"Ohne Hoffnung wäre ich nicht Umweltminister"

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"Ohne Hoffnung wäre ich nicht Umweltminister"

Die Forschungsergebnisse der letzten Monate zum Klimawandel sind erschreckend. Dennoch steigen die Treibhausgasemissionen weltweit weiter an. Wir befragten Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, was er politisch dagegen tun will.

 

Herr Gabriel, Finanzminister Peer Steinbrück empfiehlt, mal auf einen Urlaub zu verzichten, um das Klima zu schonen. Haben auch Sie unbequeme Empfehlungen für uns Bürger parat?

Es gehört ja zu den hartnäckigsten Vorurteilen, dass Umwelt- und Klimaschutz Verzicht und Abstinenz bedeuten. Allein das Wort Energiesparen löst bei vielen solche Vorstellungen aus. Ich rede lieber von Energieeffizienz. Die hilft uns, unsere Energiekosten zu senken und nützt auch dem Klima - ohne Einbußen an Lebensqualität.

Um das Schlimmste beim Klimawandel zu verhindern, müssen nach Meinung führender Klimawissenschaftler bis Mitte des Jahrhunderts die Treibhausgase der Industrienationen um 80 Prozent gesenkt werden. Sind dafür nicht auch Änderungen im energieverschwenderischen Lebensstil der Industrieländer nötig?

Es ist kein Verlust an Lebensqualität, wenn moderne Kühlschränke, Fernseher, Computer, Autos weniger Energie verbrauchen als ihre jeweiligen Vorgänger. Und wenn beispielsweise Häuser energetisch saniert werden, dann lassen sich alleine dadurch häufig 80 Prozent Heizenergie einsparen. Deshalb fördert die Bundesregierung solche Maßnahmen auch und ich kann das jedem Hausbesitzer nur empfehlen. Zudem senkt das die Heizkostenrechnung ganz erheblich. Nicht zuletzt setzen wir darauf, bei der anstehenden Erneuerung im deutschen Kraftwerkspark mehr Erneuerbare Energien und deutlich effizientere Kraftwerke ans Netz zu bringen. Es geht darum, in allen Bereichen Energie effektiver zu nutzen.

Wissenschaftler schließen nicht aus, dass es in Sachen Klima viel schlimmer kommt, als bisher angenommen. Haben Sie überhaupt noch Hoffnung, dass wir das Klimaproblem lösen?

Wenn ich keine Hoffnung hätte, wäre ich nicht Umweltminister. Aber Sie haben Recht - die wissenschaftlichen Erkenntnisse werden immer beunruhigender. Gleichzeitig sagt die Wissenschaft auch: Wir können das Schlimmste noch verhindern - wenn wir jetzt entschieden handeln. Das heißt: In den nächsten zehn bis 15 Jahren müssen wir die Energiesysteme weltweit in die richtigen Bahnen lenken. Und das ist mit den existierenden Technologien möglich. Hier kann Deutschland noch stärker eine Vorreiterrolle übernehmen.

Woher nehmen Sie diese Zuversicht?

Als Hochtechnologiestandort haben wir in Deutschland allerbeste Chancen, Lösungsmöglichkeiten zu finden. Hier haben wir etwas zu bieten, was es nicht überall auf der Welt zu kaufen gibt: Hochwertige, innovative Produkte der klimaschonenden Energieproduktion. Der Emissionshandel mit seinen flexiblen Mechanismen bietet hervorragende Chancen - für Klimaschonung und für Export, für Wachstum und Beschäftigung gleichermaßen.

Tatsache ist doch, dass das Kyoto-Protokoll alleine bisher keine Wende gebracht hat... 

... das Kyoto-Protokoll ist dennoch ein Meilenstein im internationalen Umweltschutz, denn es setzt erstmals völkerrechtlich verbindliche Obergrenzen für Treibhausgasemissionen und führt Marktmechanismen zur kostengünstigen Emissionsminderung ein. Und die zeigen bereits heute ihre Wirkung. Mit dem EU-Emissionshandel hat die Emission jeder Tonne CO2 jetzt einen Preis. Damit werden Anreize zur Minderung gesetzt. In Deutschland werden wir auch deshalb das Kyoto-Ziel - eine Minderung der Emissionen um 21 Prozent bis 2012 gegenüber 1990 - erreichen. Für die Zeit danach müssen neue, wesentlich anspruchsvollere Reduktionsziele vereinbart werden.

Halten Sie hierzulande noch größere Reduktionen überhaupt für möglich? Bundeskanzlerin Merkel legte kürzlich den Grundstein für das größte Braunkohlekraftwerk der Welt in Neurath. Das sieht nicht nach einer alternativen Energiepolitik aus.

