Letzter Aufruf Tuvalu
Letzter Aufruf Tuvalu
Ein gischtumschäumtes, weißes V im endlosen Blau: Dieser Anblick bietet sich den Passagieren von Air Fiji im Anflug auf Funafuti, die Hauptinsel des Südseestaates Tuvalu. Seine Einwohner leben verteilt über neun Inseln -ungezählt die winzigen Eilande, die im gemächlichen Rhythmus von Korallenwachstum und Flugsand entstehen. Mit der Zeit sind die Atolle vielleicht groß genug, um den Nachfahren der heutigen Insulaner Platz für ein Haus, eine Stange zum Trocknen der Fische und ein Taro-Gemüsebeet zu bieten. Normalerweise. Die Zeiten ändern sich.
"Eines Morgens wachte ich auf und sie war weg," berichtet der Fischer Niu lakonisch vom Verschwinden der tuvaluanischen Insel Tepuka Savilivili. Das Meer hat sie sich zurückgeholt. Die immer häufiger auftretenden Zyklone reißen Häuser, Kultstätten und die Vegetation nieder und erodieren die Küste. Auch die saisonalen Springfluten, "king tides" genannt, werden immer heftiger, "die Flut steigt jetzt bis zur Mitte der Insel und zerstört Felder und Bäume, die es dort gegeben hat, solange ich lebe," klagt der ehemalige Premierminister Koloa Talake. Seit mehreren Jahren gehe das schon so. Bei jeder großen Überflutung werden Vorratsspeicher, Felder und Süßwasserquellen versalzen. Messungen haben ergeben, dass der Meeresspiegel des Südpazifik in den letzten 100 Jahren um 17 cm gestiegen ist. Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) - die Autorität in der Klimaforschung - erwartet im weltweiten Mittel bis zum Ende des aktuellen Jahrhunderts einen weiteren Anstieg von neun bis 88 cm. Für viele sensible Atolle wie Tuvalu, das an keiner Stelle mehr als vier Meter über dem Meeresspiegel liegt und an der breitesten Stelle 400 Meter misst, wären schon ein halber Meter eine tödliche Bedrohung. Im Jahr 2050 könnte Tuvalu vollständig versunken sein. Unbewohnbar wird es schon lange vorher sein, denn die Südsee erleidet das, was der Begriff "Klimawandel" so schön neutral zusammenfasst, mit voller Wucht. Neben den beschriebenen Wetterveränderungen und dem Anstieg des Meeresspiegels wurde 1998 das - u.a. temperaturbedingte - Sterben zahlreicher Korallenriffe, des Lebensraumes vieler Fischarten, im Pazifik festgestellt.Was das für die von Fisch lebenden Insulaner bedeutet, kann man sich ausmalen. Da die toten, zerfallenden Riffe auch ihre Wellenbrecher-Funktion einbüßen, werden viele Inseln künftig schutzlos dem Meer ausgeliefert sein.
Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass der Gebrauch fossiler Brennstoffe bzw. die Freisetzung von Treibhausgasen die zentrale Rolle beim globalen Klimawandel spielt, von dem der Südpazifik so heftig bedroht ist. Daher rechnen amerikanische Anwälte einer Klage Tuvalus gegen die Verursacher, d.h. gegen die Hauptemittenten USA und Australien, durchaus Chancen ein. Donald Goldberg, Center for International Environmental Law, Washington: "In mancher Hinsicht haben die USA den Fall bereits verloren; sie haben selbst zugegeben, dass Treibhausgase den Klimawandel verursachen." Da kein einzelner Schuldiger ausgemacht werden könne, könnte die Verantwortung - nach dem Vorbild des Asbest-Falles - nach Marktanteilen verteilt werden. Damit würde die Haftung für weltweite Folgen des Treibhausgas-Ausstoßes zur Hälfte bei den USA und Europa liegen, rechnet Duane Wall, Partner bei White & Case, im Januar 2003 vor. Tuvalu selbst will derzeit nicht klagen, doch internationale Umweltorganisationen könnten einspringen und einen Präzedenzfall schaffen.
Unterdessen hat die Regierung von Tuvalu in Neuseeland und Australien bereits 2001 vorsorglich um Asyl für seine 11.000 Einwohner gebeten; sie wären die ersten anerkannten Umweltflüchtlinge der Welt. Während Neuseeland bereits an Lösungsmodellen arbeitet, bezweifelt das für seine rigide Flüchtlingspolitik bekannte Australien die Dringlichkeit der Bitte und wirft den Tuvaluanern eigene Umweltsünden, etwa übermäßige Bautätigkeit, vor. Ein schlechter Witz, denn Australien ist der größte Treibhausgas-Emittent im Pazifik, während Tuvalu seit Winter 2002 daran arbeitet, seine Energieversorgung komplett auf erneuerbare Energien umzustellen. Bei ihrem internationalen Klimaschutz-Engagement kommen den Insulanern die Einnahmen aus der Vermarktung ihrer Internet-Länderdomäne .tv zugute. Mit dem Geld traten sie der UNO bei und wurden Gründungsmitglied von AOSIS (Alliance of Small Island States), einer klimapolitisch aktiven Gruppierung, der 43 Inselstaaten, von Antigua bis Zypern, angehören. Doch trotz dieses beachtlichen Engagements wird die Rettung für viele kleine Atolle zu spät kommen, wenn nur die Opfer, aber nicht die Verursacher des Klimawandels umdenken.
Der Untergang der Südsee ist auch ein Paradoxon des Tourismus; die "westliche" Sehnsucht nach dem Paradies zerstört es gleichzeitig. Der wie rasend wachsende Flugverkehr trägt in erheblichem Maße zum Klimawandel bei. Drastisch gesprochen sind es die Abgase der Ferienflieger, die Tuvalu versenken. Wer die Südsee liebt, fliegt besser nicht hin.
Heike Ifland