Reformen als leere Hülle

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Reformen als leere Hülle

Umsetzung in Mitgliedstaaten entscheidend für Fortschritte in der Europäischen Agrarpolitik
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Ganz und gar keine Monokultur: Kleinere Bauernhöfe mit Fruchtwechsel und ökologischen Vorrangflächen sollen von der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik profitieren. (Foto: Fotolia, Michele Lorenzini)


Rat, Parlament und Kommission der EU einigen sich auf eine Reform, die Subventionen etwas stärker an ökologische Kriterien bindet. In der Praxis sind aber wenige Änderungen zu erwarten. Die deutsche Regierung muss nun über Fortschritte bei der Umverteilung von Geldern entscheiden.

Frage an Radio Eriwan: Wird die Europäische Agrarpolitik mit der jüngsten Reform „grüner und gerechter“? Antwort: Im Prinzip ja, aber die neuen ökologischen Auflagen sind so schwach, dass die allermeisten Landwirte sie ohnehin einhalten. Und die Mitgliedsländer können die Subventionen gerechter gestalten, müssen es aber nicht.

Viele erinnern sich noch an die Witze über Radio Eriwan, das alle Hörerfragen zunächst bejaht, um anschließend klarzustellen, dass das Gegenteil zutrifft. Das beschreibt die Ergebnisse der vorläufigen Einigung zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union. Agrarkommissar Dacian Cioloș hatte einen Systemwechsel vorgeschlagen. Er wollte die 50 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt in Zukunft vom Beitrag der Betriebe zu Ökologie („Greening“), Beschäftigung, ländlicher Entwicklung und Strukturvielfalt abhängig machen. Bisher wird der größte Teil der Zahlungen ohne qualitative Kriterien vergeben. Das Greening fiel moderat aus: Landwirte sollten bei der vollen Auszahlung der Prämie

  • Monokulturen vermeiden, die Bodenfruchtbarkeit und biologische Vielfalt gefährden, und dazu auf ihrer Betriebsfläche immer zumindest drei verschiedene Pflanzen anbauen, dabei höchstens 70 % von einer Art.
  • Sie sollten Dauergrünland – Wiesen und Weiden – erhalten.
  • 7 % der Betriebsfläche sollten „ökologische Vorrangfläche“ sein, also umwelt- und naturverträglich genutzt werden.

Die Kommission wollte die Zahlungen für Großbetriebe, die mehr als 150.000 Euro erhalten, reduzieren, bei 300.000 Euro deckeln und die so eingesparten Mittel in den Fonds für ländliche Entwicklung stecken. Betriebe, die viele Arbeitskräfte beschäftigen, sollten von dieser Regel ausgenommen werden.

Weniger Reformeifer zeigte Cioloș beim Fonds für ländliche Entwicklung. Er sollte weiter so unterschiedliche Ziele wie Wettbewerbsfähigkeit, Ökolandbau und Klimaschutz finanzieren – wobei die Mitgliedstaaten selbst entscheiden, wo sie Schwerpunkte setzen.

Agrarlobby verwässert Reformvorschläge der Kommission

Konservative Bauernverbände – mit an der Spitze der Deutsche – und Agrarindustrie liefen gegen Greening und Umverteilung Sturm. Wie gewohnt stießen sie in den Landwirtschaftsministerien auf offene Ohren. Auch das Europäische Parlament, nach dem reformierten EU-Vertrag erstmals in die Entscheidung eingebunden, erwies sich als Bremser.

Der große öffentliche und zivilgesellschaftliche Druck führte dazu, dass die Grundzüge des Reformvorschlags erhalten blieben. Beim Greening:

  • sind Betriebe unter 10 ha ganz vom Fruchtwechsel ausgenommen, für Betriebe unter 30 ha reicht es, zwei Pflanzenarten anzubauen, und Betriebe über 30 ha können drei Viertel der Fläche für eine Pflanzenart nutzen. Damit können sie drei Jahre in Folge auf demselben Stück Land dasselbe anbauen. Das ist noch zu nahe an der Monokultur.
  • können die Mitgliedstaaten entscheiden, ob Dauergrünland nur im regionalen Durchschnitt oder auf jedem Betrieb erhalten werden muss. Eine nur regionale Vorgabe gefährdet jedoch wichtige ökologische Funktionen.
  • muss ein Betrieb nur 5 % der Ackerfläche statt 7 % der Gesamtfläche als ökologische Vorrangflächen ausweisen und die Definition dessen, was „ökologisch“ ist, wird stark gedehnt. Die EU prüft, ob sie ab 2017 die ökologischen Vorränge auf 7 % anheben soll.

