Agroenergie - großindustrielle Lösungen gefährden ländliche Entwicklung

Weitblick Artikel

Agroenergie - großindustrielle Lösungen gefährden ländliche Entwicklung

Agrarsprit und Monokulturen gehen Hand in Hand

 

Die Diskussion über die Verwendung von Agroenergie hat im Laufe des letzten Jahres eine überraschende Wendung genommen. Noch Anfang 2007 sahen Politik, Wissenschaft und die meisten Umwelt- und Entwicklungsverbände überwiegend Chancen - und hatten ansonsten großen Informationsbedarf. Mittlerweile ist die Wahrnehmung sehr viel kritischer geworden. Zunächst aus der Wissenschaft und bald danach aus den Reihen der NRO und von internationalen Organisationen wie der OECD (Organisation of Economic Co-operation and Development) wurden vor allem flüssige Agrotreibstoffe wie Biodiesel und Ethanol kritisiert. Als wichtigste Kritikpunkte stellten sich heraus:

  • Die Einsparungen an Treibhausgasen fallen geringer aus als ursprünglich angenommen, da Anbau und Verarbeitung der Pflanzen energieaufwendig sind und, noch wichtiger, weil durch intensive Düngung das hochwirksame Klimagas Lachgas (Methan) freigesetzt wird.
  • Die Erschließung neuer Flächen für die Produktion von Energiepflanzen hat oft extrem negative Effekte für das Klima und die biologische Vielfalt; vor allem dann, wenn Regenwaldflächen abgeholzt werden, um Ölpalmen oder Soja anzubauen. Das Umbrechen von Wiesen und das Trockenlegen von Mooren in Deutschland sind ähnlich schädlich.
  • In Entwicklungsländern wird befürchtet und vereinzelt schon beobachtet, dass Kleinbauern und Nomaden von ihrem Land vertrieben werden, um Platz für Energiepflanzenplantagen zu machen. Damit entsteht eine direkte Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion.

Diese Risiken, aber auch die Chancen der Agroenergie, waren Thema einer internationalen Konferenz, die Germanwatch zusammen mit dem Institute for Agriculture and Trade Policy (IATP) aus den USA, der Heinrich-Böll-Stiftung, der europäischen Waldschutzorganisation FERN und anderen im Dezember 2007 in Berlin veranstaltete. Die Teilnehmer aus Brasilien, Ghana, Tansania und den USA betonten, dass für den Anbau von Nahrungs- und Futtermitteln schon vor dem derzeitigen Boom des Agroenergiepflanzenanbaus Wälder abgeholzt, Kleinbauern vertrieben und Böden überdüngt wurden. Die zusätzliche Nachfrage nach Energiepflanzen verschärft die Situation in vielen Fällen noch. Gerade der Anbau von Rohstoffen für flüssige Kraftstoffe wie Ethanol und Biodiesel ist problematisch. Die Verarbeitung ist in großen Anlagen am effizientesten, die meist durch Monokulturen in der Umgebung "gefüttert" werden. Die so gewonnenen Treibstoffe werden meist in den Städten der Anbauländer verbraucht oder exportiert - und tragen kaum zu Beschäftigung und  Energieversorgung im ländlichen Raum bei. Zudem entziehen sie knappes Land mitunter dem Anbau von Grundnahrungsmitteln und gefährden die Ernährungssicherheit der lokalen Bevölkerung.

Für die dezentrale Produktion von Agrarenergie für den lokalen Bedarf lassen sich dagegen sehr gut Reststoffe wie Ernterückstände und Tierdung nutzen, ebenso wie Energiepflanzen, die in Rotation mit Nahrungspflanzen angebaut werden. Diese Art der Energiegewinnung ist auch sehr viel leichter mit einer nachhaltigen und beschäftigungs-intensiven Landwirtschaft vereinbar und kann zur ländlichen Entwicklung beitragen.

Tobias Reichert

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