Alpine Flutwellen

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Alpine Flutwellen

Mit dem Klimawandel wächst die Angst vor Gletscherseeausbrüchen

 

Vor knapp 20 Jahren, am 4. August 1985, stockte den nepalesischen Sherpas in einem Tal in der Nähe des Mount Everest der Atem: Eine riesige, fünf Meter hohe Welle, ausgelöst durch eine Eis-Lawine, raste über den Dig-Tsho-Gletschersee und überflutete den Moränendamm. Der Damm brach und innerhalb weniger Stunden ergoss sich fast der gesamte See in das darunterliegende Tal. Häuser, Felder, Brücken und ein Wasserkraftwerk verschwanden in den Fluten, fünf Menschen ertranken.

Glaziale Seeausbrüche, wie Wissenschaftler sie nennen, gibt es nicht nur im Himalaya, sondern auch in den Anden, den Rocky Mountains oder den Alpen. Und die von ihnen ausgehende Bedrohung nimmt zu: Durch den Klimawandel schmelzen weltweit die Gletscher ab, neue Gletscherseen entstehen, andere dehnen sich auf ein Vielfaches ihrer ursprünglichen Größe aus.

Auch in der Schweiz, dem am dichtesten besiedelten alpinen Land der Welt, stellen sie eine Gefahr dar. Der letzte katastrophale Seeausbruch am Schweizer Grubengletscher liegt etwas über dreißig Jahre zurück, als das Dorf Saas Balen von den Fluten zerstört wurde. Nur durch aufwendige Gegenmaßnahmen konnten weitere Ausbrüche dort bisher vermieden werden. Ärmere Länder wie Nepal, Bhutan oder Peru können sich solche Millionen-Dollar-teuren Schutzvorkehrungen kaum leisten.

Auf lange Sicht würde nur ein Stopp des Klimawandels helfen. Und für andere Folgen des Gletscherschmelzens gibt es gar keine Gegenmaßnahmen: Mit den Gletschern verschwinden weltweit wichtige erneuerbare Süßwasserreservoire, die in Asien beispielsweise die Flüsse Mekong, Ganges, Indus und Brahmaputra speisen. Sie versorgen in der heißen Trockenzeit vor dem Monsun hunderte Millionen von Menschen mit lebensnotwendigem Trinkwasser.

Ralf Willinger

 

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