Ein Meeresspiegelanstieg von mehreren Metern?

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Ein Meeresspiegelanstieg von mehreren Metern?

Wesentliche Weichenstellungen erfolgen in den kommenden ein oder zwei Jahrzehnten. Gespräch mit Stefan Rahmstorf vom PIK

 

Bitte beachten: Wir geben hier die korrigierte Fassung eines Interviews wieder, das in der Germanwatch-Zeitung Nr. 4/2008 erschien. Dies enthielt aufgrund eines Versehens der Redaktion Fehler, die wir zu entschuldigen bitten (u.a. beim Meeresspiegel in der Eiszeit, der 120 Meter - nicht Zentimeter - niedriger als heute lag).

Prof. Dr. Stefan Rahmsdorf

Prof. Dr. Stefan Rahmsdorf

Potsdam-Institut für 
Klimafolgenforschung (PIK)

 

Germanwatch: Herr Rahmstorf, was sind in Ihren Augen die Hauptursachen des anthropogenen Meeresspiegelanstiegs?

Rahmstorf: Es gibt zwei Hauptursachen. Zum einen fügt schmelzendes Landeis dem Meer zusätzliches Wasser zu. Zum zweiten führen steigende Wassertemperaturen zu einer Ausdehnung des Meerwassers. In den letzten 40 Jahren erklärt die Eisschmelze  drei Fünftel und die thermische Ausdehnung zwei Fünftel des gemessenen Anstiegs.

Wie kann der Meeresspiegelanstieg zuverlässig gemessen werden?

Verschiedene Satelliten vermessen seit 1993 ständig und weltweit die Höhe der Meeresoberfläche mit großer Präzision. Sie zeigen einen Anstieg des globalen Meeresspiegels um 3,3 mm pro Jahr. Für den Zeitraum vor Beginn der Satellitenmessungen kann man die Pegelmessungen an zahlreichen Küstenorten der Welt zu Rate ziehen, die allerdings nicht so präzise sind. Die derzeit beste Meeresspiegelkurve für den Zeitraum seit 1880 - sie zeigt einen Anstieg des Meeresspiegels um 18 cm seit 1880 - kombiniert daher die Messungen von besonders zuverlässigen Pegeln an den Küsten mit den Satellitendaten.

Wie ist der Meeresspiegelanstieg, der in den vergangenen Jahren verzeichnet werden konnte, einzuschätzen?

In den vergangenen Jahrtausenden hat es keinen auch nur annähernd vergleichbaren Anstieg gegeben. Dies weiß man aus geologischen Daten, aber auch aus Analysen der Lage von Bauten aus der Römerzeit, die in einer bestimmten Beziehung zum Meeresspiegel stehen. Bei einer Anstiegsrate von 18 cm pro Jahrhundert wäre ja bereits im Mittelalter der Meeresspiegel um zwei Meter niedriger gewesen. Dies ist nicht der Fall. Da der aktuelle Meeresspiegelanstieg also ein modernes Phänomen ist, muss man davon ausgehen, dass er durch die vom Menschen verursachte globale Erwärmung bewirkt wird.

Mit welchem Anstieg müssen wir in der Zukunft rechnen?

Die Modellprojektionen des IPCC ergeben einen Meeresspiegelanstieg bis zum Jahr 2100 um 18 bis 59 cm, je nach Szenario und Modell. Nicht enthalten ist darin allerdings die Gefahr eines Abrutschens von Eis von Grönland oder der Antarktis. Dadurch könnte der Anstieg auch deutlich höher ausfallen. Aus den Messdaten des 20. Jahrhunderts ergibt sich: Je wärmer es wird, desto schneller steigt der Meeresspiegel. Eine Expertenkommission hat vor wenigen Monaten für die holländische Regierung eine Abschätzung vorgelegt, wonach der globale Meeresspiegel bei ungebremsten Emissionen bis 2100 um bis zu 110 Zentimeter steigen könnte, bis zum Jahr 2200 sogar um bis zu 350 Zentimeter.

Regional kann der Anstieg deutlich unterschiedlich ausfallen: an den Küsten Europas oder dem Nordosten Nordamerikas könnte der Anstieg noch einige Dezimeter über dem globalen Wert liegen, aufgrund veränderter Meeresströme. Es gibt allerdings auch noch nicht ganz verstandene Effekte wie Veränderungen im Gravitationsfeld, wenn das Grönlandeis kleiner wird.

