Finanzströme: Fluss ins Solarzeitalter oder Versumpfen in fossiler Ära?

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Finanzströme: Fluss ins Solarzeitalter oder Versumpfen in fossiler Ära?

 

Die Debatte zwischen Wirtschaftsminister Clement und Umweltminister Trittin um das Klimaschutzziel für 2020 und die Förderung der Windenergie hat symbolischen Charakter. Die vermutlich entscheidenden zwanzig Jahre für die Zukunft des weltweiten Klimas haben begonnen. In etwa zehn Jahren wird man sagen können, ob es noch eine Chance gibt, ernsthafte Klimaschutzziele zu erreichen. Denn weltweit werden jetzt die Weichen für gigantische Mengen an Investitionen gestellt. Der Ausgang ist offen. Als vor zwei Jahren der damals neue US-Präsident Bush das Kyoto-Protokoll und die ohnehin wenig beherzte US-Klimapolitik meinte weg fegen zu können, dachten auch in der EU einige Politiker ans Aufgeben. Doch bestimmte Entwicklungen der letzten beiden Jahre machen Hoffnung. "Objects may be closer than they appear" - dieser Warnhinweis von neuen Autorückspiegeln könnte auch im Klimaprozess gelten. Im Rückblick könnte die Bush/Cheney- Regierung ebenso anachronistisch erscheinen, wie der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II., der vor knapp hundert Jahren erklärte: "Ich halte das Auto für eine Modeerscheinung und setze auf das Pferd." Verständliche Äußerung in einer Zeit, in der Sprit noch in der Apotheke gekauft wurde, aber trotzdem grundfalsch. Es mehren sich die Anzeichen, dass wir derzeit den Beginn einer großen Innovationswelle erleben, die ins solare Zeitalter führt. Eine der zentralen Fragen des kommenden Jahrzehnts heißt: Fließen die Finanzströme in Richtung solares Zeitalter oder werden sie uns in der fossilen Ära versumpfen lassen?

Kyoto und Emissionshandel in Europa

Wichtig ist, dass das Kyoto-Protokoll durch die noch ausstehende russische Ratifizierung endlich in Kraft tritt. Wichtig ist aber auch, dass die EU beschlossen hat, ein Emissionshandelssystem für Unternehmen einzuführen, und zwar unabhängig davon, ob Kyoto kommt oder nicht. Damit ist es der Politik erstmals gelungen, ein Klimasignal für den Finanzmarkt zu geben. Verschiedene Studien von Analysten zeigen, dass das Signal angekommen ist: Die Finanz-Rating-Agentur Standard & Poors etwa teilte jüngst mit: "Unternehmen, die ihre Emissionen nicht in den Griff bekommen, können erleben, dass sie bei den Finanzratings unter Druck geraten". Dies gilt insbesondere für Unternehmen, die ihren Energiebedarf überwiegend mit Kohle decken. Wegen des Alters der Kraftwerke stand eine Neustrukturierung des Kraftwerkspfades ohnehin an, jetzt wird es wahrscheinlicher, dass Kohle dabei eine schnell abnehmende Rolle spielen wird. In welchem Ausmaß der Finanzmarkt dieses Signal wahrnimmt, hängt maßgeblich mit davon ab, wie die nationalen Allokationspläne (Zuordnung von Emissionserlaubnissen zu Sektoren u. Industrieanlagen) gestaltet werden und ob sich die EU schnell auf ein ehrgeiziges CO2-Reduktionsziel für das Jahr 2020 einigt. Der deutsche Wirtschaftsminister, der von einer Renaissance der Kohle träumt, bekämpft genau deshalb das Setzen eines solchen Ziels.

Die Dynamik der Erneuerbaren Energieträger

Anzeichen für eine weiterführende Dynamik kommen auch von anderer Seite: Weltweit hat sich der Einsatz der Windenergie seit 1998 verdreifacht. In den letzten drei Jahren ist die Produktion von Windturbinen global um 78 % und die von solarer Stromerzeugung sogar um 150 % gestiegen. Angetrieben von sinkenden Kosten und Regierungsmaßnahmen - sehr erfolgreich ist in Deutschland das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) - hat das Wachstum der Erneuerbaren Energieträger in den letzten Jahren immense Formen angenommen. Das könnte den Weg für eine dramatische Transformation des Energiesystems in der nächsten Dekade vorbereiten. Auch in den USA boomt nun - durch Entscheidungen auf Staatenebene - die Erneuerbare-Energien-Industrie. General Electric hat heftig in Windenergie investiert und die Einlagen in US-Solarenergie stiegen alleine 2002 um 60 %. Unternehmen, die nicht mitziehen, geraten unter Druck - nicht nur der Umweltschützer, sondern auch der Aktionäre. Auf der diesjährigen Jahreshauptversammlung von Exxon (in Deutschland Esso) haben die Besitzer von einem Viertel aller Aktien für eine Investitionsstrategie in Erneuerbare Energien gestimmt.

Indien ist inzwischen das Land mit der fünftgrößten Windkapazität, die alleine in den ersten drei Monaten von 2003 um weitere 10 % anstieg. China hat zur Zeit mehr als 1800 MW "in der Pipeline". Es gibt erste erkennbare Anzeichen, dass die großen aufstrebenden Staaten wie China, Brasilien und Indien die Chancen nutzen, die in der kostengünstigen Produktion vor Ort der arbeitsintensiven Erneuerbaren Energien stecken. Erleben wir hier ein Strohfeuer oder den Beginn eines neuen Megatrends? Werden die Kosten schnell genug sinken, so dass diese Volkswirtschaften den Sprung wagen und massiv auf erneuerbare Energieträger setzen? Schon zeigen neue wissenschaftliche Studien, dass sich der Monsun-Regen in China drastisch verschoben hat, Dürren und heftige Überflutungen sind bereits jetzt die Folge. Der Hauptgrund ist die kohlebedingte regionale Luftverschmutzung, nicht der globale Klimawandel. Wird China ein solches Katastrophenszenario in Kauf nehmen und weiter auf den massiven Ausbau der Kohle setzen?

Im Jahr 2004 richtet Deutschland den Erneuerbare-Energien-Gipfel aus. Im Folgeprozess muss - vor allem durch eine große Gruppe von Vorreiterstaaten - eine Dynamik entstehen, die eine verlässliche Rahmensetzung so vorantreibt, dass Investoren das Geld in die notwendige Richtung lenken.

Auf einem anderen Blatt steht, dass die Finanzströme an vielen Regionen und etwa zwei Milliarden Menschen fast völlig vorbeigehen. Dies betrifft vor allem die ärmsten Entwicklungsländer. Welche Finanzmechanismen können hier Abhilfe schaffen? Welche Rolle können Micro-Credit-Systeme und der Clean Development Mechanismus (CDM) spielen? Kann der Finanzmarkt in weit größerem Maß als bisher solche Systeme unterstützen? Die Dynamik für mehr Klimaschutz würde enorm an Legitimität gewinnen, wenn auch für die große Frage der "Energie-Armut" nachhaltige Antworten gefunden würden.

Christoph Bals
 

 

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