Überlebenstraining für Kleinbauern

Weitblick Artikel

Überlebenstraining für Kleinbauern

Die EU-Agrarpolitik und die Handelsbedingungen in der WTO zerstören die Existenz von Kleinbauern im Süden und im Norden

 

Die 64 Hinterwälder-Rinder der Familie Dietsche gucken ein wenig erstaunt, als sie am späten Nachmittag zum Melken in den Stall getrieben werden: Auf dem Hof davor haben sich 30 Menschen aus über 15 Nationen versammelt, darunter China, Sri Lanka, Uganda, Nicaragua und Indonesien. Sie befinden sich auf Einladung der Umwelt- und Entwicklungsorganisationen Germanwatch, Euronatur und dem Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) und mit Unterstützung des Bundesamtes für Naturschutz auf einer Tour über vier Bauernhöfe im Südwesten Deutschlands. Die meisten von ihnen sind Diplomaten, die ihr Land bei den Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf vertreten.

Zwischen balgenden jungen Katzen und großen Milchkannen führt Bauer Adolf Dietsche die Exkursions-Gruppe über seinen Hof im Münstertal im Schwarzwald, der auf knapp 1000 Metern Höhe an steilen grünen Hängen liegt. Die Septembersonne wärmt wohltuend, während Dietsche von harter Arbeit erzählt: vom langen Winter, vom Mähen der steilen Wiesenhänge. "Das ist nicht jedermanns Sache, aber Veronika traut sich das schon zu." Seine Tochter, gelernte Krankenschwester, wird den Hof bald übernehmen.

Dietsches Betrieb könnte - wie viele andere Höfe in Deutschland - ohne Subventionen nicht überleben. Sein Einkommen ist bescheiden: Die Jahresproduktion von 122.000 Liter Milch bringt bei einem Literpreis von etwa 30 Cent ungefähr 36.000 Euro im Jahr in die Kasse - für drei Personen. "Meine Tochter hat als gelernte Krankenschwester alleine so viel verdient wie wir auf dem Hof zu dritt mit unserer Leistung." Viele der Exkursionsteilnehmer aus aller Welt, die mit Hilf eines Simultandolmetschers interessiert zuhören, sehen die EU-Subventionen für europäische Bauern sehr kritisch. "Unsere Bauern bekommen überhaupt keine Subventionen," sagt Kweronda Ruhemba aus Uganda. "Sie produzieren sehr günstig und haben oft trotzdem keine Chance, ihre Produkte zu verkaufen. Denn die subventionierten Überschüsse aus Europa kommen zu Billigstpreisen auf unsere Märkte. Wenn die Subventionen in den entwickelten Ländern abgeschafft würden, könnten unsere Bauern ihre Lebensmittel wieder auf unseren Märkten verkaufen oder in den Norden exportieren. Von dem verdienten Geld könnten sich die Leute bei uns irgendwann auch Produkte wie Radio und Fernseher leisten, an denen die Industrieländer verdienen. Allen wäre geholfen."

Santiago Urbina aus Nicaragua ergänzt: "Ich verstehe, dass es Programme geben muss, die das ländliche Leben in benachteiligten Regionen erhalten helfen, so wie hier im Münstertal. Aber wir können nicht verstehen, warum in den reichen Ländern unter hohem finanziellen Aufwand Lebensmittel produziert werden, die man in anderen Ländern effizienter herstellen könnte."

