Interview mit Dr. Felix Christian Matthes, Öko-Institut
Interview mit Dr. Felix Christian Matthes, Öko-Institut
Dr. Felix Christian Matthes,
Koordinator Energie & Klimaschutz
Akteure der Stromwirtschaft malen für das Jahr 2020 ohne den Neubau von Kohlekraftwerken eine Stromlücke in Deutschland an die Wand. Halten Sie die Sorge für berechtigt?
Nein. Zum einen kann die Politik durch Maßnahmen für Energieeffizienz, Kraft-Wärme-Kopplung oder Erneuerbare Energien alternative Energieoptionen schaffen. Zum anderen hat auch der bestehende Kraftwerkspark genügend Flexibilität, um mögliche Engpässe zu verhindern. Der Zeitpunkt der Debatte ist jedoch wohl nicht ganz zufällig. Schließlich geht es bei den einschlägigen Forderungen, Laufzeitverlängerungen für Kernkraftwerke und kostenlose CO2-Zertifikate für Kraftwerke, um sehr hohe Zusatzprofite der Stromerzeuger.
Hilft es dem Klimaschutz, wenn jetzt alte Kohlekraftwerke durch effizientere, neue Kohlekraftwerke ersetzt werden?
Bei der Antwort auf diese Frage darf man nicht nur auf kurzfristige Effekte schauen, sondern auch auf die langfristigen Konsequenzen für das Klima. Außerdem muss man die Wirkung des EU-Emissionshandels mit im Blick behalten.
Wenn es nicht gelingt, die Alternativen schnell genug voranzubringen, dann gibt es zwei Möglichkeiten. Erstens: Man kann mit dem Bau neuer Kohlekraftwerke kurzfristig den Emissionsaustoß verringern. Das funktioniert allerdings nur, wenn die alten Kraftwerke dann tatsächlich stillgelegt werden, was keinesfalls gesichert ist. Durch solche Neubauten nimmt man aber künftige Emissionsniveaus in Kauf, die nicht akzeptabel sind, wenn man die langfristig notwendigen Klimaschutzziele ernst nimmt. Bis 2050 sollen die Emissionen in Deutschland um mindestens 80 Prozent sinken. Dann ist kein Platz für Kohlekraftwerke, die zu diesem Zeitpunkt erst in ihrem 35. Betriebsjahr sind. Und der CO2-Preis, mit dem solche Bestandskraftwerke aus dem Markt gedrängt werden könnten, wäre außerordentlich hoch.
Zweitens: Wir haben auch die Möglichkeit, die alten Kohlekraftwerke für einen begrenzten Zeitraum weiterzubetreiben, bis die Alternativen aufgebaut sind. Für das Klima ist das auch kurzfristig nicht schädlich, denn durch den Emissionshandel ist sichergestellt, dass an anderer Stelle dementsprechend mehr CO2 reduziert wird. Obwohl wir auf die kurzfristigen Verringerungen durch neue Kohlekraftwerke verzichten, wird zumindest bis 2020 insgesamt nicht mehr CO2 ausgestoßen. Allerdings kann dadurch kurzfristig der CO2-Preis steigen, was für langfristige Investitionsentscheidungen aber eher zielführend sein dürfte.
Kurzum: Langfristig ist es für das Klima deutlich besser, wenn im Bedarfsfall die alten Kraftwerke etwas länger laufen, anstatt neue gebaut werden.
Viele Investoren stecken ihr Geld in neue Kohlekraftwerke, weil sie nicht glauben, dass die Politik tatsächlich die notwendigen Rahmensetzungen für Kraftwärmekopplung, Energieeffizienz und Erneuerbare Energien durchsetzt. Was muss die Politik tun?
Erstens brauchen wir ein wirksames EU-Emissionshandelssystem, orientiert an EU-Reduktionszielen von 30 statt 20 Prozent, mit einer vollständigen Versteigerung der Emissionsrechte für den Kraftwerksbereich. Zweitens brauchen wir eine wirksame Liberalisierung des Erdgasmarktes. Drittens benötigen wir eine politische Flankierung für die Verstromung von Gas in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, den Ausbau Erneuerbarer Energien und die Stromeinsparung.