Durch die Reform haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, kleinere Betriebe stärker zu fördern. Sie können bis zu 30 % der Mittel für die Direktzahlungen umverteilen und als Zusatzprämie für die ersten 30 ha (oder weniger) jedes Betriebs zahlen. Das würde kleineren Betrieben nutzen und, da die Gesamtsumme gleich bleibt, automatisch zu verringerten Zahlungen für Flächen über 30 ha und damit an Großbetriebe führen. Eine zusätzliche Deckelung der Zahlungen ist auf nationaler Ebene ebenfalls möglich.

Keine entwicklungspolitischen Fortschritte

Ein positiver Vorschlag des Europäischen Parlaments zum Milchmarkt wurde nicht aufgegriffen. Bei Preiskrisen sollten Milchbauern einen Anreiz bekommen, die Erzeugung zu drosseln, damit Angebot und Nachfrage schneller wieder ins Lot kommen. Dadurch wäre auch der Export von billigen Überschüssen auch in Entwicklungsländer besser zu vermeiden. Vor allem die deutsche Bundesregierung hat diese Maßnahme verhindert und damit die exportorientierte Ernährungsindustrie auf Kosten der Erzeuger gestützt.

Auch die entwicklungspolitisch besonders problematischen Exportsubventionen sollen als Instrument erhalten bleiben. Zwar wird der Haushaltsansatz voraussichtlich auf Null gesetzt, aber wenn die Agrarlobby Druck macht, können Kommission und Rat dies schnell wieder ändern. Auch scheiterte der Beschluss von Maßnahmen, mit denen die EU wenigstens systematisch beobachten könnte, wie ihre Landwirtschaft die der Entwicklungsländer beeinflusst. Ein deutlich wirksameres Greening hätte die Möglichkeiten der EU wenigstens indirekt beschränkt, billige Lebensmittel zu exportieren. Davon dürfte jetzt nichts mehr spürbar sein.

Die größte Schwachstelle der beschlossenen Reform besteht darin, dass sie die industrielle und zunehmend exportorientierte Tierhaltung weder direkt noch indirekt begrenzt. Dabei ist diese nicht nur für die Tiere katastrophal, sondern auch für große Probleme beim Klima- und Gewässerschutz verantwortlich. Zudem verdrängt sie – auch ohne direkte Exportsubventionen – Kleinproduzenten von Milch und Fleisch in Entwicklungsländern vom Markt. Zu verlockend ist die Aussicht, die wachsende Nachfrage nach Fleisch und Milch in Entwicklungs- und Schwellenländern für mehr europäische Exporte zu nutzen. Gleichzeitig verdrängt sie auch in Deutschland und EU-weit bäuerliche Tierhaltungsstrukturen weiter.

Umsetzung entscheidend

Jetzt kommt es auf eine nationale Umsetzung im Sinne von bäuerlicher Landwirtschaft und Umwelt sowie globaler Verantwortung an. Dazu muss die Bundesregierung:

  • die Möglichkeit, kleinere Betriebe stärker zu fördern, voll ausschöpfen,
  • Mittel von den Direktzahlungen umschichten, damit der Fonds für ländliche Entwicklung nicht schrumpft, und dabei einen kürzungsfreien Freibetrag je Betrieb vorsehen, um kleinere Betriebe nicht über Gebühr zu benachteiligen,
  • Mittel des Fonds vor allem für Ökologie, Klimaschutz und regionale Wirtschaft nutzen, statt für Investitionen in höhere Produktion,
  • Nationale Gesetze im Umwelt-, Bau-, und Planungsrecht nutzen, um die industrielle Tierhaltung zu begrenzen.

Frage an Radio Eriwan: Stimmt es, dass die GAP nicht reformierbar ist? Antwort: Im Prinzip ja, aber in den Mitgliedstaaten gibt es noch eine Chance.
 

Tobias Reichert, Germanwatch,
und Berit Thomsen, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL)

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