Klimawandel macht Hunger
Klimawandel macht Hunger
Mark Bergkamp schaut nachdenklich über sein von der Dürre in Mitleidenschaft gezogenes Maisfeld in der Nähe von Wichita, Kansas. Die USA erleben 2012 die schlimmste Dürre seit mehr als 50 Jahren; Ernteerträge im ganzen mittleren Westen werden durch die Trockenheit vernichtet. Foto: dpa, EPA/Larry W. Smith
Wie man sich täuschen kann: Noch im Frühjahr 2012 erwartete der Weltmarkt Rekordernten für Getreide. Mittlerweile rechnet die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) damit, dass weltweit zwei Prozent weniger Weizen und Mais geerntet werden als letztes Jahr. Für Reis erwartet sie global stabile Erträge, allerdings mit Rückgängen in wichtigen Ländern wie z.B. Indien. Der wichtigste Grund für den globalen Ernteeinbruch ist die Dürre- und Hitzewelle in weiten Teilen der USA. Auch in Osteuropa, der Ukraine und Kasachstan litten die Erträge aufgrund der hohen Temperaturen. Bereits im Juni, als das Ausmaß der Dürre ersichtlich wurde, stiegen die Getreidepreise in den USA um mehr als 40 Prozent.
Da die USA der weltgrößte Getreide- und Sojaexporteur ist, hat die Dürre im mittleren Westen, dem wichtigsten Anbaugebiet, Auswirkungen auf den ganzen Erdball. Mittlerweile haben die Weltmarktpreise für Mais und Weizen historische Höchststände erreicht. Dies weckt Erinnerungen an die Lebensmittelkrise von 2008. An den Mechanismen und Rahmenbedingungen – stark globalisierte und intensivierte Landwirtschaft, Finanzspekulationen mit Grundnahrungsmitteln und Konkurrenz durch Futtermittel und Agrarkraftstoffe – hat sich seitdem nichts grundlegend geändert. Auch diesmal werden mittelfristig wieder jene Menschen, die 60 bis 80 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel verwenden, die größten Verlierer der Preissteigerungen sein. 2008 stieg die Zahl der Hungernden vorübergehend auf über eine Milliarde Menschen. Wenn diese traurige Rekordzahl in den kommenden Monaten nicht erneut überschritten wird, liegt das nur an der relativ stabilen Situation beim Reis.
Klimawandel als wichtigste Ursache
Seit Jahrzehnten prognostizieren Wissenschaftler wie James E. Hansen, Direktor des Goddard Institute for Space Studies der NASA und Professor an der Columbia Universität, dass der Klimawandel zu häufigeren Wetterextremen wie Dürren, Überschwemmungen und Wirbelstürmen führen wird. Der Weltklimarat IPCC hat im letzten November dazu sogar einen Sonderbericht (SREX) verabschiedet. Dieser Trend lässt sich schon heute klar nachweisen: Noch in den 1960er Jahren gab es in den USA etwa genauso viele lokale Hitze- wie Kälterekorde. Seit 2000 nahm die Zahl der Hitzerekorde stark zu und die der Kälterekorde deutlich ab, so dass das Verhältnis jetzt 2:1 beträgt. In anderen Regionen der Welt ist der Trend ähnlich. Ohne den menschlichen Einfluss lässt sich diese Entwicklung nicht erklären. „Das ist keine wissenschaftliche Theorie mehr. Wir erleben jetzt wissenschaftliche Fakten“, sagt Hansen.
Damit verschiebt sich auch die Diskussion darüber, wie sich der Klimawandel auf Landwirtschaft und Welternährung auswirken wird: Die Probleme kommen nicht erst auf uns zu. Erste wichtige sind bereits da! Schon die jetzigen Missernten und Preisanstiege sind (auch) eine Folge des Klimawandels. Dürren, wie sie gerade in den USA, Osteuropa und anderswo auf der Welt zu beobachten sind, werden zum Normalfall. Deshalb lassen sich Ernteerträge auch immer schwieriger vorhersagen. Dieses Jahr liefert ein gutes Beispiel: statt der prognostizierten Rekordernte trat ein Rückgang der Produktion ein. Die Versorgungslage für Länder, die auf Importe gerade aus den USA angewiesen sind, wird damit weniger berechenbar. Betroffen sind vor allem der arabische Raum, aber auch viele afrikanische und zentralasiatische Länder.
