IT-Industrie: Lösung oder Problem für globale Herausforderungen?

Weitblick Artikel

IT-Industrie: Lösung oder Problem für globale Herausforderungen?

Die IT-Industrie im Lichte von Klimawandel, Sicherheitsdebatte und Rohstoffstrategie

 

Die gesamte Informationstechnologie ist zugleich Teil der Lösung und des Problems großer Herausforderungen, die vor uns liegen

Beispiel Klimawandel: Die Branche stellt auf der einen Seite Schlüsseltechnologien für das Intelligente Stromnetz - Smart Grid - zur Verfügung und ermöglicht damit erst den massiven Einbezug von Erneuerbaren Energien in die Stromerzeugung. Auf der anderen Seite wächst in kaum einer Branche der Stromverbrauch schneller - schon heute ist der IT-Sektor für zwei Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Die Stromkosten für das World Wide Web, für DSL-Anschlüsse und Rechenzentren summieren sich. Ein weiteres Beispiel: Videokonferenzen bieten auf der einen Seite das Potenzial, zahlreiche geschäftliche Flugreisen und damit große Mengen an Treibhausgasen einzusparen. Zugleich sind die immer kostengünstigeren und vielfältigeren Kommunikationsmöglichkeiten eine der Triebfedern für zusätzlichen Verkehr. Wer ständig miteinander redet, will sich auch mal sehen. Bisher zumindest fressen solche Rückkopplungseffekte alle Effizienzfortschritte auf. Nur geeignete politische Rahmensetzungen können das verändern.

Beispiel Ernährungssicherheit: "Jetzt erst wissen wir, wie oft wir vorher reingelegt wurden", grinst ein 40-jähriger Fischer und Kleinbauer auf einer kleinen philippinischen Insel. "Das ist vorbei" - und triumphierend hält er sein Handy hoch. Konnten vorher die Händler mit dem Hinweis auf entsprechende Marktpreise die Aufkaufpreise nach unten oder die Verkaufspreise nach oben drücken, so sind seit dem Einzug des mobilen Telefons ihre Gegenüber bestens über die aktuellen Preise informiert. Im ländlichen Raum in Afrika, z.B. in Kenia, ist das Handy darüber hinaus ein neues Zahlungsmittel. In Gegenden, in denen es weit und breit keine Bank gibt, wird heutzutage ein Betrag über das Mobilfunknetz von einer Prepaidkarte auf eine andere überwiesen. Die IT-Industrie erzeugt aber auch neue Nahrungsprobleme. So haben verseuchte Böden und verschmutztes Trinkwasser im Umfeld des Kobaltabbaus etwa in Sambia den Gartenbau für die Bauern unmöglich gemacht. Sambia und die Demokratische Republik Kongo liefern fast die Hälfte des weltweit benötigten Kobalts. Ungefähr ein Viertel davon wird inzwischen an die IT-Industrie geliefert.

Beispiel Menschenrechte und Sicherheit: Die Kommunikationsmöglichkeiten durch die IT-Industrie haben es einerseits ermöglicht, Menschenrechtsverletzungen schnell bekannt zu machen. Der Einfluss von Nichtregierungsorganisationen und sozialen Netzwerken hat auch dadurch in den letzten beiden Jahrzehnten stark zugenommen. Wenn uns Partner in Südländern mitteilen, dass ein deutsches Unternehmen an Menschenrechtsverletzungen beteiligt ist, kann dies Germanwatch schon am nächsten Tag in Deutschland zum Thema machen. Andererseits heizen Rohstoffe für die IT-Industrie Konflikte an, die mit Menschenrechtsverletzungen einhergehen. Was Anfang des Jahrtausends vor allem im Zusammenhang mit Koltan aus dem Kongo thematisiert wurde, ist dort inzwischen auch bei Zinn ein Problem. Zwar liefert der Kongo nur zwei bis drei Prozent der globalen Zinnproduktion, aber immer mehr Berichte zeigen, dass diese dort Geld in die Taschen von bewaffneten Rebellengruppen spült. Seitdem die EU mit guten Gründen den Einsatz von Blei in den IT-Geräten untersagt hat, wird dieses vor allem durch Zinn ersetzt. Die Elektronikindustrie bezieht weltweit bereits 35 Prozent des Rohstoffs. Aber nicht nur bei der Rohstoffförderung, also ganz am Beginn der Wertschöpfungskette, sondern auch an deren Ende, bei der Verschrottung, erzeugen die Produkte der IT-Industrie erhebliche Probleme. So verschmutzen die in Computern und anderen Geräten enthaltenen Schwermetalle und giftigen Substanzen Grundwasser und Boden, viele Menschen erleiden bei primitiven Recyclingmethoden über offenem Feuer heftige Gesundheitsschäden. Diese Frage der humanitären Sicherheit der im Recycling Beschäftigten und in der Umgebung lebenden Menschen stellt aktuell insbesondere in Ghana ein großes Problem dar.

Es liegt einerseits an der IT-Branche selbst, andererseits an der Rahmensetzung durch nationale und internationale Politik, in welchem Ausmaß die schmutzige Kehrseite das zukunftsorientierte Bild der Informationstechnologie verdunkelt. Eine deutliche Erhöhung der Recycling-Quote kann die Probleme bei der Rohstoffförderung und bei der illegalen Entsorgung mindern und zudem die Energiebilanz der Branche verbessern. Beteiligen Sie sich deshalb an unserer Aktion! Die Mehrfachnutzung seltener Metalle sollte wichtiger Bestandteil der deutschen Rohstoffstrategie sein. Die menschliche Sicherheit der betroffenen Bevölkerung sollte darüber hinaus erste Priorität bei Versuchen haben, der deutschen Industrie den Zugang zu Rohstoffen zu ermöglichen.

Cornelia Heydenreich und Christoph Bals

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