Globale Entwicklungsziele brauchen eine andere Landwirtschaft
Globale Entwicklungsziele brauchen eine andere Landwirtschaft
Die Zahl der Hungernden in der Welt wird dieses Jahr wieder auf mehr als 800 Millionen Menschen ansteigen, nachdem sie jahrelang langsam gesunken war. Wichtigster Grund sind Kriege und Konflikte, die auch mehr als 60 Millionen Menschen zur Flucht gezwungen haben. Der menschengemachte Klimawandel und der Artenverlust schreiten weiter voran. Um diese Probleme anzugehen, hat die Weltgemeinschaft 2015 einen Katalog von Zielen beschlossen, an dem wir Politik, Wirtschaften und Leben grundlegend neu und nachhaltig ausrichten sollen.
Dies ist der bislang letzte Schritt des auf der Konferenz über Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro begonnenen Prozesses. Dort haben die Vereinten Nationen (UN) das Ziel formuliert, die wirtschaftliche Entwicklung so zu gestalten, dass Armut beendet wird und die Umwelt erhalten bleibt. Um diesem Ideal einer „nachhaltigen Entwicklung“ (Sustainable Development) näher zu kommen, beschlossen sie eine Reihe von Erklärungen und Abkommen, unter anderem die UN-Konvention zur Bekämpfung des Klimawandels. Im Jahr 2000 definierte der UN-Millenniumsgipfel in New York acht sogenannte Millennium-Entwicklungsziele (MDG), um Armut, Hunger sowie die Kinder- und Müttersterblichkeit bis 2015 zu verringern, während Schulbildung, Geschlechtergerechtigkeit, die Bekämpfung von HIV/AIDS und Malaria sowie der Zugang zu sauberem Trinkwasser verbessert werden sollten. Trotz des Anspruchs integriert vorzugehen, setzten die Abkommen von Rio den Schwerpunkt auf ökologische und die MDGs auf entwicklungspolitische Themen.
Zwanzig Jahre nach der ersten Rio-Konferenz fand 2012 der UN-Gipfel für nachhaltige Entwicklung statt – wieder in Rio de Janeiro. Damals zeichnete sich ab, dass wichtige MDGs und Ziele der Rio-Abkommen bis 2015 nicht zu erreichen sind. Um darauf zu reagieren und dem Anspruch, Entwicklungs- und Umweltfragen zusammen anzugehen, besser gerecht zu werden, erhielten die Vereinten Nationen das Mandat, global gültige Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) zu erarbeiten. Im September 2015 beschloss die Staatengemeinschaft in New York die Agenda 2030 mit ihren 17 SDGs und insgesamt 169 Unterzielen, die bis 2030 verwirklicht werden sollen. Die SDGs sind so umfangreich, weil sie alle Bereiche der Nachhaltigkeit abdecken und zusammenbinden sollen, auch die Ergebnisse des UNKlimagipfels 2015 in Paris. Dass die Ziele – anders als die MDGs – für alle Länder gelten, ist ein bedeutender Schritt hin zu der Erkenntnis, dass sich die Länder des globalen Südens und Nordens jeweils entwickeln müssen, aber jeweils anders, um Nachhaltigkeit zu ermöglichen.
Landwirtschaft als Schlüsselsektor für die SDGs
Wegen ihres umfassenden Charakters erfordert die Umsetzung der SDGs eine weitgehende Veränderung aller Wirtschaftssektoren. Landwirtschaft und Ernährung sind dabei mit besonders vielen Nachhaltigkeitszielen verknüpft. So kann das Ziel 1 – die Armut zu beenden – nur erreicht werden, wenn die Einkommen im ländlichen Raum steigen. Denn dort leben nach wie vor die meisten Armen, auch wenn erstmals in der Geschichte mehr Menschen in Städten wohnen als auf dem Land. Ziel 2 verlangt, eine nachhaltige Landwirtschaft zu fördern, um den Hunger zu beenden. Die Unterziele stellen einen direkten Bezug zur Armutsbekämpfung her: Produktivität und Einkommen von KleinproduzentInnen, insbesondere Frauen und anderen benachteiligten Gruppen, soll verdoppelt werden. Hier bestehen auch große Synergien zur Geschlechtergerechtigkeit (Ziel 5), da die Mehrheit der Kleinbäuerinnen und -bauern weltweit Frauen sind. Gleichzeitig sollen landwirtschaftliche Produktionssysteme insgesamt dazu beitragen, Ökosysteme zu erhalten und die Bodenqualität zu verbessern. Angesichts des Verlusts gewachsener Kulturlandschaften und der damit verbundenen biologischen Vielfalt sowie zurückgehender Bodenfruchtbarkeit auch in Deutschland und Europa besteht hier Handlungsbedarf für die EU-Agrarpolitik.
