Jenseits des Freihandels

Weitblick Artikel

Jenseits des Freihandels

Handelsregeln für eine global zukunftsfähige Landwirtschaft

 

In der Theorie ist es ganz einfach: Man liberalisiere den Markt und nutze möglichst effizient die Wettbewerbsvorteile. Dann profitieren die Menschen weltweit auf kurz oder lang von einem höheren Wohlstand. In der Praxis scheitert dieses Rezept meist an der Komplexität der Welt. So zeigen die konkreten Erfahrungen der bisherigen Liberalisierung im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) und anderer bilateraler Handelsabkommen, dass sich trotz Wirtschaftswachstum die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet und eine Marktöffnung fatale Folgen für Ökosysteme und kulturelle wie biologische Vielfalt mit sich bringen kann.

Dies gilt vor allem für die Landwirtschaft, die wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig unmittelbar mit Ökosystemen und sozialen Gemeinschaften in Zusammenhang steht. Die Globalisierung des Agrarhandels verschärft den Wettbewerb und führt dazu, dass lediglich die Produktionsleistungen der Landwirtschaft entlohnt werden. All die anderen wichtigen Leistungen, die eine nachhaltige Landwirtschaft erbringt, beispielsweise Ernährungssicherheit für Bäuerinnen und Bauern, Vielfalt von Nutztier- und Pflanzenarten, Erhaltung von Ressourcen wie Boden und Wasser und eine vielfältige Kulturlandschaft, werden durch eine Deregulierung weder geschützt noch gefördert, sondern geraten zunehmend unter Druck. 
Wie aber könnte ein Welthandelsregime aussehen, das gleichwertig zu den ökonomischen auch die ökologischen und sozialen Leistungen der Landwirtschaft anerkennt, und welche Elemente müsste es enthalten, um einen nachhaltigen Agrarhandel zu fördern? Diesen Fragen geht das Project "EcoFair Trade Dialogue" in einem weltweiten Dialogprozess mit Vertretern aus Süd und Nord, Zivilgesellschaft, Politik und Wissenschaft nach. Herausgekommen ist im Jahr 2007 ein konkreter Vorschlag für ein multilaterales Abkommen, das eine zukunftsfähige Alternative zur WTO, aber auch zu bilateralen Freihandelsabkommen wie den Economic Partnership Agreements (EPAs) entwirft.

Die vielfältigen Vorschläge des EcoFair Trade Dialogue setzen im Kern auf eine doppelte Strategie: erstens den nationalen Handlungsspielraum von Regierungen wieder herzustellen und zweitens den Welthandel nicht zu deregulieren, sondern zu qualifizieren. Dazu gehört es auch, Importe anhand sozialer und ökologischer Kriterien zu regulieren. Über Jahre hinweg haben subventionierte Importe aus Industrieländern die Landwirtschaft im Süden unter enormen Druck gesetzt und viele kleinere Produzenten vom Markt verdrängt. Hinzukommt, dass ein großer Teil der Produktionskosten, die etwa durch starken Pestizid- und Düngemitteleinsatz, sinkenden Grundwasserspiegel oder abnehmende Biodiversität entstehen, auf die Gesellschaft abgewälzt wurden. Der Vorschlag des EcoFair Trade Dialogue eröffnet Ländern die Möglichkeit, umwelt- und sozialverträgliche Importe gegenüber konventioneller Ware systematisch zu begünstigen. So würde der Welthandel nicht mehr zu einem race-to-the-bottom führen, sondern zu einem race-to-the-top. 

Christine Chemnitz und Tilman Santarius

Mehr Informationen zum EcoFair Trade Dialogue und Downloads unter www.ecofair-trade.org

Christine Chemnitz ist Referentin für internationalen Agrarhandel bei der Heinrich-Böll-Stiftung. Tilman Santarius ist Projektleiter am Wuppertal Institut und Vorstandsmitglied bei Germanwatch. Beide koordinieren zusammen mit Mute Schimpf, Misereor, den EcoFair Trade Dialogue.

 

 

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