Das Eis wird dünner

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Das Eis wird dünner

Handlungsfähig angesichts zuspitzender Klimakrise?
Karikatur: Klimagipfel Doha 2012

© Michael Hüter

Das Jahr 2012 markiert eine deutliche Zuspitzung in der internationalen Klimadebatte. Die beschleunigte Eisschmelze in der Arktis (siehe Grafik) lässt befürchten, dass wir hier auf unumkehrbare Kipp-Punkte im Klimasystem zusteuern. Die Klimawissenschaft ist inzwischen in der Lage, einige der großen Wetterkatastrophen der vergangenen Jahre – etwa die Hitzewellen in Europa (2003), Russland (2010) und Texas (2011) – mit ihren verheerenden Konsequenzen sehr eindeutig dem Klimawandel zuzuschreiben.

Doch obwohl die Emissionen im letzten Jahrzehnt dreimal schneller als im Jahrzehnt zuvor stiegen, hat es in diesem Jahr keine nennenswerten Fortschritte bei den UNKlimaverhandlungen, dem Rio+20-Gipfel oder der Gruppe der zwanzig wichtigsten Schwellenund Industrieländer G20 gegeben. Die strukturelle Handlungsunfähigkeit wichtiger Akteure – USA, China, EU – wurde dadurch offen gelegt. Hoffnung gibt alleine das massive Wachstum der Erneuerbaren Energien in vielen Ländern der Welt.

EU: Absage an weiteren Klimaschutz?

Die EU hat es auch in 2012 versäumt, ein mit dem von ihr als notwendig erachteten 2 °C-Limit einigermaßen konsistentes Klimaziel zu beschließen und ihre Ambition zumindest von 20 auf 30 Prozent CO2-Verringerung bis 2020 (gegenüber 1990) anzuheben. Auch wenn hier vor allem ein Land – Polen – als Dauerblockierer aufgetreten ist, ist dies ein Skandal: Denn Europa hat bereits 18 Prozent Verringerung geschafft. Wenn man die in der EU anerkannten Emissionszertifikate aus Entwicklungsländern berücksichtigt, sind es sogar 21 Prozent. Konkret heißt das: Die EU kündigt derzeit an, bis 2020 keinen zusätzlichen Klimaschutz leisten zu wollen. Kein Wunder, dass sie auf dieser Basis die Allianz mit den kleinen Inselstaaten und den ärmsten Entwicklungsländern (Least Developed Countries) nicht maßgeblich voranbringen konnte - diese war für den unzureichenden Durchbruch beim Klimagipfel 2011 in Durban zentral.

Das Versagen der Politik spiegelt sich auch darin, dass bereits heute in den Auftragsbüchern der großen privaten und öffentlichen fossilen Energiekonzerne etwa das Fünffache der CO2-Emissionen weltweit verbucht ist, die die Atmosphäre bei Berücksichtigung des Zwei-Grad-Limits noch aufnehmen kann (vor allem in Kohle, Teersand, Öl- und unkonventionellen Gasreserven). Für jede Regierung, die geschworen hat, Schaden von ihrem Volk abzuwehren, würde es ein Versagen bedeuten, diese organisierte, selbstzerstörerische Verantwortungslosigkeit zuzulassen. Es ist ihre Aufgabe zu verhindern, dass vier Fünftel der fossilen Reserven, die bereits jetzt in den Büchern der Investoren stehen, tatsächlich verbrannt werden. Für die Zivilgesellschaft stellt sich die Frage, wie sie den gewaltfreien Widerstand gegen eine solche Entwicklung voranbringen kann.

Von Durban nach Doha

Vor diesem Hintergrund beendet die diesjährige Klimakonferenz in Doha, Katar (COP 18) das „Jahr Eins“ auf dem Weg zu einem alle Länder umfassenden Klimaabkommen, dessen Vorbereitung im letzten Jahr beim Klimagipfel in Durban auf den Weg gebracht wurde und dessen

Verabschiedung für 2015 angepeilt ist. Sie findet zudem in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Etablierung neuer Regierungen bei den beiden Schwergewichten USA und China statt. Von der Konferenz ist daher nur ein vorbereitender Schritt auf diesem Weg zu erwarten. Die große Frage ist: Gibt es diese bescheidenen, aber wichtigen Fortschritte? Oder endet der Gipfel mit einem inhaltlich weitgehenden Scheitern und einem großen Rückschlag für die UN-Klimapolitik?

© Michael Hüter

Doha kann ein Meilenstein werden:

• mit einer Formalisierung einer zweiten Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls mit ambitionierten Klimazielen und ohne große Schlupflöcher,
• mit einem klaren Arbeitsprogramm, um die Ambitionslücke in den nächsten Jahren zu schließen,
• mit einem konkreten Fahrplan für die Verhandlungen bis 2015,
• mit einer klaren Aufwuchsperspektive für die Finanzierung für Klimaschutz und Anpassung an die Klimafolgen in Entwicklungsländern nach 2012,
• mit einer entschlossenen Antwort zum Umgang mit Schäden und Verlusten aus dem Klimawandel

Handeln, Verhandeln, Koalitionen: Schnell!

Die Dimension Verhandeln muss unterstützt werden durch konkretes, ambitioniertes Handeln möglichst vieler Länder, um die notwendige Transformation des Energie-, Verkehrs- und Landwirtschaftssystems einzuleiten. Der Aufbau von Allianzen von Vorreiter-Ländern kann ein Scharnier sein, um Handeln und Verhandeln zu verknüpfen und in beiden Bereichen eine Aufwärtsdynamik zu erzeugen. Als Hauptakteure für solche Allianzen kommen vor allem klimapolitisch besonders progressive Staaten (sowohl Industrie- als auch Entwicklungsländer) und die besonders verletzlichen Entwicklungsländer in Frage. Sehr wichtig sind natürlich auch mögliche Kooperationen mit den großen Schwellenländern China, Indien, Südafrika oder Brasilien.

Wenn es Umweltminister Altmaier tatsächlich gelingt, einen wirkungsvollen Club der Erneuerbare-Energien-Länder aufzubauen, könnte das ein solcher Schritt sein. Allerdings nur, wenn die Ambition der Vorreiter zu einem echten Maßstab wird. Qualität sollte hier vor Quantität gehen. Andererseits bedarf es auch einer kritischen Masse von Akteuren. Aber ein weiterer Club oder eine weitere Partnerschaft, wo jeder dabei sein darf, ist nicht hilfreich.

Positiv ist zweifelsohne bereits jetzt, dass die COP 18 – entgegen vieler Erwartungen – im arabischen Raum durchaus eine aktivere Auseinandersetzung mit dem Klimawandel angestoßen hat. Dies ist bereits von vergangenen Klimakonferenzen bekannt. Wie nachhaltig diese Dynamik ist, wird sich aber auch erst in den nächsten Jahren zeigen. Solche regionalen Strategien müssen parallel zu den Klimaverhandlungen vorangebracht werden und sie dynamisieren.

Sven Harmeling, Christoph Bals


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