Eine Energiewende im ukrainischen Donbas?
Eine Energiewende im ukrainischen Donbas?
Sind Sie sicher, dass der Donbas (und die Ukraine) so dringend eine Energiewende brauchen? Die Region lebt am Rande des Krieges. Die Menschen haben sicher andere Probleme als CO2-Emissionen…
Valerii Novykov (VN): Natürlich ist der bewaffnete Konflikt überall in der Ukraine präsent. Aber ebenso „heiß“ sind die sozialen Probleme und Entwicklungsperspektiven im Donbas. Im Jahr 2018 bekamen die Kohlekumpel einige Monate keinen Lohn. Hunderte traten in den Streik und demonstrierten vor dem Parlament. Für die Lokalverwaltung bedeuten Lohnverluste soziale Instabilität und fehlende Steuereinnahmen. Unser Projekt greift diese zentralen Herausforderungen für die Kommunen auf. Deshalb sind die Bürgermeister und BürgermeisterInnen aller sechs (zivil verwalteten) Kohle-Städte des Donezker Gebiets bei unserem Projekt dabei. Der Krieg wird gehen, die Kohle wird irgendwann verbraucht sein, bereits heute verursacht sie hohe Folgekosten für Gesundheit und Umwelt. Das wissen die Menschen und die Verantwortlichen für Politik in den Kohlestädten genau!
Anna Ackermann (AA): Die große Mehrheit unserer Kraftwerke und Minen ist Sowjet- Technologie. Sie muss entweder erneuert oder ersetzt werden. Da drängt sich die Frage auf: Sollten wir nicht wechseln zu einem System mit Erneuerbaren Energien, starker Klimapolitik, möglichst dezentraler Erzeugung und einer modernen Wirtschaft? Diese Frage beantwortet die Regierung heute nicht. Ein paar Zechen sollen geschlossen werden, aber die Kohleproduktion auf hohem Niveau weiterlaufen. Dabei hat der Donbas als Industrieregion das Potenzial, um an den Chancen der weltweiten Energiewende teilzuhaben, neue Technologien zu entwickeln, zu produzieren und zu nutzen!
VN: Hinzu kommt: die heutigen Kohlesubventionen fördern die Abhängigkeit der Kommunen von der Zentralregierung. Das untergräbt die Dezentralisierungsreform, die gut angelaufen ist. Übrigens auch mit deutscher Unterstützung.
Wie gehen Sie konkret im Donbas vor, und wie ist das Projekt mit der Klima- und Energiepolitik in der Ukraine als Ganzes verknüpft?
Rauchende Schlote am Steinkohleschacht Kapitalnaja: Der ukrainische Donbas ist derzeit noch stark von der Kohle abhängig.
Martin Schön-Chanishvili, Germanwatch e.V.
VN: Im Wesentlichen bringen wir Verwaltung, Politik, Zivilgesellschaft und andere relevante Akteure auf der lokalen und regionalen Ebene zusammen. Germanwatch gibt fachlichen Input und moderiert die Veranstaltungen, was einen guten Rahmen für eine offene Diskussion setzt. Am Ende hoffen wir, ein Akteurs- und Städtenetzwerk mit gemeinsamen Positionen sowie einem Leuchtturm-Projekt für eine Energiewende zu haben. Aber das erfordert sehr viel Zeit und Arbeit. Zu Beginn haben wir viele interne Gespräche und Diskussionen mit den Verwaltungsspitzen der Kohlestädte geführt. Auf der Grundlage boten wir ihnen Workshops und eine Studienreise nach Deutschland an. Der Aufwand lohnt sich: Beim letzten Strategieworkshop waren alle Bürgermeister und Bürgermeisterinnen der sechs Kohlestädte persönlich anwesend.
AA: Gemeinsam mit diesen sechs können wir ganz anders mit denen diskutieren, die Entscheidungen auf Regierungsebene vorbereiten: Es wird deutlich, dass die Zukunft des Kohlesektors endlich definiert werden muss, die Städte selber ihre Wirtschaft diversifizieren wollen und dass Erneuerbare Energien die Zukunft sind. Diese Stimme ist besonders wichtig im Kontext der nationalen Klimapolitik. Klimapolitisch ist die Ukraine heute sehr schwach im Vergleich zu anderen Ländern. Das erste Nationale Klimaschutzziel zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens besagt, dass das Land seine Treibhausgasemissionen fast verdoppeln kann bis 2030, anstatt sie zu reduzieren! Dabei hat die Ukraine ein sehr großes Potenzial bei Energieeffizienz und Erneuerbaren.
Was sollte die deutsche Bundesregierung tun, um die Ukraine und den Donbas bei diesem Weg zu unterstützen?
AA: Die deutsche Bundesregierung kann der Ukraine helfen, eine starke Klimapolitik aufzubauen, vor allem ein ambitionierteres Klimaschutzziel und einen nationalen Umsetzungsplan. Dafür brauchen wir eine Energiewende und einen fairen Strukturwandel der Kohleregionen. Deutschland hat hier viel Erfahrung und kann einen starken Beitrag leisten durch technisches Know-how und konkrete Umsetzungsprojekte.
VN: Gleichzeitig wäre es wichtig, dass deutsche NGOs weiterhin die Möglichkeit haben, mit uns zu kooperieren. Wir nutzen ihre Expertise, um den Dialog zwischen denen, die Entscheidungen treffen, und gesellschaftlichen Interessensgruppen zu begleiten. Deutsche NGOs können dies besonders glaubwürdig und gleichzeitig faktenbasiert umsetzen.
Interview: Martin Schön-Chanishvili, Germanwatch
Übersetzung: Leon Möllney, Germanwatch