Ja, ein Umsteuern ist nicht nur möglich und ökologisch notwendig, sondern auch volkswirtschaftlich sinnvoll. Wirtschafts- und Umweltpolitik sind keine Gegensätze. Darin sind wir uns in der Bundesregierung einig. Energiepreise belasten Industrie und private Haushalte immer stärker. Hohe Energie- und Ressourceneffizienz werden somit zunehmend zum Wettbewerbsvorteil - auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Klima- und Umweltschutz wirken deshalb als Motor für Innovationen, Technologieexporte und mehr Arbeitsplätze - gute Beispiele hierfür sind die Windkraftbranche und die Anbieter von Energiespartechnologien.

Nochmals gefragt: die Stromkonzerne planen eine ganze Reihe neuer Kohlekraftwerke in Deutschland, die 40, 50 Jahre in Betrieb sein werden. Behindern die Konzerne damit nicht ihre ehrgeizigen Reduktionsziele?

Wenn wir im Jahr 2020 rund 25 Prozent des Stroms mit erneuerbaren Energien erzeugen, ist dies ein wichtiger Schritt - aber auch dann bleiben 75 Prozent übrig. Womit sollen die erzeugt werden, wenn nicht mit fossilen Energien? Genau deshalb brauchen wir Investitionen in moderne, hocheffiziente Gas- und Kohlekraftwerke. Wir brauchen - und das meine ich ausdrücklich auch als Sozialdemokrat, der sich an die Seite der Industrie stellt - auch den technischen Fortschritt zur Lösung unserer Probleme. Deshalb unterstützen wir Clean-Coal-Technologien mit dem Ziel, dass in Deutschland bis 2015 erste industrielle CO2-freie Kohlekraftwerke entstehen.

Sie meinen damit Kohlekraftwerke, deren CO2-Emissionen aufgefangen und gelagert werden. Diese Technologie der CO2-Speicherung in geologischen Formationen ist aber noch in der Forschungs- und Erprobungsphase. Dennoch sollten alle neugebauten Kraftwerke später potentiell mit dieser Technik nachgerüstet werden können. Werden Sie dies bei allen Kraftwerksneubauten vorschreiben?

Einen Schritt nach dem anderen, wir betreten hier technologisches Neuland. Bei der CO2-Abscheidung und Speicherung sind noch etliche Fragen zu klären. Hierzu gehört vor allem, wie man die dauerhafte Sicherheit der CO2-Speicher gewährleisten kann, aber auch die Frage späterer Nachrüstungsmöglichkeiten von bestehenden Kraftwerken. Wir prüfen diese Fragen intensiv.

Auch in anderen Bereichen sieht es nicht gut aus. Die Europäische Autoindustrie zum Beispiel hinkt ihrer freiwilligen Selbstverpflichtung hinterher. Wird die Bundesregierung die EU darin unterstützen, rechtliche Emissionsreduzierungen durchzusetzen?

Die europäischen Autohersteller haben der EU-Kommission versprochen, den durchschnittlichen CO2- Ausstoß neuer Pkw bis 2008 auf 140 Gramm pro Kilometer abzusenken - und bis 2012 sogar auf 120 Gramm. Meine Sorge ist, dass die Autohersteller ihre Zusage nicht einhalten. Sollte es so kommen, werde ich dafür eintreten, dies auf EU-Ebene durch verbindliche Maßnahmen zu erreichen.

Ein weiterer Klimakiller ist der stetig steigende Flugverkehr. Werden Sie in der Zeit der deutschen EU-Präsidentschaft durchsetzen, dass der EU-Flugverkehr in den Emissionshandel einbezogen wird? Und werden Sie den Wettbewerbsvorteil für das Kerosin, den klimaunverträglichsten Energieträger, abbauen und eine Kerosinabgabe oder -steuer einführen?

Die EU Kommission prüft derzeit, den Flugverkehr in den Emissionshandel einzubeziehen. Ich unterstütze das. Bei richtiger Ausgestaltung kann die Einbeziehung des Flugverkehrs in den Emissionshandel ein sehr starkes, effektives Instrument sein.

Für welche konkreten klimapolitischen Maßnahmen werden Sie sich beim UN-Klimagipfel in Nairobi einsetzen?

In Nairobi müssen wir den Rahmen für ambitionierte internationale Klimaschutzregeln nach dem Jahr 2012 verhandeln. Das wird nicht einfach, denn die Ziele und Bedürfnisse der Verhandlungsparteien sind sehr unterschiedlich. Die Industrieländer - allen voran Deutschland und die EU - werden deutlich machen müssen, dass sie zu weiteren, deutlichen Emissionsreduktionen nach 2012 bereit sind. Gleichzeitig ist klar, dass auch die wichtigen Schwellen- und Entwicklungsländer künftig eine aktivere Rolle übernehmen müssen. Ein weiteres Thema wird die Unterstützung von Entwicklungsländern bei der Umsetzung von Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen sein. Hier haben die Entwicklungsländer ein berechtigtes Anliegen, allerdings sind die zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen auch nicht unerschöpflich.

Interview: Horst Hamm (Natur&Kosmos), Ralf Willinger, Christoph Bals (beide Germanwatch)
 

Siehe auch: Kommentar von Sven Harmeling

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