Spekulation und Hunger
Spekulation und Hunger
Wie schon vor drei Jahren führen die seit rund einem Jahr stark gestiegenen Rohstoff- und Nahrungsmittelpreise zu schwerwiegende Folgen für die Ärmsten der Welt. 2010 sollen laut Weltbank 44 Millionen Menschen zusätzlich in Armut gefallen sein. Die Gründe für die Preissteigerungen sind vielfältig. Mit von Bedeutung sind je nachdem die steigende Nachfrage durch Schwellenländer oder Agrosprit, zu geringe Investitionen, Ernteausfälle oder politisches Versagen.
Doch wie bereits vor drei Jahren geht auch die neue Preisspitze auf den physischen Märkten einher mit einer Spitze bei den Finanzinvestitionen in Rohstoffe. Diese laufen über börsengehandelte oder außerbörsliche Termingeschäfte, die meist in Gestalt von Fonds vor allem durch die Banken an Anleger vertrieben werden. Nach Schätzungen der Bank Barclays kam es Mitte 2011 sogar zu einem neuen Rekordwert von 412 Milliarden US-Dollar. Vieles davon geht in Metalle und Öl, doch ein gehöriger Anteil im hohen zweistelligen Milliardenbereich auch in Agrarrohstoffe. Mit von der Partie sind dabei viele deutsche Akteure, vor allem die Deutsche Bank.
Die Terminmärkte werden durch das viele Geld aufgebläht und dann übertragen sich die Blasen in die physischen Märkte, denn die Terminmärkte dienen der Preisfindung. Der Zusammenhang zwischen Finanzinvestitionen und der Preisentwicklung der letzten zehn Jahre ist deutlicher als der zwischen Nachfragesteigerungen und Preisentwicklung. Auch immer mehr wissenschaftliche Studien – erst jüngst eine von der Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen UNCTAD – machen auf die Veränderungen auf den Rohstoffmärkten aufmerksam: Preisschwankungen werden durch die massenhafte Beteiligung von Finanzinvestoren verstärkt und die Rohstoffmärkte hängen immer enger mit den Finanzmärkten zusammen.
Eine stärkere Regulierung des Terminhandels mit Rohstoffen ist deshalb dringend nötig. In den USA wurden einige Liberalisierungen der letzten Jahre wieder aufgehoben, aber die genaue Umsetzung ist noch umkämpft. In der EU läuft ein Reformprozess der Terminmärkte, darunter der für Rohstoffe. Eine neue Verordnung zu Termingeschäften, die mehr Transparenz und mehr zentral abgewickelten Handel bringen soll, wird wohl diesen Herbst verabschiedet. Besonders wichtig ist die Richtlinie zu Märkten für Finanzinstrumente (MiFID), zu der die EU-Kommission im Oktober eine Überarbeitung vorschlagen will. Dort soll entschieden werden, ob die Behörden dem Rohstoffhandel von Finanzakteuren Grenzen setzen können oder sogar müssen. Ob es dazu kommt, wird aber bis zur endgültigen Entscheidung im Herbst 2012 unklar bleiben.
Markus Henn, Referent für Finanzmärkte, WEED (Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung)