Energiewende im Nahen Osten und Nordafrika
Middle East and North Africa at the crossroads
Energiewende im Nahen Osten und Nordafrika
Die notwendige Dynamik für eine zukunftsfähige, post-fossile Wirtschafts- und Lebensweise weltweit wird letztendlich nur entstehen, wenn sich auch die Regionen bewegen, die sich bisher kaum oder nicht hinreichend mit nachhaltigen Entwicklungsmodellen auseinandergesetzt haben. In diesem Kontext ist neben Indien und China auch die Region Naher Osten und Nordafrika (Middle East – North Africa, MENA) ein strategischer Regionalschwerpunkt von Germanwatch.
Die südlichen Mittelmeer-Anrainer gelten auf der einen Seite als besonders betroffen von den Folgen des Klimawandels und einer damit einhergehenden Wasser- und Ernährungskrise. Auf der anderen Seite stellt der Klimawandel immer noch ein Novum auf der politischen Agenda vieler MENA-Staaten dar. Umfassende Anpassungs- bzw. CO2-Reduktionsstrategien fehlen und regionale Kooperationen, um die Folgen des Klimawandels zu meistern, gibt es kaum. Auf internationalem Parkett konzentrierten sich die arabischen Länder bisher vor allem darauf, ihre fossilen Ressourcen zu schützen und ein ambitioniertes Klimaschutzregime zu verhindern.
Der Ausbau Erneuerbarer Energien in der Region sowie integrierte Lösungsansätze zwischen Klima-, Energie- und Ernährungs- bzw. Wassersicherheit, wie es die angepeilte Energiepartnerschaft zwischen der Europäischen Union und der MENA-Region im Rahmen des DESERTEC-Konzepts versucht, könnten eine entscheidende Wende darstellen und zukünftig auch die Blockadehaltung der Region bei den internationalen Klimaverhandlungen aufweichen. Vor allem die drohende Energiekrise führt dazu, dass verschiedene Formen erneuerbarer Energieerzeugung, vor allem solarthermische Großkraftwerke und Photovoltaikanlagen in den Wüsten sowie Windkraftanlagen entlang der Küsten, inzwischen in zahlreichen nationalen Energiestrategien stehen.
Gepaart mit dezentraler Energieerzeugung ermöglichen zentrale Großkraftwerke den MENA-Staaten, ihr fossiles Energiesystem umzubauen und in ein kohlenstoffarmes System zu überführen. Außerdem ist geplant, einen Teil des Stroms nach Europa zu exportieren, um mit den Erlösen aus dem Stromverkauf die Erneuerbaren Energien in der MENA-Region weiter auszubauen.
Für die erfolgreiche Umsetzung der „Energiewende“ in der MENA-Region und die Chance, durch die Erneuerbaren Energien einen Ausbau der Kernkraft in der Region zu vermeiden, ist allerdings sicher zu stellen, dass DESERTEC der lokalen Bevölkerung im MENA-Raum nutzt. Deshalb ist es wichtig, zentrale und dezentrale Energieerzeugung nicht gegeneinander auszuspielen sowie den überwiegenden Teil des nordafrikanischen Stroms vor Ort zu nutzen und nicht nach Europa zu exportieren. Unabdingbare Voraussetzung ist außerdem der gerechte Umgang mit Fragen des Eigentums und der Beteiligung. Vor diesem Hintergrund setzt sich Germanwatch dafür ein, geeignete Leitlinien und Nachhaltigkeitskriterien für die Umsetzung zentraler Erneuerbare-Energien-Projekte in der MENA-Region zu erarbeiten. Dadurch könnte sich DESERTEC zu weit mehr als einem reinen Energieinfrastrukturkonzept entwickeln und seinem entwicklungspolitischen Nachhaltigkeitsanspruch gerecht werden.
Boris Schinke