Neue Spielregeln der WTO
Neue Spielregeln der WTO
Der Zeitplan für die Agrarverhandlungen in der WTO ist eng gesetzt. Bis Ende März soll ein Konsens unter den Mitgliedern der WTO hinsichtlich der Spielregeln für die weitere Reform des Agrarabkommens hergestellt sein. Für die Entwicklungsländer steht viel auf dem Spiel, gilt es doch das jetzige Agrarabkommen so zu reformieren, dass es grundlegend auf Ernährungssicherung und Armutsbekämpfung ausgerichtet ist. De facto stellt das Abkommen derzeit eine Sonderbehandlung für die Industrieländer dar. Da Landwirtschaft die Haupteinnahmequelle im ländlichen Raum darstellt, kommt der Regulierung des internationalen Agrarhandels eine hohe Bedeutung zu: Dreiviertel der Hungernden und Dreiviertel der Armen leben im ländlichen Raum, die Mehrheit davon sind Frauen. Im Schnitt sind 70% der Bevölkerung in Ländern mit niedrigem Einkommen - darunter Indien und China - in der Landwirtschaft tätig.
Das Verhandlungsmotto der USA und der EU lautet jedoch heute genauso wie in der Uruguay-Runde (1986-1994) „Ihr liberalisiert eure Agrarmärkte, wir subventionieren unsere Landwirtschaft”. Diese forcierte Liberalisierung im Süden bei gleichzeitig fortbestehendem Agrarprotektionismus im Norden gefährdet aber die Existenzgrundlagen der Kleinbauern: Die lokalen Märkte werden mit subventionierten Nahrungsmittelimporten überschwemmt, die Kleinbauern können nicht mit den Dumping-Produkten aus dem Norden konkurrieren. Lebensmittelverarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen, die für die Volkswirtschaft und für die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung lebenswichtig sind, werden zerstört oder können sich nicht entwickeln. Mit der zunehmenden Entstehung größerer Betriebe werden Kleinbauern verdrängt. Ein Mangel an Beschäftigungsalternativen treibt sie in die Armut, soziale Sicherheitsnetze existieren in der Regel nicht.
Die Agrarhandelsliberalisierung gefährdet damit die Ernährungssicherheit und das Recht auf Nahrung. Angesichts dieser Erfahrung muss das Agrarabkommen der WTO drastisch umgestaltet werden. Entscheidend sind neue Schutzmöglichkeiten für Entwicklungsländer und Kleinbauern. Mehr Flexibilität ist notwendig für die Unterstützung des landwirtschaftlichen Sektors und für Kleinbauern in den Entwicklungsländern. Exportsubventionen müssen abgebaut werden und das Subventionssystems der Industrieländer gilt es nachhaltig umzugestalten. Grundsätzlich soll der Orientierung auf das Recht auf Nahrung oberste Priorität eingeräumt werden. Diese Bestimmungen sind in der sog. „Development Box” verankert, die u.a. von Germanwatch, FIAN Deutschland und Weltladen-Dachverband gefordert wird. Marktöffnung im Norden allein kann die Probleme der Handelsliberalisierung für die Kleinbauern im Süden nicht lösen. Sie kann sogar kontraproduktiv sein, wenn sie zu einer verstärkten Exportorientierung und Konzentration in der Landwirtschaft führt und Kleinbauern von Großproduzenten an den Rand gedrängt werden.
Die Veränderung des Agrarabkommens ist nicht nur eine moralische Pflicht für die internationale Staatengemeinschaft und für die deutsche Regierung, die das Recht auf Nahrung in ihrer Strategie zur Armutsbekämpfung betont. Diese Veränderungen sind notwendig, um Gerechtigkeit und Menschenrechten genüge zu tun. Sie dürfen deshalb nicht an Bedingungen wie Zugeständnisse der Entwicklungsländer in anderen Handelsbereichen geknüpft werden. Insbesondere sind Bestrebungen abzulehnen, von Entwicklungsländern die Zustimmung zu den neuen Themen Investitionen und Wettbewerb als Gegenleistung für ein Entgegenkommen im Agrarsektor zu verlangen.
Lobbyarbeit und öffentlicher Druck sind hier nötig um zu erreichen, dass die jeweiligen Elemente der „Development Box” in den Bereichen Exportsubventionen, Marktzugang und staatliche Unterstützung des Agrarabkommens integriert werden. Meilensteine für diese Arbeit sind die Tagung des Landwirtschaftskomitees der WTO Ende März 2003 und die 5. WTO-Ministerkonferenz in Cancun im September 2003. Im Moment ist seitens der EU und der USA wenig Bewegung in dieser Richtung zu beobachten. Das Proklamieren einer Entwicklungsrunde in Doha im November 2000 droht damit zu einer Farce zu werden. Dies gilt es mit allen Mitteln zu verhindern!
Marita Wiggerthale
Die Bundesregierung und die Europäische Union sollen daher:
|