Kurzfristig gibt es auch erhebliche natürliche regionale Schwankungen im Meeresspiegel. Die von den Satelliten gemessenen Meeresspiegeländerungen zeigen daher Gebiete mit einem weit überdurchschnittlichen Anstieg (z.B. um Indonesien oder Neuseeland) und Gebiete, in denen in den letzten zehn Jahren der Meeresspiegel gefallen ist (z.B. in großen Teilen des indischen Ozeans).

Und welche Entwicklung erwarten Sie langfristig?

Entscheidend ist, dass der Meeresspiegelanstieg nicht im Jahr 2100 aufhören wird, auch wenn wir den Anstieg der globalen Temperatur bis dahin gestoppt haben sollten. Der Meeresspiegel reagiert nur langsam und zeitverzögert. Es braucht viele Jahrhunderte, bis die Erwärmung von der Meeresoberfläche in die Tiefsee vordringt. Die bislang diskutierten Zahlen drücken daher nur den Anfang eines andauernden, wesentlich größeren Anstiegs in den folgenden Jahrhunderten aus.

Auch in der Erdgeschichte waren globale Klimaveränderungen stets mit großen Meeresspiegelveränderungen verbunden. In der letzten Eiszeit beispielsweise lag der Meeresspiegel 120 Meter unter dem heutigen Niveau, und das bei einem im globalen Mittel nur rund 5 Grad kälteren Klima. Grund sind die großen Veränderungen der Kontinentaleismassen. Auch heute noch gibt es genug Kontinentaleis auf der Erde, um den globalen Meeresspiegel um rund 70 Meter anzuheben. Der amerikanische Klimatologe James Hansen, Leiter des Klimainstituts der NASA, hat die Eismassen daher kürzlich eine "tickende Zeitbombe" genannt. Die noch im 3. IPCC-Bericht von 2001 formulierte Hoffnung, die Eismasse der Antarktis könne durch die Klimaerwärmung durch zusätzliche Schneefälle anwachsen und damit den Meeresspiegelanstieg bremsen, scheint sich bislang leider nicht zu erfüllen.

Welche Folgen wird der Meeresspiegelanstieg haben?

An den deutschen Küsten gibt es ja in den letzten Jahrhunderten eine große Erfolgsgeschichte: obwohl das Land absank und damit der Meeresspiegel relativ anstieg, konnten durch Deichbau die Landverluste gestoppt und weitere verheerende Sturmfluten verhindert werden. 

An vielen Orten der Erde sind dagegen aufwändige Küstenschutzbauten entweder nicht finanzierbar oder gar nicht machbar. Besonders gefährdet sind tief liegende Atolle wie die Malediven, die Marshall Inseln, Kiribati, Tuvalu oder Tokelau. Diese Inselstaaten, die zusammen über 500.000 Menschen ein Zuhause bieten, liegen durchschnittlich nur 2 Meter über dem Meeresspiegel und könnten durch den Klimawandel unbewohnbar werden oder völlig verschwinden.

Die Ökosysteme der Küsten sind oft besonders wertvoll und artenreich. So gelten die tropischen Korallenriffe als das artenreichste marine Ökosystem. Gefährdet sind auch tiefliegende Flussdeltagebiete, die wegen der fruchtbaren Böden oft dicht besiedelt sind. Auch das Eindringen von Salz in das Grundwasser, das sich mancherorts bis zu 50 km ins Land hinein auswirken kann, stellt ein großes Problem dar. 

Kann entschiedene Klimapolitik noch viel bewirken?

Rein physikalisch betrachtet ist nur ein geringer weiterer Anstieg der Meere unvermeidbar, wahrscheinlich im Bereich von wenigen Dezimetern. Wenn wir ab morgen alle Emissionen von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen einstellen würden, würde sich die CO2-Konzentration sofort wieder verringern. Etwas verzögert würde auch die globale Temperatur sinken, bis zum Jahr 2100 etwa auf das Niveau von 1950. Der Meeresspiegel würde seinen Anstieg stark verlangsamen, ab dem nächsten oder übernächsten Jahrhundert würde auch er wieder sinken. Politisch-wirtschaftlich ist ein solches Szenario natürlich nicht denkbar.

Unternehmen wir aber nichts und lassen die Emissionen ungebremst weiter ansteigen, können wir über die kommenden Jahrhunderte mit einem Meeresspiegelanstieg von mehreren Metern rechnen. Die wesentlichen Weichenstellungen werden in den kommenden ein oder zwei Jahrzehnten erfolgen. Wir müssen eine Entscheidung treffen: Welches Maß an Meeresspiegelanstieg halten wir für vertretbar, und wie viele CO2-Emissionen können wir uns noch erlauben?
 

Interview: Manfred Treber

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