"Wir sind gute Kämpfer!"

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"Wir sind gute Kämpfer!"

Interview mit brasilianischem Kleinbauern und Gewerkschafter

 

Altemir TortelliAltemir Tortelli, 40, bewirtschaftet mit einer kleinen 3-Familien- Kooperative 18 Hektar Land in Rio Grande do Sul im Süden Brasiliens. Er baut für den Eigenbedarf Früchte und Gemüse an, hat ein paar Hühner und sieben Kühe. Für die meisten Feldarbeiten spannt er die Rinder ein. Tortelli ist seit 1988 in der Gewerkschaft CUT aktiv und hatte dort auch schon nationale Ämter inne. Seit zwei Jahren ist er Leiter der Familien- und Kleinbauerngewerkschaft FETRAF-Sul.


Herr Tortelli, wie leben Kleinbauern im Süden Brasiliens?

Wir haben die Strategie, so autonom wie möglich zu sein. Deshalb produzieren wir möglichst viele Lebensmittel selber. So bleibt Geld übrig für andere Dinge wie die Ausbildung unserer Kinder. Auch unsere Milchproduktion ist möglichst kostengünstig. Unsere Kühe geben zwar nicht so viel Milch, nur 15 bis 20 Liter am Tag. Dafür kosten sie uns auch sehr wenig, weil sie auf der Weide stehen und wir kaum zufüttern.

Wirkt sich die Agrarpolitik der EU auf Ihren Betrieb aus?

Wir wissen, dass billiges Milchpulver aus Europa über Argentinien und Uruguay nach Brasilien gebracht wird. Das darf nicht passieren. Es ist ungerecht, wenn zu uns Produkte kommen, die mithilfe von staatlichen Zuschüssen so billig sind, dass sie unsere Preise ruinieren. Wir Kleinbauernfamilien sind als erste betroffen. Vor kurzem ist hier der Milchpreis innerhalb von drei Monaten von 60 Centavos auf 30 Centavos gefallen. Da kamen viele Bauern verzweifelt zu uns in die Gewerkschaft und wussten nicht, was sie machen sollten.

Wer ist Mitglied Ihrer Gewerkschaft?

In unserer Gewerkschaft FETRAF-Sul sind etwa 100.000 Kleinbauernfamilien organisiert. Davon betreiben etwa ein Drittel Subsistenzwirtschaft und der Rest verdient ungefähr 1000 bis 2500 Reais im Monat (1 Real (100 Centavos) = 0,36 Euro).

Lehnen Sie staatliche Subventionen an Landwirte prinzipiell ab?

Nein. Es ist legitim, dass Staaten ihre familiäre Landwirtschaft unterstützen und schützen, die für den eigenen Markt produziert. Eine komplette Liberalisierung wollen wir nicht, die nützt den Armen nichts, sie werden nur noch ärmer. Sie bringt weder den Bauern in Brasilien noch denen in Europa irgendwas. In Brasilien gibt es einen großen Widerspruch: Das Agrobusiness exportiert in alle Welt Kaffee, Zucker und Soja, und die Hälfte der Brasilianer leidet Hunger. Dies ist das absurde Ergebnis des Modells der Kommerzialisierung der Landwirtschaft, das die WTO propagiert.

Was sind die Folgen dieser Kommerzialisierung der brasilianischen Landwirtschaft?

Je mehr die Agrarindustrie hier wächst, je mehr Soja im Zentrum-Westen und Norden Brasiliens angebaut wird, umso mehr Kleinbauernfamilien werden vertrieben, das sind Hunderttausende. Viele werden ermordet. Dieses Modell des Marktes, des Agrobusiness, das nutzt nur den Mächtigen, die dadurch noch mächtiger werden. In der Regierung Lula gibt es Verfechter dieses Modells wie Landwirtschaftsminister Roberto Rodriguez und den Minister für Industrie und Handel. Es gibt aber auch Gegner, wie den Minister für landwirtschaftliche Entwicklung, Miguel Roseto oder den Umweltminister, das sind unsere Verbündeten. Aber die Macht der brasilianischen Agrarwirtschaft ist groß. Es ist ein Kampf gegen einen Giganten. Aber wir sind gute Kämpfer!

Wie sehen Sie die Bauern in Europa?

In Brasilien wie in Europa versuchen uns manche einzureden, es gäbe einen Kampf des Nordens gegen den Süden. Wir haben gezeigt, dass es nicht so ist. Es ist ein Kampf der Großen gegen die Kleinen, der Agrarindustrie gegen die Kleinbauern. Wir Kleinen müssen uns zusammentun. Und wir müssen die Verbindungen mit unseren Freunden in Europa, den USA, Afrika und Asien intensivieren und strategische Allianzen bilden. Wir Bauern müssen uns international verbünden und gemeinsam kämpfen!

Das Interview führte Ralf Willinger

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