Der Norden heizt das Klima auf

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Der Norden heizt das Klima auf

 

Im Jahr 1998 gab es erstmals weltweit mehr Umwelt- als Kriegsflüchtlinge - so stellt das internationale Rote Kreuz aktuell fest. Seit den Sechzigern nahm die Zahl der großen Wetterkatastrophen weltweit - vor allem in den Ländern des Südens - von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zu (siehe Graphik unten). Die Indizien mehren sich, daß der menschgemachte Treibhauseffekt eine treibende Kraft hinter diesem Trend ist. Und dennoch: die westlichen Industrieländer - nach wie vor Hauptverursacher des globalen Klimawandels - stoßen immer mehr Treibhausgase aus. Die CO2-Emissionen stiegen in den USA nicht nur pro Kopf, sondern auch in absoluten Zahlen zwischen 1990 und 1999 weit stärker als in China. In den USA nahmen sie um 13 Prozent, in China um 8 Prozent zu. Der Norden heizt dem Süden ein. Viele Regionen des Südens wurden durch Wetterkatastrophen um die Früchte jahrelanger Entwicklungsbemühungen gebracht. Der globale Klimawandel belastet das Nord-Süd-Verhältnis: Anstieg der Treibhausgase, Anstieg des Meeresspiegels, veränderte Wettermuster, Zunahme der Wetterkatastrophen. Kann der UN-Klimagipfel von Den Haag im November dazu eine Wende bringen?

Seit sich 150 Regierungen dieser Welt in Kyoto im Jahr 1997 auf ein Klimaschutzprotokoll geeinigt haben, ist in der Industrie weltweit eine erstaunliche Dynamik in Richtung mehr Klimaschutz entstanden. Die klimaverträglich(er)en Energieformen wie Erneuerbare und Kraft-Wärme-Kopplung sind nicht mehr Nischen-Technologien, sondern werden zu Standard-Technologien. An der Börse gehören diese Unternehmen inzwischen zu den großen Rennern. Bei den UN-Klimaverhandlungen und zunehmend auf EU-Ebene nimmt das Lobbygewicht der Unternehmerverbände - wie etwa des Europäischen Unternehmerrats e5 - zu. Die Global Climate Coalition hingegen, in der sich die Klimaschutzbremser vereinigt hatten, ist zu einem Club einiger amerikanischer Unternehmensverbände verkümmert. Versicherer drängen auf konsequenten Klimaschutz, denn sie müssen, vor allem in den Industrieländern, für einen Teil der Schäden aufkommen. Einige der großen Ölkonzerne, vor allem BP, markieren durch strategische Entscheidungen bis hin zur Namensumbenennung, daß sie ihre langfristige Zukunft jenseits des Öls sehen. Die Entkopplung zwischen ökonomischem und Treibhausgaswachstum verstärkt sich, gerade auch in den USA. Der Finanzmarkt wittert Geld, das er im Emissionshandel verdienen möchte. Beim Weltwirtschaftsgipfel 2000 in Davos stimmten die meisten Wirtschaftsführer für den globalen Klimawandel als größte Herausforderung dieses Jahrhunderts. Bald wird die Erneuerbarenbranche etwa in Deutschland mehr Beschäftigte haben als die Kohleindustrie. Vielleicht werden wir rückblickend diese Jahre als die entscheidende Trendwende bezeichnen.

Der Klimagipfel in Den Haag kann diesen positiven Trend auf zwei Arten zunichte machen. Erstens, indem nicht die Grundlage gelegt wird, daß endlich das Kyoto-Abkommen von den führenden Industriestaaten ratifiziert werden kann. Wenn das Abkommen nicht bald, spätestens 10 Jahre nach Rio im Jahr 2002, in Kraft tritt, ist es zu spät, die Ziele noch erreichen zu können. Zweitens, wenn das Abkommen durch Schlupflöcher sinnentleert wird. Dann würden vielleicht alle ratifizieren, aber der Klimaschutz fände nur auf dem Papier, nicht in der Atmosphäre statt. Der Klimagipfel kann - im besten Fall - einen politischen Prozeß dynamisieren. Den vom Klimawandel Betroffenen hilft er nur, wenn weitere Schritte - schärfere Reduktionen für Industrieländer und Begrenzungen für Entwicklungsländer - folgen. In den Industrieländern muß etwa Mitte dieses Jahrhunderts der Treibhausgas-Ausstoß um 80 Prozent reduziert sein, um schlimmste irreversible Folgen für den Erdball und seine Bewohner abzuwenden.

Der EU, dem progressivsten Industrieländerblock bei den Klimaverhandlungen, kommt zentrale Bedeutung beim Klimapoker zu. Doch darf sie sich nicht der Illusion hingeben, dem Klimaschutz durch das Zugeständnis immer mehr und größerer Schlupflöcher dienen zu können. Dies kann sie nur umgehen, wenn sie mit Rußland und Japan ihre Verhandlungstaktik abstimmt. Ohne diese Länder kann sie die Sperrminorität, die ein Inkrafttreten des Kyotoprotokolls verhindert, nicht durchbrechen. Zugleich muß sie sich eng mit den Entwicklungsländern koordinieren. Fortschritte hat es in 10 Jahren UN-Klimaverhandlungen vor allem dann gegeben, wenn die EU und wichtige Entwicklungsländer an einem Strick zogen.

Wie aber soll sie mit den USA umgehen? Der US-Kongreß hatte einstimmig dafür votiert, die USA solle Kyoto nicht ratifizieren, wenn nicht auch die Entwicklungsländer schon in der ersten Verpflichtungsperiode eine bedeutsame Beteiligung am Klimaschutz akzeptieren. Mit dieser Entscheidung nimmt der US-Kongreß die Mehrzahl der Menschen dieser Welt zu Geiseln: Die USA - als wichtigster Emittent - wollen  nicht reduzieren, wenn nicht auch die (potentiellen) Hauptopfer jetzt schon ihren Beitrag leisten. (Was - nebenbei gesagt - zumindest einige bereits recht engagiert tun). Richtig ist zwar, daß in absehbarer Zeit auch Schwellenländer Begrenzungsziele akzeptieren müssen. Aber das technisch und finanziell potenteste Land dieser Erde, das zugleich das Hauptproblem für den globalen Klimawandel darstellt, darf nicht den ersten Schritt verweigern, bevor diese Länder aktiv geworden sind. Der Norden muß voran gehen. Wenn die USA sich aus der Gruppe der zivilisierten Länder ausklinken will, muß Europa die Führung übernehmen. Der politische Wille dazu läßt sich nur organisieren und durchhalten, wenn die Bevölkerung den Kurs mitträgt. Damit der Norden dem Süden nicht weiter einheizt, müssen die Bürger und Bürgerinnen in den Industrieländern der Politik im Norden einheizen.

Christoph Bals

 

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