Außerdem ist ein politisch glaubwürdiges Signal notwendig, dass in der Zukunft nur noch Kohlekraftwerke betrieben werden können, wenn dies mit der Abscheidung und geologischen Lagerung von CO2 - also mit CCS - flankiert wird. Wenn die Investoren wissen, dass die Politik dieses Ziel verfolgt, dann stehen viele Kraftwerksentscheidungen auch ökonomisch in einem ganz anderen Licht.
Und wie sieht es mit der Infrastruktur aus? Welcher Handlungsbedarf besteht hier?
Die Frage nach der Infrastruktur ist wahrscheinlich die eigentlich entscheidende.
Erstens brauchen wir für den deutlich umfangreicheren Einsatz von Erneuerbaren Energien den Ausbau des Netzes. Das Stromnetz der Zukunft wird zwei wichtigen Herausforderungen genügen müssen. Einerseits muss es darauf gerichtet sein, den Trend zur Zentralisierung durch Offshore-Wind usw. zu bewältigen. Daneben muss es aber auch für die dezentralen Herausforderungen, sowohl auf die dezentrale Stromerzeugung als auch auf das Laststrommanagement, bei den Kunden ausgerichtet sein. Es wird ein ausgeweitetes Netz sein müssen, dass vielfältige Dienstleistungen der Integration anbietet. Dies wird nur gelingen, wenn es nicht in den Händen der großen Stromversorger bleibt. Neben den Wettbewerbsfragen ist auch dieser Aspekt ein klares Argument für die Eigentumsentflechtung von Stromerzeugung und -netz, für das sogenannte Ownership Unbundling.
Wenn wir an die Zeit bis 2030 denken: Welche Schlüsseltechnologien halten Sie über die Effizienz und Erneuerbaren hinaus für notwendig, um Strom klimafreundlich genug zu erzeugen? Sehen Sie die Option, Solar- und Windstrom aus Nordafrika nach Europa zu transportieren? Welche Rolle müssen Gas und Kraft-Wärme-Kopplung spielen? Brauchen wir CCS?
Ich bin skeptisch, ob wir schon 2030 im großen Stil weiträumige Energieimporte erleben werden. Es wird schon Mühe kosten, die Infrastruktur aufzubauen, die es uns erlaubt, durch Erneuerbare Energien im eigenen Land 30 bis 40 Prozent des Strombedarfs zu decken. Die Kraft-Wärme-Kopplung macht ökologisch nur Sinn, wenn sie auf der Basis von Gas oder Erneuerbaren Energien betrieben wird. Bei den absehbaren Preisniveaus von Gas und Öl werden wir aber um CCS nicht herumkommen, wenn wir die Klimaschutzziele ohne Kernkraft erreichen wollen. Das gilt nicht nur beim Blick auf Schwellenländer, sondern auch für Europa und USA. Eine Betrachtung nur für Deutschland macht keinen Sinn mehr in Zeiten einer europäischen Energie- und Klimapolitik und eines EU-Emissionshandelsregimes. Aber auch im Bereich CCS steht uns die Infrastrukturdiskussion noch bevor.
Eine wachsende Zahl von Experten sieht angesichts der Verknappung des preiswerten Rohöls in den nächsten 20 Jahren einen starken Trend zu Elektroautos. Was würde das für die Stromnachfrage bedeuten?
Nach der Wasserstoff- und der Biospritwelle reiten nun einige auf der der Elektromobilität. Es ist aber für mich nicht absehbar, dass ein großer Teil der Fahrzeugflotte über den Energieträger Strom angetrieben werden wird. Elektromobilität wird zwar eine Rolle spielen, aber auch andere Energieträger wie Bioenergie der zweiten Generation. Ich würde jedenfalls niemandem empfehlen, gestützt auf diese vage Hoffnung zusätzliche Kraftwerke zu bauen oder auf eine höhere Kraftwerksauslastung zu hoffen.
Interview: Christoph Bals