Die Politik muss reagieren!
Wenn Landwirtschafts- und Ernährungspolitik auf diese veränderten Bedingungen nicht reagiert und sich anpasst, werden die sich häufenden Lebensmittelkrisen zu einer anhaltenden Lebensmittelkatastrophe. Dann ist nicht nur mit mehr Hungernden zu rechnen, sondern auch mit verstärkten sozialen Unruhen und heftigen Konflikten.
Die politische Debatte wird dieser Herausforderung allerdings kaum gerecht. Viele Diskussionen spielen sich vor allem in Expertenzirkeln der Vereinten Nationen ab und haben die Ebene praktischer Änderungen noch nicht erreicht. In Deutschland forderte Entwicklungsminister Dirk Niebel immerhin, den Verkauf von E10- Kraftstoff (mit 10 Prozent Ethanolanteil) sofort zu stoppen. Getreide gehöre in der aktuellen Situation nicht in den Tank, sondern auf den Teller. In den USA, wo dieses Jahr mit 40 Prozent ein sehr viel höherer Anteil der Maisernte in die Treibstoffproduktion fließt als in Deutschland, findet die Diskussion eher innerhalb der Landwirtschaft statt. Die amerikanischen Viehzüchter verlangen eine Änderung der Gesetze bezüglich obligatorischer Ethanolbeimischung im Sprit, um so den steigenden Futterkosten entgegen zu wirken.
Agrarkraftstoffe sind dabei ein wichtiger, aber nicht der bedeutendste Faktor. Minister Niebel und andere thematisieren die bedeutendere Flächenkonkurrenz zwischen Teller und Trog, also zwischen Nahrungs- und Futtermitteln, nicht. Dabei landet laut FAO mehr als ein Drittel der weltweiten Getreideproduktion in Tiermägen. Ursache hierfür ist der enorme Hunger auf Fleisch und Milch in den Industriestaaten und Schwellenländern. Ziel der Europäischen Agrarpolitik ist es, von diesem Boom zu profitieren und mehr tierische Produkte zu exportieren. Um den dafür notwendigen Bedarf an Futtermitteln zu decken, werden immer mehr Flächen, vor allem in Lateinamerika, für den Anbau von Soja als Futtermittel genutzt. Das heizt nicht nur die Flächenkonkurrenz, sondern durch den Umbruch neuer Flächen auch das Klima zusätzlich an.
Der jetzt schon stattfindende Klimawandel muss zu einer Reihe von grundlegenden Änderungen führen. Die Landwirtschafts- und Ernährungssysteme in allen Ländern sind so zu gestalten, dass sie besser an Wetterextreme angepasst sind. In der Regel heißt dies: vielfältigere, kleinteiligere Strukturen statt großflächigem Anbau von wenigen Produkten. Gleichzeitig muss Lagerhaltung sowohl auf regionaler wie auf internationaler Ebene eine wichtigere Rolle spielen, damit Produktionseinbrüche nicht sofort Versorgungskrisen auslösen. Die Anreize für Agrarenergie sind so zu setzen, dass diese möglichst effektiv genutzt wird. Auto-Kraftstoffe der ersten Generation gehören allerdings nicht dazu. Produktion und Konsum von Fleisch und Milchprodukten müssen in den Industrieländern deutlich verringert und ihr Zuwachs in den Entwicklungs- und Schwellenländern begrenzt werden.
Nur mit einer Strategie, die die menschliche Ernährung klar ins Zentrum stellt und dabei Einkommen für die Armen sichert und verbessert, lässt sich der Hunger auch in Zeiten des Klimawandels bekämpfen. Und gleichzeitig lässt sich ohne wirksamen Klimaschutz die Welternährung langfristig nicht sichern.
Tobias Reichert, Ben Toussaint