Eng mit der Ernährung ist das Ziel 3, ein gesundes Leben für alle Menschen zu gewährleisten, verbunden. Hunger und Mangelernährung beeinträchtigen die Gesundheit stark. Gleichzeitig nehmen in Industrie- und Schwellenländern Übergewicht und Diabetes zu, die Folgen eines zu hohen Verzehrs stark verarbeiteter Lebensmittel mit hohem Fett- und Zuckergehalt sowie von Fleisch sind. Die Deutschen essen pro Kopf im Durchschnitt etwa doppelt so viel Fleisch, wie von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlen. Die industrielle Tierhaltung mit dem massiven Antibiotikaeinsatz ist zu einer der großen Ursachen für das Anwachsen der Antibiotikaresistenzen geworden. Die Weltgesundheitsorganisation warnt, dass Antibiotikaresistenzen in den kommenden Jahrzehnten zu einer der größten Gesundheitskrisen weltweit führen könnten. Die politisch unterstützte Ausrichtung der Fleisch- und Milchproduktion auf Kosteneffizienz und Mengenwachstum und damit niedrige Verbraucherpreise befördert dies.
Eng verbunden mit Gesundheit ist auch Ziel 6 zum nachhaltigen Wassermanagement, das eine geringere Verschmutzung durch gefährliche Chemikalien und andere Stoffe fordert. Deutschland kann in vielen Regionen die EU-Vorgaben zur Nitratbelastung von Grund- und Trinkwasser nicht einhalten. Dies liegt vor allem an der intensiven Tierhaltung in diesen Regionen, die durch Stickstoff aus Gülle und Mist die Gewässer belastet und wiederum mit der auf Kostensenkung ausgerichteten Tierhaltung zusammenhängt.
Ziel 15 fordert unter anderem, Wälder zu erhalten und nachhaltig zu bewirtschaften. Einer der wichtigsten Treiber der Entwaldung in Südamerika ist die dramatisch steigende Nachfrage nach Soja als Futtermittel für die industrielle Tierhaltung. Auch wenn China die EU als Importeur in den letzten Jahren deutlich hinter sich gelassen hat, könnte eine spürbare Senkung der europäischen Sojaimporte den Nachfragedruck in Südamerika und weltweit reduzieren helfen. Der Erhalt der Wälder ist ein wichtiger Baustein, um die in SDG 13 bekräftigten Klimaziele von Paris zu erreichen. Darüber hinaus muss die Landwirtschaft selbst einen größeren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Dies lässt sich nur mit einer veränderten und deutlich reduzierten Tierhaltung erreichen.
SDGs als Auftrag für die deutsche Entwicklungs- und Agrarpolitik
Für die deutsche und europäische Agrarhandelsund Entwicklungspolitik im ländlichen Raum bieten die SDGs eine klare Orientierung. Initiativen wie die deutsche Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“ müssen in der Praxis konsequent Kleinbäuerinnen und -bauern sowie nachhaltige Produktionsmethoden fördern. In den Handelsbeziehungen muss Entwicklungsländern gerade in Afrika ausreichender Spielraum eingeräumt werden, verlässliche heimische Absatzmärkte für ihre kleinbäuerliche Landwirtschaft zu schaffen (siehe Artikel zu Handelsabkommen der EU mit Afrika).
In Europa ist eine grundlegende Transformation der Agrarpolitik notwendig. Die in den kommenden Jahren zu beschließende neue Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU muss klare Anreize für eine umwelt- und sozialverträgliche sowie tiergerechte Landwirtschaft setzen. Dabei müssen die Wünsche der VerbraucherInnen und öffentliche Mittel ineinandergreifen. Germanwatch entwickelt dafür konkrete Vorschläge und setzt sich mit seinen Partnern gegenüber der Politik dafür ein. Mit WissenschaftlerInnen und LandwirtInnen diskutieren wir Möglichkeiten, die Tierhaltung nachhaltiger und mit weniger Antibiotikaeinsatz zu gestalten. Gleichzeitig drängen wir auf eine Handelspolitik, die die ländliche Entwicklung weltweit und den Umweltschutz unterstützt.
Tobias Reichert
Wie sieht die nachhaltige Landwirtschaft der Zukunft aus? Zum Beispiel so wie auf diesem Ausschnitt eines Wimmelbildes, für das Germanwatch viele Ideen und Wünsche gesammelt und zu einem großen Zukunftsbild zusammengesetzt hat.
Mehr unter www.germanwatch.org/de/wimmelbild-zukunft