Blick ins Auge des Hurrikans

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Blick ins Auge des Hurrikans

Die „Klimaexpedition“ bringt Satellitenbilder ins Klassenzimmer

 

Wir gucken aus 36.000 Kilometer Entfernung durch den Wirbelsturm auf die Wasseroberfläche, ins Auge des Hurrikans", erklärt Holger Voigt eines seiner spektakulären Satellitenbilder. Der blaue Fleck in der Mitte des weißen Wolkenwirbels sei eine wolkenfreie, fast windstille Zone, bis zu 50 Kilometer groß, mitten im Hurrikan.

Die Achtklässler des Carl-Duisberg-Gymnasiums in Wuppertal staunen. "Könnte ich im Auto mit dem Auge des Wirbelsturms mitfahren?" fragt einer aufgeregt. "Ja, wenn Du schnell genug bist. Die Amerikaner fliegen mit kleinen Flugzeugen in das Auge, um die Hurrikane zu erforschen", erwidert Voigt. "Wie hoch werde ich gewirbelt, wenn ein Hurrikan mich erfasst?" "Erfriert man dann da oben?" Auf manche Fragen kann selbst der 38-jährige Biologe und Umweltpädagoge keine Antwort geben.

Seit 3 Jahren touren er und sein Partner Martin Fliegner unter dem Namen Geoscopia durch Schulen vor allem in Nordrhein- Westfalen, drei Laptops, eine riesige Satellitenschüssel und Satellitenbilder aus aller Welt im Gepäck. "Wir wollen die Schüler motivieren, sich mit dem Thema Umwelt zu beschäftigen und aktiv zu werden", sagt er. "Und zwar durch Begeisterung für die Bilder und die Technik, nicht mit erhobenem Zeigefinger. Das kommt bei den Schülern sehr gut an." Innerhalb eines neuen Projektes mit Germanwatch, das vom Umweltministerium Nordrhein-Westfalen unterstützt wird, wird die "Klimaexpedition" von August 2004 bis Februar 2006 rund 180 Schulen besuchen, mehr als 10.000 Schüler werden die beeindruckenden Satellitenbilder sehen. Nebenbei erfahren sie dabei einiges über die weltweiten Folgen des Klimawandels - ein Thema, das im normalen Lehrplan kaum behandelt wird. Ein Besuchstag kostet jede Schule nur 100 Euro Eigenanteil.

Die Wuppertaler Gymnasiasten sehen gerade ein Bild von der Flut der Elbe 2002. "Stimmt es, dass der Meeresspiegel durch den Klimawandel um 7 Meter ansteigen soll? Das habe ich heute im Radio gehört.", fragt eine Schülerin. "Das könnte passieren, aber frühestens in 1000 Jahren", beruhigt Holger Voigt die Kinder.

Die Polkappen schmelzen

2001 habe es eine Zusammenfassung der wichtigsten Studien von Klimawissenschaftlern gegeben, erklärt der Biologe. Demnach wird der Meeresspiegel noch in diesem Jahrhundert um 10 bis 90 Zentimeter steigen - unter anderem infolge des Abschmelzens der Polkappen. Das würde bedeuten, dass Pazifikinseln wie Tuvalu fast ganz im Meer verschwänden, und Länder wie Bangladesch, Ägypten oder die Niederlande immerhin zu 10 bis 15 Prozent.

In den Niederlanden würden deshalb die Deiche erhöht, und auch auf den deutschen Halligen in der Nordsee würden die Erdhügel, auf denen die Häuser der Bewohner bei Flut aus dem Meer ragen, höher aufgeschüttet - da gäbe es sogar seit ein paar Jahren ein EU-Programm, das ein paar Millionen Euro koste. "Genau das ist der Nachteil der Entwicklungsländer", betont Voigt. "Sie können sich solche Schutzmaßnahmen nicht leisten und sind deshalb am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen."

Wie ungerecht das ist, zeigt das nächste Satellitenbild: Die Welt bei Nacht. Europa, die USA und Japan sind übersät mit hellen Lichtpunkten, fast ganz Afrika und weite Teile Asiens und Südamerikas bleiben dagegen dunkel. "In den Industrieländern leben nur ein Viertel der Menschen weltweit, die verbrauchen aber 80% der Energie", erklärt Voigt.

Ein Schüler weiß, dass die USA alleine 36% des Kohlendioxid-Ausstoßes weltweit produzieren und spricht das Kyoto- Protokoll an. "Ihr habt ja eine Solaranlage hier auf dem Dach Eurer Schule. Wollt ihr damit die Welt retten?", fragt Voigt daraufhin. "Jaaaa", schreien die Schüler. Voigt lacht. "Damit leistet ihr einen großen Beitrag dazu, aber alleine schafft ihr das nicht. Wir brauchen auch einen weltweiten Zusammenschluss der Länder." Dann erklärt er den Nutzen internationaler Abkommen und des Kyoto- Protokolls.

Als er von der Erwärmung des Weltklimas berichtet, fragt ein Schüler, ob das nicht ganz normal sei, da wir uns doch am Ende einer Eiszeit befänden. Das bestätigt Voigt, aber der vom Menschen verursachte Treibhauseffekt habe einen Anteil an der Klimaveränderung von über 50 Prozent - da seien sich die Wissenschaftler nach vielen tausend Studien einig. "Das heißt wir Menschen tragen Mitverantwortung für extreme Wetterereignisse wie Hurrikane, Flutkatastrophen und den Anstieg des Meeresspiegels."

Unnötiger Energieverbrauch

Deshalb müsste auch jeder Einzelne unnötigen Energieverbrauch unbedingt vermeiden. Die stromfressende Standbyschaltung vieler elektrischer Geräte könne man zum Beispiel umgehen, indem man eine ausschaltbare Steckerleiste dazwischensetze.

Zum Schluss gibt's dann noch ein Schmankerl. "Das Bild, das ihr jetzt von Europa seht, das empfange ich gerade." Dafür hat Voigt früh morgens extra eine Satellitenanlage auf dem Dach der Schule installiert. "Kein Mensch auf der Erde sieht dieses Bild jetzt eher als wir, auch nicht die vom Wetterdienst!" Die Schüler sind begeistert, es gibt Applaus.

Da ertönt der Pausengong. Die Expedition ist beendet, der Leiter verabschiedet sich - und die Kinder gucken überrascht, dass die beiden Stunden schon vorbei sind. "Die Bilder von den Gletschern, die Veränderung, das find' ich schon drastisch wie die in den letzten Jahren weggeschmolzen sind," meint dann David, ein Dreizehnjähriger mit hellblondem Irokesenkamm. "Aber ich denke, man kann was ändern. Wir können demonstrieren gehen und es besser machen, wenn wir erwachsen sind und nicht mehr so viele Treibhausgase in die Luft setzen."

Ralf Willinger