Das Ausmaß der europäischen Agrarsubventionen ist gigantisch: Im Jahr 2002 gab die EU fast die Hälfte ihres Gesamthaushaltes für die Landwirtschaft aus, nämlich über 43 Milliarden Euro. Mehr als die Hälfte davon erhielten die Bauern als Direktzahlungen - je nach Größe der mit bestimmten Feldfrüchten bewirtschafteten Fläche oder der Zahl der gehaltenen Rinder oder Schafe - aber ohne die Berücksichtigung ökologischer oder sozialer Kriterien. Nur 10% der Subventionen kamen der Entwicklung des ländlichen Raums zu Gute, darunter umwelt- und sozialrelevante Leistungen der Bauern. Außerdem gab es Beihilfen für bestimmte Produkte wie Oliven, Baumwolle oder Tabak und für den Export von Lebensmitteln. Allein für diese sogenannten Exportsubventionen wurden 2002 3,6 Milliarden Euro gezahlt - Steuergelder, mit deren Hilfe die Überschussproduktion Europas auf dem Weltmarkt verramscht wird.

Vom bisherigen Subventionssystem profitierten vor allem die großen, intensiv wirtschaftenden Betriebe. Mit den Luxemburger Beschlüssen vom 26. Juni 2003 gibt es zwar jetzt erste Ansätze für eine Neuorientierung der EU-Agrarpolitik hin zur Förderung einer nachhaltigen, extensiven Landwirtschaft. Doch reichen die Beschlüsse bei weitem nicht aus. Außerdem haben die einzelnen Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Beschlüsse große Spielräume. Erst in den kommenden Monaten und Jahren wird sich zeigen, ob extensiv wirtschaftende Kleinbauern wie die Familie Dietsche überleben können.

Trotz dieser Unsicherheiten hat sich Veronika Dietsche für die harte Arbeit als Landwirtin entschieden. "In erster Linie natürlich wegen der Heimat. Aber ich mache die Arbeit auch gerne. Und unsere Hinterwälder, die an den steilen Hängen grasen, leisten einen wichtigen Beitrag zur Landschaftspflege. Das ist wichtig für den Tourismus und damit für die ganze Gegend hier."

Auch für die Entwicklungsländer bedeuten die Luxemburger Beschlüsse noch keinen wesentlichen Fortschritt: Es werden weiter riesige Mengen an subventionierten Überschüssen aus der EU auf ihre Märkte strömen. Über diese wettbewerbsverzerrenden Handelspraktiken wird zur Zeit in der WTO verhandelt. Dabei versuchen die EU und andere Industrieländer wie die USA, ihre teure, unfaire Subventionspolitik auf Kosten der Entwicklungsländer beizubehalten.

Der Nicaraguaner Urbina klagt: "Die reichen Länder wollen für viele Bereiche, in denen es um die Abschaffung oder Beschränkung von Subventionen geht, gar keine Reformen. Gleichzeitig versuchen sie, in anderen Bereichen der Verhandlungen alles von uns, den Entwicklungsländern, zu kriegen: zum Beispiel wenn es um Marktzulassungen für Industrieprodukte geht. Es ist einfach nicht fair."

Gunther Willinger
 
 

Für eine nachhaltige, sozialverträgliche und faire EU-Agrarpolitik

Euronatur und Germanwatch fordern, dass die Agrarausgaben der EU an konkrete soziale Indikatoren und ökologische Aufgaben gekoppelt werden. Bauern sollen keine Almosen bekommen, sondern einen gerechten Lohn für qualitativ hochwertige Produkte, für eine humane Tierhaltung, für den Schutz der Natur und die Pflege der Landschaft. Nur durch solch eine Umkopplung wird die EU ihre Landwirte aktiv in Richtung einer nachhaltigen und extensiven Landwirtschaft lenken können. Kleinbäuerliche Strukturen könnten erhalten, die Umwelt geschont und die Produktion von Überschüssen reduziert werden. Damit würde auch der Export von Dumpingprodukten zurückgehen und es käme zu einer Entlastung der Weltmärkte. Das wiederum würde den Entwicklungsländern eine faire Chance auf eine nachhaltige Entwicklung geben und das Überleben ihrer Bauern ermöglichen. Mit EU-Agrarsubventionen, die eine nachhaltige Landwirtschaft fördern, würde also sowohl der Norden als auch der Süden gewinnen. 

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