Zeitenwende in der Klimapolitik

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Zeitenwende in der Klimapolitik

Alle Länder müssen ab sofort ihre Klimaziele umsetzen und verschärfen
Weitblick-Bild 3/16: Solarkraftwerk Marokko

Fast ein Jahr nach dem Hammerschlag für das Klimaabkommen von Paris kommen im November in Marrakesch, Marokko, die Staaten für den nächsten Klimagipfel zusammen. Für Germanwatch ein Grund, ein Zwischenfazit zu ziehen und einen Ausblick auf die internationale Klimapolitik zu geben.

Das Pariser Abkommen kann sich als historisch erweisen, wenn es die notwendige Zugkraft entwickelt. Dafür gibt es erste Zeichen. Die notwendige Anzahl von Ländern hat in Rekordzeit das Abkommen ratifiziert. Es gab die Hoffnung, dass es vor 2020 in Kraft tritt – nun ist es schon vor dem Klimagipfel in Marrakesch soweit. Diese Dynamik war auch für Germanwatch so nicht absehbar. In weiteren internationalen Foren gab es nach Jahren des Stillstands Bewegung. Im Bereich des internationalen Flugverkehrs wurde eine jahrzehntealte Blockadepolitik überwunden, um Emissionen der Flugzeuge einzugrenzen. Auch wenn das Ergebnis noch unbefriedigend ist – alle fünf Jahre soll dies nun im Lichte der Ziele von Paris nachgebessert werden. Zugleich ist es ein wichtiges Signal, jetzt auch die Emissionen der internationalen Schifffahrt klimapolitisch zu regulieren. Innerhalb des Montreal-Protokolls wurde nun endlich erreicht, einige der klimaschädlichen „Supergase“, die als Ersatzstoffe für das ozonschädigende FCKW eingeführt wurden, schrittweise weitestgehend zu ersetzen.

Viel Bewegung trotz Gegenwind

Auch auf nationaler Ebene gibt es neue Bewegung, aber auch viel Gegenwind. So ist es in Deutschland inzwischen sehr wahrscheinlich, dass es zum Ausstieg aus der Kohle kommen wird. Nur wann genau – zwischen 2030 und 2050 – es soweit sein wird, ist noch hoch umstritten. Auch zeichnet sich ab, dass in absehbarer Zeit keine Autos mehr vertrieben werden, die nur mit fossilen Brennstoffen betankt werden können. Und global sind in den beiden letzten Jahren die fossilen CO2-Emissionen erstmals in Jahren mit solidem Wirtschaftswachstum nicht gestiegen, sondern stagnieren. Noch ist nicht klar, ob wir damit nahe am Höhepunkt der globalen Emissionen sind, wonach dann bis Mitte des Jahrhunderts der Ausstieg aus Kohle, Öl und Erdgas folgen muss.

Doch selbst wenn der Höhepunkt der globalen Emissionen bald erreicht sein sollte, wird der Temperaturanstieg noch viele Jahrzehnte weiter gehen, bis die Emissionen auf null gesunken sind und sich die Meere und Ozeane an diesen neuen Stand der Treibhausgase in der Atmosphäre angepasst haben. 2014 war das wärmste Jahr seit Temperaturmessung. 2015 war deutlich wärmer. 2016 wird noch einmal weit wärmer. Diese extremen Rekorde kamen jetzt, weil sich der Klimawandel mit der natürlichen Fluktuation des Wetterphänomens El Niño überlagerte. So kann der Anstieg nun einige Jahre stagnieren, bevor es einen neuen Schub gibt. Wir haben bereits die Warnschwelle von 400ppm CO2 in der Atmosphäre langfristig überschritten. Wo werden wir enden?

Klimaziele müssen erhöht werden

Trotz des positiven Zeichens aus Paris: Kein Land hat zurzeit ausreichend starke Klimaschutzziele angekündigt bzw. plant die Umsetzung von Maßnahmen, die mit dem in Paris verankerten 1,5 °C-Ziel oder der 2 °C-Obergrenze vereinbar sind. Zwar würden die angekündigten nationalen Klimaziele im Pariser Abkommen den globalen Temperaturanstieg auf etwa 3 °C begrenzen. Aber das ist immer noch viel zu viel, um das Überschreiten von Kipp-Punkten zu verhindern, die ganze Kontinente radikal verändern würden. Für den Klimagipfel in Marrakesch und die Klimapolitik in den nächsten Jahren wird es deshalb wichtig, den Druck auf die Umsetzung und Verschärfung der nationalen Klimaziele zu erhöhen. Drei Elemente sind hierfür entscheidend:

Erstens muss nun für das Pariser Klimaabkommen das Kleingedruckte erstellt werden. Nur wenn die Klimapolitik der einzelnen Länder transparent vergleichbar ist, kann man Vorreiter loben und Verzögerer abstrafen. Der Klimagipfel in Marrakesch trifft hierzu wichtige Vorentscheidungen.

Zweitens müssen weltweit Energiewendestrategien und -politiken erarbeitet werden. Diese Erwartung gilt nicht nur für den Klimagipfel, sondern insbesondere auch für die G20-Staaten, da gerade die Industrie- und die Schwellenländer in Vorleistung gehen müssen. Solche Pläne, die von den großen Emittenten bis 2018, von allen Staaten dann bis 2020 vorgelegt werden sollen, sind ein entscheidender Baustein, um langfristige Investitionsentscheidungen zu beeinflussen.

Drittens gilt es, international Druck aufzubauen, dass Länder zusammen ihre Klimaschutzziele erhöhen. 2018 wird der Weltklimarat IPCC einen Sonderbericht erstellen und insbesondere die Risiken des Klimawandels neu beleuchten. In Marrakesch wird diskutiert, wie 2018 als politischer Moment konstruiert werden kann, um die Ambition zu steigern. In Paris beschloss die Staatengemeinschaft, die Klimaschutzziele alle fünf Jahre zu verschärfen. Außerdem wurde die Grundlage gelegt für transformative Partnerschaften insbesondere zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Diese werden sich zunächst vor allem darauf beziehen, die bisher angekündigten Ziele für Klimaschutz und Anpassung umzusetzen. Parallel dazu ist es Aufgabe der Zivilgesellschaft und Wissenschaft, zu zeigen, dass mehr möglich ist, damit dies dann in einer zweiten Phase der Partnerschaft umgesetzt werden kann. Germanwatch wird in den nächsten Jahren durch Multiakteurs-Partnerschaften versuchen, solche Prozesse für mehr Ambition in verschiedenen Ländern anzustoßen.

Transformativer Wandel

Mit Marrakesch tritt das Klimaabkommen von Paris in Kraft. Eine Zeitenwende. Jetzt gilt es, genau hinzuschauen, damit in den jetzt zu verhandelnden Ausführungsverordnungen keine Schlupflöcher auftauchen oder Länder von bisher gemachten Ankündigungen zurücktreten. Zugleich gilt es, für die neue Phase der internationalen Klimapolitik auch die Arbeitsweise der Klimaverhandlungen zu verändern, da sie in Zukunft eine neue Aufgabe haben: den notwendigen transformativen Wandel zu ermöglichen, der der Größe der Klimakrise entspricht. Wenn es gelingt, Kooperation miteinander und Solidarität mit den Betroffenen ins Zentrum zu stellen, können die Vereinten Nationen zeigen, wozu sie in einer turbulenten Welt in der Lage sind.
   

Sönke Kreft & Christoph Bals