Schwerpunkt: Klimagipfel Marrakesch
Schwerpunkt: Klimagipfel Marrakesch
Editorial
Liebe Leserin, Lieber Leser,
noch bis vor wenigen Wochen hätte wohl niemand im Germanwatch-Team darauf gewettet, dass das Klimaabkommen von Paris bereits am 4. November, vor dem Klimagipfel von Marrakesch, in Kraft treten würde. Die EU hielt eine Ratifizierung erst im nächsten Jahr für realistisch, doch insbesondere die USA und China haben ihr Beine gemacht. Dieses Inkrafttreten zeigt, dass wir mit vereinten Kräften dringend benötigte Veränderungen mitbewirken können. Nun möchten wir uns bei Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, angesichts dieses historischen Durchbruchs bedanken. Ihr Engagement und ihre Unterstützung helfen Germanwatch dabei, ein Aktivposten für eine zukunftsgerechtere Entwicklung zu bleiben. Die Beiträge in dieser Zeitung zeigen beispielhaft, wo Germanwatch hinsieht, analysiert und sich einmischt – gerade auch in Zusammenarbeit mit besonders vom Klimawandel betroffenen Menschen. Mit dem klimapolitischen Rückenwind durch das Paris-Abkommen und Ihrem Engagement werden wir es auch schaffen, die gegenwärtigen Blockaden gegen eine zukunftsgerichtete Klimapolitik in Deutschland zu überwinden.
Sven Harmeling
Mitglied im Vorstand von Germanwatch
Impressum
Herausgeber: Germanwatch e.V.
Redaktion: Dörte Bernhardt (V.i.S.d.P.), Daniela Baum, Klaus Milke
Stand: Oktober 2016
Gefördert vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und Brot für die Welt.
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Zeitenwende in der Klimapolitik
Fast ein Jahr nach dem Hammerschlag für das Klimaabkommen von Paris kommen im November in Marrakesch, Marokko, die Staaten für den nächsten Klimagipfel zusammen. Für Germanwatch ein Grund, ein Zwischenfazit zu ziehen und einen Ausblick auf die internationale Klimapolitik zu geben. Das Pariser Abkommen kann sich als historisch erweisen, wenn es die notwendige Zugkraft entwickelt. Dafür gibt es erste Zeichen. Die notwendige Anzahl von Ländern hat in Rekordzeit das Abkommen ratifiziert. Es gab die Hoffnung, dass es vor 2020 in Kraft tritt – nun ist es schon vor dem Klimagipfel in Marrakesch soweit. Diese Dynamik war auch für Germanwatch so nicht absehbar. In weiteren internationalen Foren gab es nach Jahren des Stillstands Bewegung.
Gute Gründe für Marokko, einen Klimagipfel auszurichten
Der Klimawandel birgt enorme Risiken für Marokko, das gewaltige Potenzial an Erneuerbaren Energien aber auch große Chancen. Das Königreich hat eine eigene Energiewende eingeleitet und den Ausbau von Wind- und Solarkraft zu einem übergeordneten Staatsziel erklärt. Und die Regierung redet nicht nur davon. 2015 war schon mehr als ein Drittel des Stroms erneuerbar, bis 2030 soll es mehr als die Hälfte sein. Das steckt dahinter, wenn die marokkanische Umweltministerin Hakima el Haité vor wenigen Monaten erklärte, nun „vom Verhandlungs- auf den Aktionsmodus umzuschalten“.
Raus aus der Destabilisierung durch fossile Energien
Diesen Sommer hat die britsche Regierung im mehr als 6.000 Seiten starken „Chilcot Report 2016“ amtlich dokumentiert, was laut interner Analyse des britischen Außenministeriums 2001 als „fundamentale Interessen“ Großbritanniens im Vorfeld des Irak-Krieges identifiziert wurde: Erstens die Gefährdung der regionalen Stabilität durch die Befürchtung von Massenvernichtungswaffen – bei denen sich später herausstellte, dass sie auf falschen Geheimdienstinformationen beruhten. Zweitens aber die eigene „Energiesicherheit“, da die Region um den Irak über 66 Prozent der globalen Ölreserven verfüge. Nach kurzer Zeit der einzige belastbare Kriegsgrund.
Ein Präzedenzfall: Der Fall Huaraz wird verhandelt
Kurz nach dem Klimagipfel in Marrakesch wird in Deutschland ein Gerichtsverfahren zur Klimagerechtigkeit stattfinden, das auch international großes Interesse weckt. Es geht erstmals um eine zivilrechtliche Klima-Musterklage eines Einzelnen gegen ein großes energieintensives Unternehmen. Immerhin gegen die RWE AG, die wie sie sich selbst beschreibt größte CO2-Verursacherin Europas.
Unterstützen Sie die Klage für Klimagerechtigkeit
Germanwatch unterstützt Saúl Luciano ideell und konkret mit Beratung, Expertisen, Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit. Für den Bergführer Saúl Luciano ist die Klage gegen den Energiekonzern RWE eine große Herausforderung, vor allem muss er viel Durchhaltevermögen aufbringen – denn das Verfahren kann sich über bis zu fünf Jahre hinziehen. Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit für Saúl und die Menschen in Huaraz mit Spenden an die Germanwatch-nahe Stiftung Zukunftsfähigkeit!
Die Tür für mehr Ambition steht immer offen
Christoph Bals und Sönke Kreft führten ein Interview mit Patricia Espinos über die nächsten Schritte bei der Umsetzung der Beschlüsse von Paris, die Rolle von UNFCCC bei der notwendigen, weltweiten Dekarbonisierung und neue Partnerschaften für die Transformation zu einer kohlenstoffarmen globalen Wirtschaft.
SD was? SDG!
Vor mehr als einem Jahr beschloss die Staatengemeinschaft auf einem UN-Gipfel in New York die Agenda 2030 mit ihren Sustainable Development Goals (SDG). Verfolgt man die Debatten dazu, so wird die Bedeutung der Ziele oft nicht erkannt. Die 17 globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung mit ihren 169 Unterzielen mögen auf den ersten Blick vielleicht komplex und schwer umsetzbar erscheinen. Dennoch: Sie wurden am 25. September 2015 von allen Staaten der Welt verabschiedet, um sie zum Kern der aktuellen und vor allem der zukünftigen nationalen und internationalen Politiken zu machen. „Business as usual“, so heißt es da, kann für niemanden eine Option sein – ob Politik, Wirtschaft oder Zivilgesellschaft.
Die G20 als Schwundgrad für globale Dekarbonisierung?
Die internationale Klimapolitik feiert derzeit große Erfolge: Erst der Durchbruch von Paris 2015 und das schnelle Inkrafttreten des UN-Klimaabkommens, nun die Einigung auf einen weitgehenden Ausstieg aus den Flurkohlenwasserstoffen im Rahmen des Montreal-Protokolls. Auch steigen seit zwei Jahren die fossilen CO2-Emissionen nicht mehr – trotz eines globalen Wirtschaftswachstums von mehr als drei Prozent. Allerdings lässt die Umsetzung der ambitionierten Beschlüsse – weltweit wie auch in Deutschland – bislang immer noch zu wünschen übrig. Der G20 als Forum der größten Wirtschaftsnationen, die zusammen fast 85 Prozent der fossilen CO2-Emissionen verantworten, kommt bei der Umsetzung dieser völkerrechtlichen Vereinbarungen eine besondere Rolle zu. Die am 1. Dezember beginnende deutsche G20-Präsidentschaft muss den Weg für den notwendigen Ausstieg aus Kohle, Öl und Erdgas bahnen.
Der Bettvorleger muss wieder Tiger werden
Wie peinlich für den vermeintlichen Klimaschutz-Vorreiter Deutschland. Weltweit sanken im Jahr 2015 die fossilen CO2-Emissionen leicht, in Deutschland stiegen sie. Vor dem Klimagipfel in Paris hatte die deutsche Regierung der Welt versprochen, dass die Emissionen in Deutschland bis 2020 gegenüber 1990 um 40 Prozent sinken werden. Heute ist das Ziel nur noch zu erreichen, wenn einige Kohlekraftwerke zügig abgeschaltet werden. Im Straßenverkehr droht Deutschland nach dem VW-Desaster nun auch eine Klimapleite. Die CO2-Emissionen aus dem Straßenverkehr stiegen jüngst wieder und liegen nun auf demselben Niveau wie 1990. Und der Klimaschutzplan, der den Weg zu einer weitgehenden Treibhausgasneutralität bis 2050 skizzieren und mit strategischen Maßnahmen unterlegen sollte, hat sich vom Tiger zum Bettvorleger gewandelt.
Warum ich Germanwatch wichtig finde - Prof. Dr. Gesine Schwan
Seit zwei Jahren leite ich die „Humboldt-Viadrina Governance-Platform“, die sich um nachhaltige Politik durch bessere Governance bemüht. Dazu organisieren wir Multi-Stakeholder-Gespräche zwischen Politik, dem Unternehmenssektor und der organisierten Zivilgesellschaft. Sie sollen zur gesellschaftlichen Verständigung über langfristige Herausforderungen (Energie, Umwelt, Arbeit, Familie etc.) beitragen. Daran haben immer wieder sehr kluge kompetente Vertreter von Germanwatch teilgenommen und wertvolle Beiträge geleistet. Ich schätze das Engagement, den Mut, die Hartnäckigkeit und die Kompetenz von Germanwatch hoch und wünsche weiterhin viel Erfolg. (November 2016)