"Reicher, fetter und nicht glücklicher"

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"Reicher, fetter und nicht glücklicher"

Gary Gardner, Forschungsdirektor des renommierten Washingtoner Worldwatch-Institutes, war in Berlin, um gemeinsam mit Germanwatch die deutsche Übersetzung des "Berichts zur Lage der Welt 2004" vorzustellen. Er sprach mit Ralf Willinger über die globale Konsumentenklasse, die dunkle Seite des Konsums und seine Vision des "Guten Lebens".

 

Herr Gardner, der Worldwatch-Bericht zur Lage der Welt hat dieses Jahr das Konsumverhalten der Menschen zum Schwerpunkt. Sie selber formulieren in Ihrem Aufsatz "Das Gute Leben neu denken" eine Vision vom "Guten Leben". Wie sieht diese Vision aus?

Gardner: Wir alle, die Politiker eingeschlossen, müssen umdenken und unseren Lebensstil ändern: Wir werden immer reicher und fetter, aber nicht glücklicher. Wir brauchen nicht mehr Geld, sondern mehr Lebensqualität. Psychologen haben in Studien herausgefunden, was uns wirklich glücklich macht: Neben der Befriedigung unserer materiellen Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken oder Wohnraum brauchen wir vor allem gute Beziehungen zu unseren Mitmenschen, eine gute Gesundheit, das Gefühl von Sicherheit und die Freiheit, um unsere Potentiale entfalten zu können. Warum werden unsere Volkswirtschaften nicht auf diese elementaren Bedürfnisse ausgerichtet, statt auf die Anhäufung von immer mehr Reichtum? Die Erfüllung dieser Bedürfnisse sollte das oberste Ziel jeder Regierung sein.

Der Lebensstil des Westens ist geprägt vom Konsumverhalten. Wie entwickelt sich dieses Verhalten derzeit weltweit?

Gardner: Weltweit gehören 1,7 Milliarden Menschen zur globalen Konsumentenklasse, die ständig weiter wächst. Das sind Leute, die Zugang zu Fernsehen, Telefon und Computer haben und von den Konsummustern beeinflusst werden, die diese Medien dominieren. Der Konsum steigt nicht nur in den reichen Ländern ständig an, sondern auch in den wohlhabenderen Entwicklungsländern. Die Konsumentenklasse Chinas ist mit 240 Millionen Menschen genauso groß wie die der USA, die Indiens mit 120 Millionen genauso groß wie die Japans - aber ein durchschnittlicher chinesischer oder indischer Konsument konsumiert natürlich immer noch wesentlich weniger als ein amerikanischer oder japanischer. Die globalen Konsummuster sind vielleicht das größte Hindernis, um eine nachhaltige Welt aufzubauen.

Warum sind diese Konsummuster so problematisch?

Gardner: Die gegenwärtigen Konsummuster haben eine dunkle Seite, die immer bedrohlicher wird. Zum einen werden die natürlichen Ressourcen unseres Planeten verschwendet und zerstört. Aber auch das Wohl jedes Einzelnen ist in Gefahr. Beispielsweise haben viele Menschen in den USA kaum noch Zeit für die Familie und für Freunde, weil sie zwei oder drei Jobs haben. Oft müssen sie mehrere Jobs annehmen, um ihre Schulden bezahlen zu können. Sie geben ihr Geld für Dinge aus, die sie nicht brauchen. Sie essen zu viel und leben ungesund, immer mehr leiden an Übergewicht. Hohe Schulden, Zeitmangel und Übergewicht sind die Folgen des konsumorientierten Lebensstils. Und die Politik ist dafür mitverantwortlich: Sie hat die existierende Infrastruktur des Konsums mitaufgebaut, die die Bürger zum Konsumieren verführt. Das ist fatal.

Dieses Gefühl, zum Konsumieren verführt zu werden, etwas gekauft zu haben, was man gar nicht braucht, hatte sicher jeder von uns schon einmal. Dennoch kann ja in einer demokratischen Gesellschaft letztlich jeder selber entscheiden, wie er leben will. Wären denn die Menschen überhaupt dazu bereit, ihren Lebensstil zu ändern?

Gardner: Wenn man das Thema in den USA anspricht, ist die erste Reaktion der Leute: "Nein, ich will nicht verzichten!". Sie sehen nicht den Zusammenhang zwischen den negativen Dingen in ihrem Leben - dem Zeitmangel, ihrer schlechten Gesundheit, den Schulden - und ihrem Lebensstil. Dennoch bin ich überzeugt davon, dass die Menschen eigentlich das Richtige wollen, sie tragen die Lösung in sich. Denn was wir wirklich wollen unterscheidet sich zur Zeit von dem, was wir leben.

Wie kann man erreichen, das die Menschen in Zukunft das leben, was sie wirklich wollen?

Gardner: Man muss hier sehr behutsam vorgehen und den Boden bereiten. Niemand sollte einen neuen Lebensstil predigen. Stattdessen sollte man das Positive, die Vorteile des "guten Lebens" verdeutlichen. Es ist wichtig, dass wir Anstöße geben, damit die Leute zusammen- kommen, darüber diskutieren und nachdenken, wie sie leben wollen. Wenn sie dann aktiv werden - sei es politisch oder privat - müssen wir sie unterstützen.

Haben Sie einen Vorschlag, wie das von Ihnen geforderte weltweite Umdenken weg vom "Immer Mehr Konsumieren" hin zum "Guten Leben" stimuliert werden könnte?

Gardner: Ja. Fortschritt muss künftig anders gemessen werden. Länder sollten in Zukunft nicht mehr mit ihrem Bruttosozialprodukt konkurrieren, sondern mit anderen Indikatoren: dem Wohlbefinden ihrer Bürger und dem ökologischen Zustand des Landes. Das Ziel muss sein, die höchstmögliche Lebensqualität der Bürger zu erreichen, verbunden mit einem möglichst geringen Schaden für das Ökosystem.
 
 

Zur Lage der Welt 2004 - Die Welt des Konsums

Konsum deckt nicht nur unsere wichtigsten Bedürfnisse, vielen ist er längst zum Lebensinhalt geworden. Die globale Konsumentenschar wächst rapide. Mit den Folgen unseres konsumorientierten Lebensstils für die Welt und jeden Einzelnen beschäftigt sich der neue Bericht zur Lage der Welt 2004 des Worldwatch-Institutes. Die deutsche Übersetzung erschien Ende April, mitherausgegeben von Germanwatch und der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie enthält zusätzliche Beiträge zum Thema Flugverkehr und Verbraucherpolitik. Die jährlich erscheinenden Berichte des Worldwatch-Institutes sind seit 20 Jahren richtungsweisend in der Diskussion über eine nachhaltige Entwicklung. Mit zahlreichen Beispielen, Zahlen und Fakten gespickt, sind sie außerdem wertvolle Nachschlagewerke.

Worldwatch Institute (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung und Germanwatch: Zur Lage der Welt 2004 - Die Welt des Konsums Mit einem Grußwort von Renate Künast. Verlag Westfälisches Dampfboot 1. Auflage, Münster 2004, zahlreiche Tabellen und Abbildungen, 348 Seiten, Preis € 19,90. ISBN 3-89691-570-3. Erhältlich im Buchhandel


 

 

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