT-Geräten. Die gesamte Wertschöpfungskette gehört in den Blick, vom Rohstoffabbau über die Produktion bis zum Elektroschrott, wie u. a. das Projekt makeITfair seit Jahren unterstreicht. Bis Ende 2012 sollen die Ergebnisse vorliegen, die aktuell durch Expertenbefragungen und einen öffentlichen Konsultationsprozess erarbeitet werden.
Ein weiteres Umsetzungsprojekt zur Human Rights Due Diligence geht über die freiwillige unternehmerische Verantwortung hinaus: Das Gemeinschaftsprojekt des europäischen Netzwerkes European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) mit US-amerikanischen und kanadischen Partnern befasst sich mit politischen Rahmensetzungen für die unternehmerische Sorgfaltspflicht. Ebenfalls bis Ende 2012 soll ein juristisches Expertenteam Politikempfehlungen erarbeiten, wie Regierungen die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht von Unternehmen fördern oder auch vorschreiben können.
Germanwatch ist an beiden Projekten beteiligt und wird die Ergebnisse in die bundesdeutsche Debatte einfließen lassen.
Cornelia Heydenreich
Weitere Informationen zu den Projekten: