Der Bettvorleger muss wieder Tiger werden

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Der Bettvorleger muss wieder Tiger werden

Der deutschen Klimapolitik fehlt der nötige Biss
Weitblick-Bild 3/16: Rauchende Schlote

Bald Vergangenheit: Rauchschwaden über dem Kohlekraftwerk Niederaußem. Foto: Dietmar Putscher

Wie peinlich für den vermeintlichen Klimaschutz-Vorreiter Deutschland. Weltweit sanken im Jahr 2015 die fossilen CO2-Emissionen leicht, in Deutschland stiegen sie. Vor dem Klimagipfel in Paris hatte die deutsche Regierung der Welt versprochen, dass die Emissionen in Deutschland bis 2020 gegenüber 1990 um 40 Prozent sinken werden. Heute ist das Ziel nur noch zu erreichen, wenn einige Kohlekraftwerke zügig abgeschaltet werden. Im Straßenverkehr droht Deutschland nach dem VW-Desaster nun auch eine Klimapleite. Die CO2-Emissionen aus dem Straßenverkehr stiegen jüngst wieder und liegen nun auf demselben Niveau wie 1990. Und der Klimaschutzplan, der den Weg zu einer weitgehenden Treibhausgasneutralität bis 2050 skizzieren und mit strategischen Maßnahmen unterlegen sollte, hat sich vom Tiger zum Bettvorleger gewandelt.

Große Teile des Wirtschaftsflügels der CDU/CSU geben sich alle Mühe, auch auf dem Klimaterrain die weltweit anerkannten Leistungen der eigenen Kanzlerin zu untergraben. In der SPD starren viele auf die Wahl in NRW im Mai 2017 und freuen sich, wenn sie dem Koalitionspartner die Schuld für einen gescheiterten Klimaschutzplan in die Schuhe schieben können. Inzwischen ist völlig offen, ob der Klimaschutzplan nach Fundamentalopposition von Teilen der Wirtschaft und Gewerkschaften überhaupt noch verabschiedet werden wird.

Wirtschaft braucht klare Vorgaben

Die Wirtschaft braucht klare politische Rahmensetzungen – langfristig, eindeutig, rechtlich verbindlich –, damit sie ihre Investitionen dementsprechend ausrichten kann. Beispiel Verkehr: Wenn ein Auto durchschnittlich 20 Jahre genutzt wird und der Verkehrssektor im Jahr 2050 ohne den Einsatz fossiler Brennstoffe auskommen muss, dann lässt sich relativ einfach ausrechnen, dass ab 2030 keine Autos mit Motoren auf den Markt kommen dürfen, die nur mit Benzin oder Diesel gefahren werden können. 250 große Investoren drängten jüngst darauf, dass die Autoindustrie nun KlimawandelspezialistInnen in ihre Vorstände holt, sich besser auf die kommende Politik einstellt und massiver in die klimafreundliche Mobilität investiert. Sonst droht demnächst der für Deutschland so wichtigen Autoindustrie sowie anderen Branchen das Schicksal der vier großen Stromkonzerne, die dem Zickzack-Kurs der Politik in Bezug auf Atomausstieg und Ernsthaftigkeit der Klimapolitik nicht gewachsen waren. Diese stehen nun vor den Trümmern einer Geschäftspolitik, die Klimaschutz als politische Spielerei abtat und durch eigene Lobbyarbeit die Vergangenheit in Form von Kohle und Kernkraft zementieren wollte. Nun sind die Börsenkurse im Keller, E.ON und RWE werden aufgespalten und viele konventionelle Kraftwerke können ihre Kosten nicht mehr decken. Klare Rahmensetzungen für den Kohleausstieg fordert inzwischen auch eine der beiden betroffenen Gewerkschaften: Verdi, weil sie einen Strukturbruch, einen ungeordneten Verfall vermeiden will.

Der Zukunft den Weg bahnen

Dabei ist das Ende der Kohle schon besiegelt. Ein Neubau von Kohlekraftwerken ist in Deutschland praktisch ausgeschlossen. Das wissen alle, egal ob sie bei RWE oder im Bundeswirtschaftsministerium arbeiten. Offen ist aber, ob das Ende so zügig erfolgt, dass es mit den Klimaschutzzielen vereinbar ist und ob der Strukturwandel so organisiert wird, dass er ausreichend neue wirtschaftliche Perspektiven eröffnet. Ein klarer Fahrplan für den Kohleausstieg bis 2035 ist die Grundlage dafür.

Jetzt, wo die weltweite Energiewende an Schwung gewinnt, wo für Vorreiter ein großer, weltweiter Markt entsteht, bremst die deutsche Regierung ihre Wirtschaft aus. Viele Wirtschaftsverbände oder die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) stehen selbst auf der Bremse, weil sie die Vergangenheit schützen, statt der Zukunft den Weg bahnen wollen. Die aktuelle Bundesregierung, von der im kommenden Juli als G20-Präsidenschaft ein kraftvolles Signal erwartet wird, kann sich nicht bis zur Wahl verstecken und so tun, als ob es beim Austausch des fossilen Motors der Wirtschaft einfach eine Mittagspause geben könne. Dies wäre unverantwortlich – der eigenen Jugend, der Wirtschaft und den ArbeiterInnen gegenüber.
 

Tobias Pforte-von Randow